Geschichte, Landeskunde

Frühling der Globalisierung: 250 Jahre einträgliche Geschäfte auf der Pazifikroute

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2022

William Lytle Schurz, Die Manila Galeone. Das jährliche Schiff zwischen Acapulco in Mexiko und Manila auf den Philippinen 1565–1815. Ungekürzte Übersetzung aus dem Englischen, mit zusätzlichen Erläuterungen, Tabellen, Karten und Abbildungen, einem Nachwort und einem kommentierten Register, Wackernheim: Selbstverlag Dr. Thomas Kohl 2021. ISBN 978-3-00-068285-8, € 33,00.

    Dieses Werk des US-amerikanischen Historikers William L. Schurz basiert auf dessen Dissertation aus dem Jahre 1915. Es erschien 1939 in einer überarbeiteten Fassung ohne Anmerkungen, aber mit einer umfangreichen Bibliografie und 1959 in einer Taschenbuchausgabe. Schurz‘ Werk beruht insbesondere auf einer intensiven Arbeit im Archivo de Indias (Indienarchiv, heute Archivo General de Indias), dem spanischen Zentralarchiv für Spanisch-Amerika und die Philippinen in Sevilla, seit 1785 in der ehemaligen Börse der Stadt untergebracht.

    Thomas Kohl, der Übersetzer und Herausgeber dieses Buches, hat Schurz‘ Bibliografie um die wichtigsten Neuerscheinungen bzw. von Schurz übersehene Literatur ergänzt (14 S.). Hinzu kommen zeitgenössische Rezensionen aus dem „Journal of Modern History“ (1940), den „Pacific Affairs“ (1940) und drei weiteren US-amerikanischen Zeitschriften, statistische Angaben und Schiffslisten, ein Nachwort, ein kommentiertes Sach- und Personenregister sowie ein Karten-, Tabellen- und Abbildungsverzeichnis. In seinem Nachwort verweist Kohl darauf, dass Schurz „kein Schöngeist“ gewesen sei und „seine Sätze oft […] unverbunden nebeneinander stehen“. Das lesende Publikum müsse also selbst die Verbindungen herstellen, die sich aus den „Tatsachen ergeben.“ Das macht die Lektüre der knapp 450 Seiten nicht zum Vergnügen, das Buch jedoch, wie es im Nachwort heißt, zu einem „Hauptnachschlagewerk“, einer „Schlüsselquelle“ oder zum ‚klassischen Werk‘. Schurz war ein ausgewiesener Lateinamerikaspezialist, der lange Jahre im Staatsdienst tätig war und u.a. Handbücher über Paraguay, Bolivien, Brasilien sowie Lateinamerika insgesamt publizierte.

    Im englischen Original heißt das Buch übrigens nur „The Manila Galleon“ ohne jeden weiteren Zusatz, woraus vielleicht geschlossen werden kann, dass diese Handelsverbindung, die nicht nur Thomas Kohl als „Klassiker der Globalisierung“ bezeichnet, in den USA und in Asien weit bekannter ist als im nicht-spanischen Europa. Der Clou der Geschichte, dies vorab, ist die Darstellung einer doppelten kolonialen Abhängigkeit, denn Manila, hier gleichzusetzen mit den Philippinen, konnte als spanische Kolonie nur existieren, weil es von der „übergeordneten“ Kolonie in Mexiko (Vizekönigreich Neuspanien) (= Acapulco) versorgt und verwaltet wurde. Aufgrund der Entfernung zwischen dem „Mutterland“ Spanien und den Philippinen, die Fahrt dauerte etwa zehn bis zwölf Monate, war eine regelmäßige Verbindung kaum praktikabel.

    Schurz‘ Studie gliedert sich in vier Teile und zwölf Kapitel sowie eine Einleitung und einen Anhang (Appendix) über die „Königliche Philippinengesellschaft“. Ein Fazit fehlt, denn dafür dient die Einleitung, die die wesentlichen Ergebnisse der Studie vorwegnimmt. Sie folgt weitgehend der Chronologie, wird aber immer wieder von längeren Sacherörterungen durchbrochen. Manila, fast stets als Kürzel für die Philippinen zu verstehen, war der Zentralort dieser spanischen Kolonie und wegen seiner „Lage und seines wirtschaftsgeographischen Standorts“ der beste Platz für den Orienthandel, in dem es als Umschlagplatz für den Warenverkehr zwischen China und Mexiko diente. Mexiko wiederum sicherte mit den Waren nicht nur den eigenen Bedarf, sondern war Zwischenhändler für das Mutterland Spanien. China lieferte so gut wie alles, was Mexiko und Europa an Luxusgütern begehrten: alle Arten von Seiden in allen Farben, weitere Stoffe wie Samt, Taft und Damast, Bettdecken, Wandbehänge, Handtücher, Tischdecken und Servietten. Indien, vor allem das Mogulreich, lieferte Baumwollstoffe, auch persische Teppiche, dazu aus „Hinterindien“ Diamanten und Juwelen als Steine oder bereits verarbeitet. Hinzu kamen die Gewürze von den Molukken, aus Java und Ceylon (Sri Lanka), auch Frauenkämme, Porzellangeschirr, bisweilen sogar Sklaven.

    Diese Geschäfte liefen über rund 250 Jahre hinweg nicht immer reibungs- und problemlos, aber stets ertragreich für alle Seiten. Auf beiden Seiten wurde die Manila- oder Acapulco-Galeone sehnsüchtig erwartet. Die Schiffe transportierten vor allem auf dem Weg von Manila nach Acapulco rund 3.000 Tonnen an Waren, von deren Verkauf fast alle Einwohner der Stadt profitierten. Deshalb waren Abfahrt und Ankunft der Galeone „das wichtigste Ereignis des Jahres in Manila“ (S. 269). Das galt, wenn auch in eingeschränkter Form, auch andersherum. Die Reise von Manila nach Osten dauerte knapp sechs Monate und war die längste ununterbrochene Navigationsroute der Welt (S. 280). Die Fahrt in die andere Richtung, also nach Westen, hingegen konnte in kaum drei Monaten bewältigt werden und war „so sicher und leicht, wie sie in der anderen Richtung mühsam und gefährlich war“. Schurz beschreibt den Handel und seine Bedingungen, Voraussetzungen und Folgen ausführlich und umfassend. Nach der umfangreichen Einleitung folgen drei Kapitel über die Protagonisten des Handels: die Chinesen, die Japaner, die Portugiesen sowie die asiatischen Gebiete. Ein weiteres Kapitel informiert uns ausführlich über Manila, den Handel und die damit verbundenen Konflikte. Einer der zentralen Akteure im Geschäft waren die „obras pias“ (fromme Werke), die wohltätigen Einrichtungen in der Stadt, die sich in der Hand von religiösen Bruderschaften befanden. Sie wurden, wie Schurz es darstellt, im Verlauf der Jahrhunderte immer reicher und bedeutender und damit wuchs auch ihr Einfluss auf den Handel. (S. 175f.) Dennoch machte auch der „normale“ Händler hohe Gewinne. Einer von ihnen stellte dazu fest: „Es gibt viel zu verdienen, wenn man sicher zurückkehrt“. (S. 201) Schurz beschäftigt sich aber auch in eigenen Kapiteln mit den Schiffen, deren Bau und deren Besatzung, mit der Fahrtroute und den Reisen. Eigene Kapitel sind auch der Bedeutung des Pazifiks für die Kolonialmacht Spanien, den Engländern und Holländern als Konkurrenten und Geschäftspartnern sowie den Verhältnissen in Mexiko und Peru und den Flotten und Galeonen gewidmet. Aufschlussreich sind die immer wieder eingestreuten Bemerkungen und Feststellungen über die Rivalitäten zwischen dem spanischen Mutterland, bzw. Teilen davon, insbesondere Andalusien, und Manila über den jeweiligen Anteil an diesen Handelsgeschäften. Sie florierten jedenfalls trotz oder vielleicht gerade wegen dieser Rivalitäten und den legislativen Eingriffen der spanischen Regierung aufgrund ihrer natürlichen Dynamik.

    Schurz präsentiert ein lesenswertes Stück „Globalgeschichte“ aus der Zeit vor der Globalisierung in, wie Thomas Kohl in seinem Nachwort schreibt, „einem geopolitischen Raum, der heute mehr denn je im Fokus der Öffentlichkeit steht“. Bisweilen kann ein Autor auch ohne „einen problemorientierten Ansatz“ ein sehr wichtiges und in hohem Maße belehrendes – im positiven Sinne – Buch schreiben, das auch fast einhundert Jahre nach seinem Ersterscheinen durchaus frisch wirkt. (dd)

    Prof. em. Dr. Dittmar Dahlmann (dd), von 1996 bis 2015 Professor für Osteuropäische Geschichte an der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn, hat folgende Forschungsschwerpunkte: Russische ­Geschichte vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Wissenschafts- und Sportgeschichte sowie Migration.

    ddahlman@gmx.de

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