Im Fokus

Frauen im Kampf gegen Korruption und Krieg: Sag die Wahrheit, auch wenn deine Stimme zittert

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2022

Daphne Caruana Galizia: Sag die Wahrheit, auch wenn deine Stimme zittert. Die Aufzeichnungen der ermordeten maltesischen Journalistin. Zürich: Orell Füssli Verl., 2020. 383 S., ISBN 978-3-280-05729-2, € 22,00.

Am 16. Oktober 2017 wird die maltesische Investigativjournalistin und Bloggerin Daphne Caruana Galizia durch ein Attentat mit einer Autobombe getötet. Ihr journalistisches Leben ist gekennzeichnet vom Kampf gegen die politischen Machenschaften der maltesischen Regierung unter Ministerpräsident Joseph Muscat und machtgieriger Großindustrieller. Daphne will ihre Landsleute aufrütteln, und das wird ihr zum Verhängnis.

Wie konnte es zu diesem Mord an der 53jährigen Journalistin kommen? In einem Land in Europa! Inwieweit war die Regierung in den Mord involviert?

Zu den zahlreichen Beiträgen in den Medien gibt es jetzt ergänzend ein außergewöhnliches Buch: Sag die Wahrheit, auch wenn deine Stimme zittert. Die Aufzeichnungen der ermordeten maltesischen Journalistin, herausgegeben von den drei Söhnen Matthew, Andrew und Paul, Texte ihrer Mutter aus drei Jahrzehnten. Eine Hommage an eine Unerschrockene. 1987 beginnt sie mit Kolumnen über das Recht der ­Frauen („Ich bin eine Frau, und sie sind es nicht gewohnt, dass Frauen sich nicht mit dem Platz genügen, auf den sie ihrer Meinung nach gehören.“ S. 382), den Umgang mit Migranten, die großen und kleinen Skandale und das Recht und Unrecht in ihrem Lande. 2008 startet sie ihren eigenen Blog „Running Commentary“. Sie will frei sein und berichtet offener und direkter über Geldwäsche, Korruption, Vetternwirtschaft, Mafia­ clans und die Verstrickungen der Regierung. Die Zahl der Feinde wächst. Hass, Verleumdungsklagen und Morddrohungen sind die unmittelbare Folge. „Allmählich kann man Angst bekommen. Ich glaube, eigentlich sollten wir mit kugelsicheren Westen und bewaffneten Leibwächtern herumlaufen und nicht sie. Wir sind jetzt wieder in einer Situation, in der wir Schutz vor unserer eigenen Regierung brauchen.“ (S. 380) 2016 ist sie die Erste, die als maltesische Partnerin des International Consortium of Investigative Journalists bei der Auswertung der Panama Papers die Verwicklung von Minister Konrad Mizzi und Stabschef des Ministerpräsidenten Keith Schembri in den Panama-Papers-Skandal aufdeckt. 2017 zeigt sie, dass die in den Skandal verwickelte panamaische Firma Egrant Michelle Muscat, der Frau des Premierministers Joseph Muscat gehört. Dann gerät die gesamte Spitze der Regierung in den Verdacht, als es um Bereicherungen an einem Energiedeal mit Aserbaidschan geht. Die Beiträge sind zum besseren Verständnis für die Leser außerhalb Maltas eingebettet in den politischen und kulturellen Kontext.

Die Texte sind ungeschönt, direkt und ohne Umwege wird mit klaren Worten das rückständige, korrupte und katholisch-konservative Malta bekämpft, und das passt nicht in das Bild von einer sonnenverwöhnten Urlaubsinsel, die jährlich von über drei Millionen Touristen besucht wird. Das Buch ist die Chronik eines kämpferischen Lebens. Das Vorwort schreibt der Schriftsteller und Journalist ­Roberto Saviano, der sich mit dem Phänomen der organisierten Wirtschaftskriminalität beschäftigt, die Einleitung stammt von dem Mitherausgeber und Daphnes Sohn Paul. Die Recherchen werden nach ihrem Tod weitergeführt durch die Internetplattform „Forbidden Stories“, an der sich 45 Journalisten aus 15 Ländern beteiligen.

Fazit: Nach immer neuen Enthüllungen ist die alte Regierung gestürzt. Der Bericht einer gegen den Willen der Regierung vom Europäischen Rat durchgesetzten unabhängigen Untersuchungskommission, die ihre Ergebnisse im Juli 2021 vorstellt, bescheinigt der maltesischen Regierung eine Mitverantwortung am Tod von Daphne. Die darin aufgeführten Empfehlungen reichen von Gesetzesänderungen, die die Pressefreiheit stützen, bis hin zu Polizei-Abteilungen, die dafür sorgen, dass eingehende Berichte über die Verletzung der Pressefreiheit auch ernst genommen werden. Dieser Bericht ist eine Chance für ­Malta. Wir dürfen ihn „nicht verstauben lassen. Daphne darf nicht für umsonst gestorben sein“, so Caroline ­Muscat. (FAZ vom 26.11.2021, S. 15) „Der Mord an ­Daphne war im Endeffekt ein Rückschlag für diejenigen, die aus Malta einen Mafia-Staat machen wollten“, so Daphnes Schwester Corinne Vella (NZZ vom 23.2.2022).

Daphne versucht mit ihren Veröffentlichungen erfolgreich, Malta „im Namen seiner Schönheit aus Stein, Sonne und Salz vor dem Krebsgeschwür der Geldwäsche zu retten“. (S. 18) Ihre Ermordung darf nicht vergessen werden!

 

Alice Bota: Die Frauen von Belarus. Von Revolution, Mut und dem Drang nach Freiheit. Berlin, München: Berlin Verlag in der Piper Verlags GmbH, 2021. 239 S., ISBN 978-3-8270-1442-9, € 18,00.

1994 kommt Alexander Lukaschenko mit einem fragwürdigen Wahlkampf ins Amt des Präsidenten von Belarus. Seitdem herrscht er autoritär und verlängert seine Amtszeiten durch Verfassungsänderungen und Wahlbetrug. Auf ihn „ist alles ausgerichtet: die Regierung, die Fernsehsender, das Parlament, der Sicherheitsapparat, das Militär. Seit fast 27 Jahren schon.“ (S. 20) Die vorerst letzte Wahl im August 2020 wird von zunehmender Wirtschaftsschwäche und anhaltenden Protesten begleitet und von der COVID-19-Pandemie überschattet. Demonstrationen und Kundgebungen der erstarkenden Opposition werden verboten, zahlreiche Teilnehmer von Massenprotesten festgenommen, die fünf bekanntesten Kandidaten gegen den Amtsinhaber zur Wahl nicht zugelassen und bedrängt, verhaftet oder zur Ausreise gezwungen. Die Wahl selbst ist weder frei noch fair, das bestätigen auch unabhängige Wahlbeobachter. Glückwünsche zum „Wahlsieg“ kommen von Putin, Xi Jinping, Assad und Erdogan. Nach der Verkündung des vorläufigen amtlichen Wahlergebnisses, wonach der Amtsinhaber die Wahl mit über 80 Prozent gewinnt, kommt es zum Generalstreik und zu Massendemonstrationen. Und es kommt zu schweren Übergriffen der Sicherheitskräfte, die Blendgranaten und Gummigeschosse einsetzen und zu Verhaftungen mit anschließender Folter und Misshandlungen, bei weiblichen Häftlingen zu sexuellem Missbrauch und Vergewaltigungen. Aus der Öffentlichkeit verschwinden auch immer wieder Oppositionelle.

In diesen Zeiten sind es besonders die Frauen von Belarus, die den Widerstand organisieren. Ihnen setzt Alice Bota ein Denkmal. Die Autorin, 1979 im polnischen Krapkowice geboren, emigriert 1988 nach Norddeutschland, studiert Politik und Neuere deutsche Literatur und besucht die Deutsche Journalistenschule. Seit 2017 arbeitet sie als Redakteurin für die Zeit, seit 2015 leitet sie das Zeit-Büro in Moskau. Reisen führen sie regelmäßig nach Belarus, in die Ukraine und in den Südkaukasus.

Ihr Buch soll eine Übersetzungshilfe sein: „Es will eine Gesellschaft, die fern und fremd erscheint, in Deutschland vertrauter machen.“ (S. 7) Die Autorin zeichnet ein lebensnahes Porträt der belarussischen Gesellschaft. Im Zentrum stehen die Proteste gegen Präsident Lukaschenko vor, während und nach der Wahl, im Fokus drei Frauen, die zu einem weltbekannten Trio werden:

• Swetlana Tichanowskaja, Präsidentschaftskandidatin, Englischlehrerin, zweifache Mutter, Hausfrau, heute Exilpolitikerin.

• Maria Kolesnikowa, Musikpädagogin und Flötistin, Wahlkampfmanagerin, kinderlos, im September 2021 zu 11 Jahren Haft wegen Gefährdung der staatlichen Sicherheit verurteilt.

• Veronika Zepkalo, IT-Managerin für Microsoft, zweifache Mutter, Aktivistin, unter Druck gesetzt verlässt sie am Vorabend der Wahl das Land.

Die Machthaber unterschätzen den Protest der Frauen und verspotten sie in patriarchalischer Überheblichkeit und Selbstdarstellung.

Diese in die politische Gesamtsituation eingepassten, gut lesbaren sensiblen Porträts entlarven die konservative patriarchalische Gesellschaft aus feministischer Perspektive. Für den Rezensenten erstaunlich ist das geringe Interesse deutscher Feministinnen an diesen Prozessen in einer männlich konnotierten Gesellschaft Europas. Die drei Frauen werden 2021 mit dem Fritz-Csoklich-Demokratiepreis ausgezeichnet (Die Presse vom 16.7.2021), 2022 erhalten sie den Karls-Preis „für ihren mutigen und ermutigenden Einsatz für Freiheit, Demokratie und für die Aufrechterhaltung der Menschenrechte“ (Tagesspiegel vom 17.12.2021).

Fazit: Aufgrund der politischen Repressionen fliehen zahlreiche Bürger aus ihrem Heimatland, insbesondere nach Litauen und Polen und in die Ukraine. Die ukrainische Solidarität mit der belarussischen Demokratiebewegung ist besonders groß. Auch viele Studenten fliehen ins Ausland, insbesondere in die Ukraine, für die Einreise benötigen sie kein Visum. „In Belarus findet gerade ein enormer Brain Drain statt, die Hochqualifizierten gehen verloren.“ Das bemerkt Christoph Cadenbach im November 2021, (SZ Magazin 44 vom 4.11.2021, S. 18). Und nun ist in der Ukraine Krieg.

 

Wir sind noch da! Mutige Frauen aus Afghanistan / Hrsg. Nahid Shahalimi. München: Elisabeth Sandmann Verl., 2021. 143 S., ISBN 978-3-945543-56-6, € 22,00.

Mit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 sind mutige Frauen in große Lebensgefahr geraten. „20 Jahre lang haben die afghanischen Frauen sich entwickelt und qualifiziert und mitgeredet. Viele haben die neuen Chancen genutzt, der Himmel war die Grenze, zum Beispiel für die afghanischen Pilotinnen. Jetzt ist die Grenze, seit der Machtübernahme der Taliban, für die meisten nur noch wenige Meter vom Herd entfernt und endet an ihrer Haustür.“ (S. 142) Das schreibt die Auslandsreporterin Susanne Koelbl in ihrem Gastbeitrag für dieses besondere Buch mit dem Titel Wir sind noch da! Mutige Frauen aus Afghanistan, herausgegeben von Nahid Shahalimi. Und Margaret Atwood, eine der bedeutendsten Erzählerinnen der Gegenwart, schreibt: „Ohne Frauen kann kein Land lange bestehen. Egal, wie sehr ein Regime Frauen hasst und straft, ganz ohne sie kommt es nicht aus. Aber von welcher Art werden diese Frauen sein? Wir werden es sehen.“ (S. 8) Die Äußerungen von Koelbl und Atwood werden ergänzt um eine editorische Notiz von Elisabeth Sandmann, eine Einleitung der Herausgeberin und verschiedene Gastbeiträge. Das alles ist der Rahmen für eine außergewöhnliche Veröffentlichung. Sie lässt Frauen aus Afghanistan in Textbeiträgen und Interviews zu Wort kommen. Sie hatten Freiheit, Selbstbestimmung und Lebensfreude – bis die Taliban das Land (wieder) beherrschen. Die Autorinnen schreiben über Frauenrechte, die gesellschaftlichen Errungenschaften, den Einsatz für die Ausbildung von Mädchen und Frauen, aber auch über die Angst und den Schmerz vor dem Verlust der Heimat. Zu den 13 Autorinnen gehören u.a.

• 1985 in Kabul geborene Musikerin Aryana Sayeed, die als Achtjährige mit ihrer Familie flieht und sich nach einem Studium der Betriebswirtschaft in London ganz der Musik widmet und eine der erfolgreichsten Sängerinnen Afghanistans wird, 2011 in ihr Heimatland zurückkehrt und 2021 nach der Machtübernahem der Taliban das Land in letzter Minute verlassen kann,

• die Parlamentarierin Fauzia Kofi, 1975 in Kabul geboren, Studium der Rechts- und Politikwissenschaft und der Betriebswirtschaft, 2005 erste Vizepräsidentin der Nationalversammlung, eine der vier Frauen bei den Friedensverhandlungen mit den Taliban 2020 in Doha, muss aus Afghanistan fliehen, um sich und ihre Familie zu schützen,

• die 1995 geborene Politikwissenschaftlerin Razia Barakzai, Initiatorin der Frauenproteste in ihrem Heimatland, von den Taliban mit dem Tod bedroht, hält sich an einem unbekannten Ort auf,

• die Fotografin, Kuratorin, Journalistin und Aktivistin Fatimah Hossaini, wächst in Teheran auf und lebt von 2018 bis Mitte August 2021 in Kabul, es gelingt ihr, mit einer französischen Militärmaschine auszureisen, sie lebt jetzt in Paris. „Ich war nach Afghanistan zurückgekehrt, um bisher ungesehene Porträts von Frauen und eine helle Seite meines Landes zu zeigen, und ich hätte mir nie vorstellen können, mein Heimatland auf diese Weise zu verlassen.“ (S. 131).

Die Herausgeberin, Künstlerin, Filmemacherin, Aktivistin und Autorin, berichtet in der Einleitung ausführlich von ihrem Werdegang. 1985 flieht sie als Elfjährige mit ihrer Mutter über Pakistan nach Kanada, studiert bildende Kunst und Politik, kehrt immer wieder in ihre Heimat zurück für ihre Frauenporträts, heute lebt sie in München Wir sind noch da ist ein beeindruckendes Buch, übrigens das zweite von Nahid Shahalimi (das erste erscheint 2017 unter dem Titel Wo Mut die Seele trägt. Wir ­Frauen in Afghanistan). Der Herausgeberin ist es gelungen, aus ihrem weltweiten dichten Netzwerk mit afghanischen Fr ­ auen wichtige Stimmen einzufangen und uns in einem mitreißenden und darüber hinaus buchgestalterisch vorzüglichen Buch das Leben afghanischer Frauen mitzuteilen. Der Rezensent ist berührt und beeindruckt von diesen hochgebildeten, mutigen Frauen.

Und heute? Die Medien berichten von sich immer weiter verschlechternder humanitärer Lage, die Rechte der Mädchen und Frauen werden ausgehöhlt, das Frauenministerium gibt es nicht mehr, den Mädchen wird das Recht auf Bildung abgesprochen, ein Großteil der berufstätigen Frauen muss zu Hause bleiben, die Gewalt gegen Frauen nimmt zu. (ds)

Prof. em. Dieter Schmidmaier (ds), geb. 1938 in Leipzig, ­studierte Bibliothekswissenschaft und Physik an der ­ ­Humboldt-Universität Berlin, war von 1967 bis 1988 ­Biblio­theksdirektor an der Berg­ aka­demie Freiberg und von 1989 bis 1990 General­direktor der Deutschen Staatsbibliothek Berlin. ­

dieter.schmidmaier@schmidma.com

 

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