Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung e.V. (Hrgb.): Der Festungsbau auf dem Weg in den Ersten Weltkrieg. Verlag Schnell & Steiner, Regen sburg 2019, 232 Seiten, Softcover, ISBN 978-3-7954-3447-2, € 34,95.
Der 2019 publizierte Sammelband dokumentiert die Vorträge der Jahrestagung 2017 der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung e.V., die standesgemäß in der alten bayrischen Festungsstadt Ingolstadt und dort in den gut erhaltenen Teilen der Landesfestung abgehalten wurde. Der Rezensent hat manchmal Probleme mit Tagungsbänden von Fachgesellschaften, die häufig ein Sammelsurium von nicht unbedingt zusammenpassenden Themen unter ein Dach zwingen wollen. Oft beschränken sich die Vortragenden auch nicht auf das Thema und entsprechend weit gefasst sind dann die Aufsätze im Tagungsband. Dies ist auch in dem vorliegenden Band so. Allein die schiere Anzahl der Kriegsbeteiligten und deren Festungsbauten und dazu noch die der neutralen Staaten, die Vorsorge gegen Verletzungen ihrer Territorien durch Defensivbauten betrieben wie die Schweiz, zeigt, dass dies Thema ein schwieriges Unterfangen ist. So lag das Schwergewicht der Tagung eindeutig bei den deutschen und österreich-ungarischen Anlagen. Die Darstellung der Abtragung einer ehemaligen K.u.k.-Festung (Temeswar/Rumänien) noch kurz vor dem Weltkrieg kann hingegen nicht gerade zu den Vorbereitungen hin zum Krieg interpretiert werden. Das letzte Beispiel macht das Dilemma des Festungsbaus im 19. Jahrhundert deutlich, zu dem sich mehrere Autoren äußern. Während die Bauten aus dem 17. Jahrhundert mit leichten Modifikationen selbst das 18. Jahrhundert überdauerten und mehr oder weniger funktionsfähig blieben, wurden sie in nachfolgenden Dekaden durch die geänderten Waffentechniken und andere strategisch-taktische Überlegungen der Militärs immer fragwürdiger. Hatten noch die französischen Revolutionsarmeen und Napoleon wie die französischen Könige als ihre Vorgänger die westlichen Grenzbefestigungen des Deutschen Reiches nach ihren Siegen über die deutschen Verbündeten im Wesentlichen schleifen lassen, so bemühte sich der Deutsche Bund in den 30er- und 40er-Jahren des vorletzten Jahrhunderts, die Festungen wieder in Stand zu setzen und einer neuen Taktik und Waffentechnik anzupassen. Schwergewicht war hier der Westen, also gegenüber dem „Erbfeind“, da man mit Russland noch lange in Waffenbrüderschaft verbunden war. Klassisches Beispiel hierfür ist der Ausbau der Bundesfestung Mainz, der sich nicht nur auf die Kernfestung der Stadt selber bezog, sondern weite Außenbereiche durch kleinere Werke mit integrierte. Dass dies nicht immer im Sinne der Bevölkerung der expandierenden Städte und der dortigen Industrialisierung war und deren Entwicklung stark behinderte, machen die vielen Konflikte deutlich, die zwischen den Magistraten und den Militärs bzw. Landesherrn ausgefochten wurden, was ebenfalls Thema einzelner Beiträge ist.
Erst durch die Entwicklung der „Brisanzgranaten“ und einer Abkehr vom Schwarzpulver – Eisen und Beton waren nun das Mittel der Wahl, nicht mehr Kalk- oder Sandstein – verloren die alten Festungen ihre Bedeutung. Dies mündete letztendlich in den 80er Jahren in ganze Festungsgürtel wie in Verdun, oder es führte zum erneuten größeren Ausbau wie in Köln, Königsberg oder Straßburg. Andere Festungsstädte (z.B. Mainz oder Breslau) konnten nun endlich den industriellen Bedürfnissen und dem Wohnungsverlangen der Bevölkerungen Rechnung tragen und ins Festungsvorfeld expandieren. Trotz des häufig geringen fortifikatorischen Wertes wurden die ehemaligen Festungen bei Kriegsausbruch wieder armiert und die einzelnen Werke nun mit Laufgräben und Stacheldrahtverhauen verbunden, ja selbst Schmalspurbahnen zur Versorgung wurden etabliert, wie ein Autor darstellt – nicht nur in Deutschland. Aber nicht bei allen „Festen Plätzen“ fand der Wechsel noch vor der Jahrhundertwende statt. So wurde z.B. der Festungsstatus von Ingolstadt erst kurz vor dem Zweiten Weltkrieg aufgehoben, nachdem ca. 100 Jahre vorher noch einmal ein großer Bauboom die Festung wieder zu neuem militärischen Leben erweckt hatte. Das Beispiel Temeswar zeigt dagegen, dass der geostrategische Nutzen alter Festungen noch kurz vor einem militärischen Konflikt in Frage gestellt werden kann, während der Ausbau anderer noch im Kriege forciert wurde. Der Tagungsband gibt in elf Aufsätzen Einblick in den Ausbau der Festungen in den 1880er Jahren bis hinein in den Ersten Weltkrieg. Beschrieben wird in den Aufsätzen auch die historische Entwicklung der beschriebenen Anlagen und deren oft jahrhundertealte Tradition. Dass die Festungen nicht alleine militärische Bedeutung hatten, sondern gerade auch im Vielvölkerstaat der K.u.k.-Monarchie zur Sicherung der Herrschaftsansprüche gegenüber der Bevölkerung neu eroberter Gebiete (Bosnien/Herzegowina) diente, macht der Beitrag von V. K. Pachauer deutlich. C. Rella beleuchtet schlaglichtartig auf Basis von Tagebucheintragungen die Aspekte des Gebirgskrieges und die Befestigungen an der Italienfront in Verbindung mit dem berühmten 30,5 cm-Mörser. Die beiden exemplarischen Aufsätze zu deutschen Küstenfestungen an der Ostsee zeigen marine Aspekte, die den Unterschied zu „normalen“ Festungsstädten im Binnenland deutlich machen. Die Festungstechnik wird nicht nur über den singulären Aspekt des Baus der Feldeisenbahnen dargestellt, sondern auch durch den Betonbau, der erstmals im großen Stil und als Fertigelement – ganz modern also – im Weltkrieg eingesetzt wurde, gut passend zum allgemeinen Armierungsbau, der sich zwischen 1887 und 1918 erheblich wandelte und die „moderne“ Festung mitprägte. Ganz dem Tagungsort geschuldet schließen zwei Vortragsmanuskripte – archäologisch und denkmalpflegerisch hinterlegt – zur Nutzung der Festung Ingolstadt durch Konversion hin zu einer frühzeitigen nichtmilitärischen Nutzung den Band ab, wobei „nichtmilitärisch“ einen Rüstungsstandort nicht ausschließt. Es wird deutlich, dass die betroffenen Kommunen oft an veralteten Wehrbauten als Nutzbauten festhielten und manche Universität ohne die übernommenen Festungsbauten heute nicht denkbar wäre. Der Band spiegelt ein breites Themenspektrum des Festungsbaus vor dem Ersten Weltkrieg, ohne den Anspruch zu erheben dessen Spektrum in Gänze abzubilden. Er vermittelt auch demjenigen, der nicht gerne auf dem Bauch kriechend durch alte Kasematten robbt, Aspekte der Militärgeschichte und der Urbanistik, die für das Verständnis mancher unserer Städte noch heute prägend sind. (cs) ˜
Dr. K. P. Christian Spath (cs) ist Physiker und Ingenieur und war bis zu seiner Pensionierung 2016 an der Universität in Mainz tätig.
spath@uni-mainz.de