Buch- und Bibliothekswissenschaften

Erfolg mit Spezialitäten

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2020

Beispiele für Verlage, die sich bewusst nicht am Massengeschmack und Mengengeschäft orientieren, finden sich im Sachbuch- wie belletristischen Bereich und einige beherrschen die Kunst, mit einem spezialisierten Programm beachtliche Verbreitung zu finden. Zwei dieser Verlage haben zu ihren Jubiläen im letzten Jahr Chroniken und Bibliographien herausgegeben: Prototypisch für Sachbuchverlage Christoph Links und für belletristische Verlage Schöffling & Co. In diese Reihe fügt sich auch der März Verlag ein, dem die Albertina jüngst eine Ausstellung gewidmet hat. Schonungslos offen erzählt Heerma van Voss über seine Erfahrungen mit seinem Verlagsprojekt und schließlich gab es immer auch Bücher, die wegen ihres Inhalts oder aus anderen Gründen einen Skandal auslösten und „jenseits des Mainstreams“ agierten.

Klaus Schöffling: Im Mittelpunkt die Autoren. 25 Jahre Schöffling & Co. – Chronik & Bibliographie 1994–2019. 408 S., Klappenbroschur, ISBN 978-3-89561-898-7. € 20,00.

Die meisten Werke zu Verlagsjubiläen bilden einen Dreiklang aus den Eckdaten der Verlagsgeschichte und deren Verlegern, den wichtigsten Werken des Programms und einem Hinweis auf wichtige Autoren. Der Verlag Schöffling & Co. legt bei seinen Jubiläumsschriften die Betonung dagegen eindeutig auf letzteres Element: seine Autoren. „Im Mittelpunkt die Autoren“ hieß die Verlagsgeschichte zum 10jährigen Bestehen des Verlags und daran knüpft auch die zum 25jährigen Jubiläum an. Insofern stellt die „Chronik & Bibliographie“ zum 25jährigen Bestehen des Verlags eine gelungene Fortführung des gleichnamigen Bandes zur Feier des zehnjährigen Jubiläums dar: vom Covermotiv, das den unwettererprobten und sich gegen den realen Sturm und – wohl auch – Mainstream auflehnenden Mann mit Mantel und Hut als ein Symbol für die oft mühselige Arbeit eines exquisiten literarischen Verlags darstellt, bis hin zur Chronik der ersten Jahre. Ein Satz, den Klaus Schöffling dem Text seines Vorwortes aus 2004 angehängt hat, zeigt dies ebenso wie das Covermotiv: Widerstandsfähigkeit „Das soll so bleiben“, der Verlag soll ein Verlag bleiben, der „Jahr um Jahr neue Autoren vorstellt und mit ihren Werken zu großer Wirkung bringt.“ (S. 7). Die gewichtige Rolle der Autoren zeigt sich bereits im Rahmen der Verlagsgründung. Der Schöffling Verlag entstand aus der von Klaus und Ida Schöffling sowie Ulrich Sonnenberg gegründeten Frankfurter Verlagsanstalt, „die im Oktober 1992 gegen den Willen der Autoren von einem inhaltlich unbeteiligten Gesellschafter übernommen wurde“. Sämtliche deutschsprachigen Autoren hielten ihren früheren Verlegern die Treue und erklärten geschlossen, dass sie „künftig diesem Verlag unter dieser Leitung und Inhaberschaft nicht mehr angehören wollen.“ (S. 11). So konnte der Schöffling Verlag rasch eine der ersten Adressen im Reigen der literarischen Verlage werden – immer mit der Ambition, jedes Jahr neue Autoren vorzustellen. Dass der Verlag diesem Anspruch gerecht wird, davon kann sich der Leser auf über 400 Seiten überzeugen: In einem etwas platzsparenderen Layout – im Vergleich zur Chronik 2004 – und mit veränderten Autorenfotos erwähnt die Chronik die wichtigsten Ereignisse jeden Jahres immer mit Blick auf die Autoren. Wenn der Verlag gewürdigt wird, dann eher indirekt, wenn beispielsweise die glänzende Rede des Leiters des Archivs der Universität Frankfurt/ Main zur Verleihung des Hessischen Verlagspreises im Jubiläumsjahr 2019 abgedruckt wird. Und hier kann der Leser erahnen, was diesen feinen literarischen Verlag zu einem ganz besonderen macht: Die unkonventionelle Art des Verlegers, der bedingungslose Einsatz für Autoren, das Suchen und Entdecken neuer Stimmen im Literaturbetrieb und vor allem die Förderung unbekannter Autoren. Daneben wurden in der vorliegenden Ausgabe weitere Reden zu Preisverleihungen und anderen herausragenden Ereignissen abgedruckt, was zumindest einen Eindruck davon vermittelt, wie sehr Autoren und Verlag von Jurys und Publikum Wertschätzung erfahren.

 

Christoph Links, 30 Jahre Ch. Links Verlag. Eine Chronik. 376 S., 118 Abb., Klappenbroschur, ISBN 978-3-96289-072-8. € 10,00.

Was leisten Verlage? Diese Frage stellt der Verleger und Autor Christoph Links im Vorwort seiner Verlagschronik 30 Jahre Christoph Links Verlag. Und die Frage wird auf 375 Seiten ebenso kenntnisreich wie anschaulich beantwortet. Der bescheiden als „Chronik“ titulierte Jubiläumsband ist viel mehr als nur eine Auflistung wichtiger Begebenheiten der Verlagsgeschichte: In dreißig Kapiteln wird jeweils unter dem konkreten Datum ein Ereignis aus der Verlagshistorie erwähnt –in sich eine eigene kleine Geschichte. Dabei erfährt der Leser nicht nur etwas aus der bewegten Vergangenheit des Christoph Links Verlags, sondern erhält en passant auch Einblicke in den Verlagsalltag, wie ein Verlag nach der Wende unter teils chaotischen Bedingungen überhaupt beginnen konnte und welche Anstrengungen das Weitermachen bedurfte. Es stellt sicher einer der Besonderheiten dieser Firmenschrift dar, dass ein ausgewiesener Kenner der Verlags- und Buchhandelsbranche – Christoph Links hat das maßgebliche Werk zum DDR-Verlagswesen in der Wendezeit verfasst und ist Mitglied der Historischen Kommission des Börsenvereins des deutschen Buchhandels – hier einen Eindruck in das Schaffen und die Schwierigkeiten von Verlagen als „Hochrisiko-Unternehmen“ vermittelt.

Was Verlage leisten, zeigt Links anhand des Verlagsalltags, mittels kritischer Essays, eigener Artikel oder Interviews: Angefangen von der Gestaltung von Text und Buch über akribische Recherche und juristischen Auseinandersetzungen – vor allem bei potenziell streitbehafteten politischen Themen – bis zum täglichen Kampf um Aufmerksamkeit für jedes einzelne Buch. Nicht nur Vermittler- und Verstärkerfunktion von Verlagen werden deutlich, sondern auch wie viel Aufwand und Kenntnisse zum Gelingen eines erfolgreichen Buches notwendig sind. Und damit beantwortet sich die Frage, ob es Verlage in der Zukunft noch braucht, von ganz allein. Insofern stellt das „Tagebuch, aus dem ersichtlich wird, wie der Verlag im Inneren funktioniert“ – so die Einordnung des Verlegers – von Links im Mindesten eine spannende Verlagsgeschichte, aber auch einen Teil deutscher Mediengeschichte dar. Nicht erst seit der Lektüre von 30 Jahre Chr. Links Verlag ist dem Verlag und seiner Marke zu wünschen, dass es trotz der Integration in eine größere Verlagsgruppe in fünf oder zehn Jahren einen weiteren Jubiläumsband für das Christoph-Links-Programm gibt.

 

Frank Böttcher, Belegexemplar. Fünfundzwanzig Jahre Lukas Verlag. 200 S., 60 Abb., ISBN 978-3-86732-347-5. € 15,00.

Ähnlich wie der Titel von Christoph Links gewährt auch der Band Belegexemplar – Fünfundzwanzig Jahre Lukas Verlag viele Einblicke in die tägliche Arbeit eines unabhängigen Verlags. Offen erzählt Verleger Frank Böttcher über seine Erfolge und Niederlagen, über die Widrigkeiten des Verlagsgeschäfts und die Komplexität des Verlegens guter und schön ausgestatteter Bücher. Der Jubiläumsband behandelt in vier Kapiteln die „Tops und Flops“ sowie die unter der Überschrift „Jahreskondition“ als „Überlebenszeichen“ betitelten, zwischen 2006 und 2019 erschienenen jährlichen Wasserstandsmeldungen des Verlegers an Freunde, Kollegen und Autoren, die „absichtsvoll zwischen eindeutig Beruflichem und scheinbar Privatem [changieren].“ (S. 7). Ergänzt werden die in der Regel eher persönlich gehaltenen Berichte und Beschreibungen durch ein Gesamtverzeichnis nicht nur der lieferbaren, sondern auch vergriffener und geplanter Titel sowie ein Verzeichnis der Autoren, Herausgeber, Übersetzer und Fotografen. Der auf Kunst- und Kulturgeschichte spezialisierte Verlag hat in seiner 25jährigen Geschichte mit über 2.000 Autoren mehr als fünfhundert Werke herausgegeben. Neben Architekturgeschichte, Denkmalpflege, Bauforschung, Regionalgeschichte, Zeitgeschichte und Politik sind auch Werke zu Philosophie, Musik, Literatur, Fotografie und Gegenwartskunst erschienen. Die Farbigkeit der Themenpalette demonstrieren auch die biographischen Bücher aus ganz unterschiedlichen Bereichen: von einer Biographie des Malers Roger Loewig, über eine Studie zu Bob Dylan bis hin zu einen Band über Emmi Bonhoeffer, dessen Erwähnung bei Günther Jauch dem Verlag nach 1.000 vorher verkauften Exemplaren 20.000 zusätzliche Verkäufe brachte – und in jenem Jahr die Rettung. Als erstes Werk im Verlag erschien die Dissertation Gustav Falkes, noch heute eines der Aushängeschilder des Verlags und ein Stolz des Verlegers: „Da ich selbst kein Philosoph bin, habe ich seine Doktorarbeit nie verstanden, gleichwohl bin ich stolz darauf, mit dem noch heute rezipierten Werk gleich zu Beginn gezeigt zu haben, wo hier der intellektuelle Hammer hängt. Und für die Ausstattungsfetischisten: Der Umschlagkarton stammt von Fedrigoni. Man gönnt sich ja sonst nichts.“ (S. 11).

Über zehntausend Exemplare gingen von Hannes Hegens Geschichte des Mosaik, der Comic-Legende der DDR, über den Verkaufstisch und der Verleger resümiert, „wer weiß, ob die Großverlage, zu denen ich Matthias [dem Autor] geraten hatte, die Broschüre nicht schon nach ein, zwei Jahren hätten verramschen und sterben lassen, während wir sie bei jeder passenden Gelegenheit bis zum heutigen Tag gerne hochhalten und empfehlen.“ (S. 53). Damit erfüllt der Autor und Verleger sich und seinen Lesern den Wunsch „einen Eindruck davon vermitteln können, was einen geradezu idealtypisch unabhängigen, ja narrenfreien und arg kleinen, gleichwohl renommierten Sachbuchverlag wie dem meinigen in der Essenz ausmacht“ (S. 7) nicht nur in anschaulich, sondern auch sehr unterhaltsam.

 

Heerma van Voss, Unsichtbare Bücher, Edition Thomas Seng in der Werkstatt Galerie & Verlag. 32 S., geb., ISBN 978-3-948480-00-4. € 12,00.

Was ist das Faszinierende am Bücherverlegen? Wer eine unsentimentale Antwort darauf sucht, kann sie in Thomas Heerma van Voss schmalem Bändchen „Unsichtbare Bücher“ finden. Eher durch Zufall parallel zum Studium in einem von Freunden gerade neu gegründeten Verlag gelandet, beobachtet der Autor immer distanziert, aber nie nüchtern die Entwicklung des Verlags. Der Enthusiasmus für neue Stimmen der Literatur, der Optimismus im Hinblick auf die Verkaufszahlen genau dieses einen neuen Werkes und das Bemühen um die Akzeptanz am Leser- und Käufermarkt, alles das schildert der Autor voller Sympathie, aber immer auch begleitet von einer gewissen Skepsis. Weder der traditionelle Buchhandel noch die Follower in den sozialen Medien ziehen richtig mit, ambitionierte Autorenlesungen bringen ebenso wenig den gewünschten Erfolg wie ausführliche Rezensionen in bekannten Zeitungen. Der Amsterdamer Kleinverlag Babel & Voss war von Anfang an mehr von Idealismus und Hingabe als von Kalkulationen und Gewinnstreben geprägt, entsprechend wurde er dann auch nie ganz aufgegeben als die Verleger sich bereits anderen Tätigkeiten zuwandten und der Verlag lediglich noch als Marke fortbestand. Der Rückblick des niederländischen Autors reiht sich aber nicht ein in das übliche Jammern über schlechte Verkaufszahlen, zu wenige Leser oder fehlende Akzeptanz im Markt, sondern hier erinnert sich ein Lektor an die Anfänge eines Verlags, an die banalen wie interessanten Momente der Verlagsarbeit. Selbst mit engagierten Autoren, begeisterungsfähigsten Verlegern und überzeugten Multiplikatoren gehört vor allem Glück dazu, einen Bestseller in einem neuen Kleinverlag zu landen. Erschienen ist der Titel als erstes Werk in der Edition Thomas Seng, die damit ebenso unerschrocken wie selbstironisch mit einem realistischen Einblick in die Arbeit von Kleinverlagen aufmacht.

 

Martin Hochrein (Hg.), Thomas Fuchs, Politische Literatur und unpolitische Kunst. 50 Jahre MÄRZ Verlag – 100 Jahre Karl Quarch Verlag. Leipziger Universitätsverlag, 140 S., Broschur, Wendekatalog, ISBN 978-3-96023-275-9. € 24,00.

Einen gelungenen Kontrast bildet der Doppelkatalog zur Ausstellung in der Leipziger Universitätsbibliothek über den März Verlag, den „Fisch im Wasser der Underground-Szene“ (S. M7) einerseits und den Leipziger Kunstverlag Karl Quarch andererseits. Der von Thomas Fuchs betreute Teil über den Karl Quarch Verlag zeigt anschaulich die Schwierigkeiten, mit denen ein Kunstverlag in der DDR zu kämpfen hatte, der nur aufgrund seiner geringen Beschäftigtenzahl „den verschiedenen Verstaatlichungswellen der DDR“ (Q17) entgehen konnte. Die Verlagstätigkeit konzentrierte sich vor allem auf Werbematerialien, Akzidenzdrucksachen und eine vielfältige Karten- und Kalenderproduktion. Nach 1961 stellte der Verlag auch sehr erfolgreich Eindrucke für Firmen in seinen Glückwunschkarten her. Zwei Jahre später betrat der Verlag mit der Herstellung von Holzstichen und Kunstreproduktionen, aus denen sich später die Verlagsproduktion von originalgrafischen Werken ergab – gleichzeitig Bekanntheits- und Qualitätsmerkmal des Karl Quarch-Verlags. Ökonomisch und als Impulsgeber wichtig war vor allem auch die Pirckheimer-Gesellschaft, die Vereinigung von Bibliophilen der DDR. Dabei konnte der Verlag wie alle anderen Verlage in der DDR auch den staatlichen Zensurstellen nicht entgehen. Die Konflikte trugen schließlich dazu bei, dass der Verlag in den späten 1970er Jahren eine Neuausrichtung seines Programms anstrebte und die aufwändige Mappenproduktion stark einschränkte. In den 1980er Jahren blieb der Verlag von weiteren wirtschaftlichen Schwierigkeiten – zunächst von der wirtschaftlichen Krise in der DDR, dann von den Entwicklungen nach der Wiedervereinigung – nicht verschont, was schließlich zur Geschäftsaufgabe durch Karl Quarch und Ingeborg Karich führte. So resümiert Fuchs zu Recht, dass es „sicherlich die unternehmerisch größte Leistung Karl Quarchs“ war, seinen Verlag „durch die Untiefen sozialistischer Planwirtschaft“ zu navigieren und „sich einer unkalkulierbaren Nachfrage in einer sozialistischen Planwirtschaft gestellt und darin bestanden zu haben.“ (Q 16). Der mit vielen einprägsamen Bildern ausgestattete Band würdigt auch die Autorinnen und Autoren des Verlags mit jeweils eigenen Seiten: von Hans-Joachim Behrendt über Otto Herbig oder Karl-Georg Hirsch bis Renate Zürner. Abgerundet wird der Teil von Fuchs mit Beispielen aus der Produktion von Post-, Tischoder Glückwunschkarten sowie der Darstellung auch einiger gescheiterter Projekte, die zwar nicht realisiert werden konnten, aber den Ideenreichtum Karl Quarchs anschaulich belegen.

Einen deutlicheren Kontrast als zwischen dem Karl Quarch und dem März Verlag könnte es kaum geben. Andererseits: So unterschiedlich, wie die Verlagsprofile und Programmausrichtungen waren – „Politische Literatur im Gegensatz zu unpolitischer Kunst“ – hatten beide Verlage doch immer auch Auseinandersetzungen mit dem jeweils etablierten politischen System. In dem von Martin Hochrein herausgegebenen Teil über „50 Jahre März Verlag“ werden nicht nur die bekannten gelben März-Cover in Erinnerung gerufen, sondern auch ein besonderer Verlag in der Zeit seit den 1970er Jahren gewürdigt. Im März 1969 von fünf Angestellten des Melzer Verlags gegründet stellte das „kulturrevolutionäre Programm der ersten Jahre […] ein spektakuläres Ereignis dar“ (M17). Nach einem ersten Konkurs 1973 gründete der Verlagsleiter Jörg Schröder den März Verlag als GmbH neu und es begann bis 1981 eine erfolgreiche Kooperation mit dem Versanddienst Zweitausendeins, 1987 folgte schließlich ein weiterer Konkurs. Nicht nur die finanziellen Schieflagen des Verlags waren stets von der Öffentlichkeit begleitet, auch die Rettungsaktionen waren nicht minder spektakulär: So putzte Schröder auf der Buchmesse jedem die Schuhe, der für 200 DM Bücher bestellt hatte. Das revolutionäre Verlagsprogramm bespielte vor allem die Themen der 1968erBewegung von der sexuellen Aufklärung bis zur Aufdeckung der Vorgänge in der NS-Zeit „eine klassenbewusste und antifaschistische Haltung, die dem kleinbürgerlichen Konsens entgegentrat.“ (M31) Bekannt ist der Verlag auch mit seinem langlebigen Projekt „Schröder erzählt“, bei dem „auf dem heimischen Sofa“ in Gesprächen zwischen Jörg Schröder und Barbara Kalender Erlebnisse aus der Verlags- und Lebenswelt der Verleger „mit gewohnt schonungsloser Offenheit“ (M41) thematisiert wurden. Bis 2018 entstanden so 68 Folgen nebst 6 Treueausgaben nach dem Motto: „Wir leben vom Mythos und nicht von der Stückzahl.“ Besonders aufschlussreich sind auch hier die gescheiterten Projekte, dem Herausgeber ist insofern zuzustimmen, dass „die Geschichten hinter den nicht erschienen Büchern […] nicht weniger spannend (sind) als die Geschichten hinter den publizierten Büchern.“ (M41) Am Schluss des Parforce-Ritts durch die bewegte Verlagsgeschichte ist ein Gespräch zwischen Ulrich Johannes Schneider mit Barbara Kalender und Jörg Schröder abgedruckt, das viele Aspekte des Katalogs nochmals aufgreift und vertieft.

 

Johannes Frimmel, Das Geschäft mit der Unzucht, Die Verlage und der Kampf gegen Pornographie im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Harr ­ assowitz Verlag 2019, 358 S., Hardcover, ISBN 978-3-447-11269-7. € 78,00.

Mit seiner Habilitationsschrift stellt sich Johannes Frimmel der Herausforderung, einen ersten umfassenden Überblick über die Geschichte der erotisch-pornographischen Lesestoffe in Kaiserreich und Weimarer Republik, deren Charakteristika und Veränderungen nachzuzeichnen. Er geht dabei nicht nur auf die rechtlichen und polizeilichen Voraussetzungen ein, sondern gibt einen vertieften Einblick in die Verlagsszene und den Vertrieb pornographischer Literatur. Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der ausführlichen Beschreibung der Verlagsprodukte, der auch Privat- und bibliophile Drucke sowie Sachbücher und Ratgeber einschließt. Die Tradition erotischer Literatur lässt sich bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen, der „Schmutzkampf“ erreichte einen ersten Höhepunkt um 1900 als das „bürgerliche Effizienz- und Leistungsdenken ständige Optimierung der Alltags- und Berufspraxis sowie eine strenge Disziplinierung von Körperlichkeit“ (S. 1) forderte, sich andererseits ein Markt für erotische Lesestoffe zu etablieren begann und die Käufer erotisch-pornographische Lesestoffe und Abbildungen als Markenbegriff wahrnahmen. Dabei sind bereits Definitionsversuche schwierig, im juristischen Diskurs etablierte sich im 19. Jahrhundert der Begriff der „unzüchtigen“ Schriften und Abbildungen. Obwohl die Verfahren gegen die Verleger oft eingestellt und Verbote wieder aufgehoben wurden, scheuten viele Verleger das Risiko trotz des meist begleitenden Werbeeffekts für die beschlagnahmten Werke. So ging Samuel Fischer 1899 das Wagnis einer Veröffentlichung des „Reigens“ nicht ein und erteilte Arthur Schnitzler eine Absage. Der Berliner Verleger lehnte das Ansinnen nach reiflicher Überlegung und Konsultation eines Anwalts schließlich wegen des Unzuchtsparagraphen 184a des Reichsstrafgesetzbuchs ab. Im Rahmen des Handels mit pornographischer Literatur kam den Vertriebswegen eine entscheidende Schlüsselfunktion zu: Der Vertrieb war meist international organisiert, „aus Gründen der Verschleierung“ setzten Drucker und Verleger „häufig auf Kooperation und Transnationalität, um Spuren zu verwischen.“ (S. 62). Das Netzwerk von Händlern und Agenten „blieb eine entscheidende Bedingung für das Funktionieren des illegalen Handels.“ (S. 14). Deshalb differenzierte der „gegen Händler und Verleger gerichtete „Verfolgungsapparat“ […] in erster Linie nach Vertriebswegen und nicht nach Produkten.“ (S. 270).

Im Rahmen seiner Untersuchung gibt Frimmel nicht nur einen Überblick über die Entwicklungen des erotischen Buchmarktes, sondern erinnert zum Beispiel auch an Bestund Longsellerautoren wie die Ärztin Anna Fischer-Dückelmann oder den „Heilkünstler“ Reinhold Gerling, was die Lektüre zusätzlich kurzweilig macht. Eine ausführliche Liste der Liste der Verlage im Polunbi-Katalog – das ist das Verzeichnis der „Zentralpolizeistelle zur Bekämpfung Unzüchtiger Bilder, Schriften und Inserate bei dem Preußischen Polizeipräsidium in Berlin“ – rundet die informative und gut geschriebene Geschichte erotisch-pornographischer Literatur und Abbildungen in Kaiserreich und Weimarer Republik ab.

 

Clemens Ottawa, Skandal! Die provokantesten ­Bücher der Literaturgeschichte. Dietrich zu Klampen Verlag 2019, 228 S., Hardcover, ISBN 978-3-86674-597-1. € 24,00.

Schon der Titel ist Programm: Skandal! nennt Clemens Ottawa seinen im Dietrich zu Klampen Verlag erschienen Band mit Beispielen der „provokantesten Bücher der Literaturgeschichte“. Dabei entsteht ein illustrer Reigen ganz unterschiedlicher Bücher. Die Mehrzahl der Werke bildete zu ihrer Zeit einen Skandal, gehört heute aber anerkanntermaßen zur Literaturgeschichte. Andere Werke haben bisher lediglich einen Skandal erzeugt, ob sie darüber hinaus in den Kanon der Weltliteratur gelangen, mag dahin gestellt bleiben. Ottawa stellt in seinem Vorwort zwar fest, dass die überwiegende Anzahl der Werke „aus Gründen der Religion, der Politik und der Moral verboten“ werden (S. 14), die meisten seiner 61 gesammelten skandalträchtigen Beispiele beschäftigen sich allerdings doch mit dem Verbot aus moralischen Gründen aufgrund von pornografischen oder erotisch-anstößigen Inhalten: von Boccaccios Demameron, Clelands Fanny Hill oder Marquis de Sades Die 120 Tage von Sodom bis hin zu Svelands Bitterfotze, Roches Feuchtgebiete oder James Fifty Shades of Grey. Gewürdigt werden neben den allseits bekannten verbotenen Büchern auch Werke aus dem 21. Jahrhundert wie Takis Würger mit Stella, James Freys Tausend kleine Scherben oder Matias Faldbakken mit The Cocka Hola Company. Wie sich der Skandal um die einzelnen Bücher jeweils darstellt und welche Kriterien zur Aufnahme gerade dieser Werke geführt haben, wird zwar nicht klar definiert, aber allen ausgewählten Werken ist die außerordentliche mediale Aufmerksamkeit gemeinsam. Innerhalb der einzelnen Darstellungen hätte man sich vielleicht den einen oder anderen Vergleich gewünscht, aber die Ausführungen zu den einzelnen Werken – gerade zu Büchern aus dem 21. Jahrhundert – sind in jedem Fall interessant und aufschlussreich zu lesen. (uh)

Dr. Ulrike Henschel ist Juristin, Geschäftsführerin des Kommunal- und Schul-Verlags in der Verlagsgruppe C.H.Beck und korrespondierendes Mitglied der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Über die Entwicklung des juristischen Verlagswesens hat sie am Buchwissenschaftlichen Institut in Mainz promoviert. Ulrike.Henschel@kommunalpraxis.de

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