Kinder- und Jugendbuch

Entdecker, Genies und Rebellinnen

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2021

Seit den Anfängen der Kinder- und Jugendliteratur Ende des 18. Jahrhunderts, dem Zeitalter der Aufklärung, gehören die Biografien außergewöhnlicher Menschen zu dem beliebten Genre von Unterhaltung und Belehrung. Das traditionelle Doppelziel „delectare et prodesse“ zeigt sich auch heute noch dort, wo es um den Lebensweg einer großen Persönlichkeit geht. Gibt es doch nichts Spannenderes als Unbeirrbarkeit gegen alle Widerstände, als abenteuerliche Wege durch Schnee und Eis, durch Stürme und Wellen oder Genialität, die sich in Kunst oder Wissenschaft über jedes Normalmaß erhebt. Im Mittelpunkt stehen dabei das Sachwissen und der Ansporn, selbst etwas Großes zu leisten und sich mit dem Helden oder der Heldin zu identifizieren.

Volker Mehnert (Text), Tim Köhler (Ill.): Magellan oder die Sternstunden der Seefahrt. 96 S. Hildes ­ heim 2020, Gerstenberg. € 32,50. Ab 12

Bis heute zählen die großen Entdeckungen fremder Erdteile und Seewege zu den beliebten Jugendbuchthemen, dazu gehört auch Magellan oder die Sternstunden der Seefahrt. Hier geht es nicht nur um den Portogiesen Magellan, sondern auch um mythische und wirkliche Seefahrten früherer Zeiten und die Entstehung der Kolonialreiche. Magellan entstammte der Schicht junger Adeliger, deren Rittertum sich aufgrund einer gewandelten Kriegsführung andere Herausforderungen suchte. Erfolglos in seinem Heimatland, wandte er sich an Spanien, wo der gerade 19-jährige Karl V. den Thron bestiegen hatte. Dieser stattete Magellan mit fünf Schiffen und über 200 Seeleuten aus und ermöglichte dessen risikoreiches Vorhaben, die östlichen Gewürzinseln, die Molukken, über einen unbekannten Seeweg Richtung Westen zu erreichen. Die „Magellanstraße“, die im südlichen Südamerika den Atlantik mit dem Pazifischen Ozean verbindet, ist seine Entdeckung. Wenn wir auch viel über Magellans nautische Kenntnisse und seine Fähigkeit erfahren, murrende Seeleute unter Kontrolle zu halten, so bleibt der Text doch fern von jeder Idealisierung. Zum ersten Weltumsegler ist Magellan ohnehin nicht geworden, da er unterwegs in einem Kampf auf den Philippinen sein Leben lassen musste. Auch die Magellanstraße wurde niemals zu einem wichtigen Seeweg. Informativ und spannend zugleich, darüber hinaus großartig illustriert, wünscht man diesem Buch viele Leser ab ca. 12 Jahren.

 

Peer Meter (Text), Rem Broo (Ill.): Beethoven. Unsterbliches Genie. (Graphic Novel), 144 S. Hamburg 2020, Carlsen. € 22,00. Ab 14

■ Nicht alle Biografen bewegen sich im traditionellen Fahrwasser. Wer die „graphic novel“ Beethoven, unsterbliches Genie zur Hand nimmt, muss viel Aufgeschlossenheit und Sinn für destruktive Ironie mitbringen. Bereits die Comic ähnliche Form wird manchen Leser in Zusammenhang mit Beethoven überraschen. Peter Meters Text konzentriert sich einzig auf den Todestag und die Beerdigung Beethovens und wendet sich vor allem an Leser, die schon viel über Beethoven wissen und sich für die Nachtseiten eines „unsterblichen Genies“ interessieren. Jähzorn, Unordnung und die soziale Isolation durch die früh einsetzende Taubheit des Komponisten stehen im Vordergrund, posthum kolportiert von Nachbarn, Vermietern und Dienstboten. Seinen Verehrern und Bewunderern geht es vorwiegend um die Ausbeute eines weltberühmten Mannes. Alles lässt sich zu Geld machen. Sie durchwühlen die Wohnung des soeben qualvoll Verstorbenen nach wertvollen Erinnerungsstücken und schrecken auch vor Leichenfledderei nicht zurück, wenn eine Locke seiner Haarpracht zu ergattern ist. Im Mittelpunkt steht weniger Beethoven selbst, als die Leiden, die ihm seine Nächsten angetan haben. Rem Broo hat dazu höchst dramatische und unverblümte Bilder­ reihen geliefert, verzerrende Karikaturen habgieriger und dummer Physiognomien. Sehr schön hebt sich seine Darstellung Wiens zu Beethovens Zeit von dieser menschlichen Tragikomödie ab. Der Comiczeichner und ausgebildete Architekt führt das Auge durch die Straßen und über die Plätze der Stadt, die wir von oben, aus der Ferne und der Nähe genauestens betrachten können.

 

Luca Novelli: Stephan Hawking und das Geheimnis der schwarzen Löcher. 112 S. Aus dem Ital. von Anne Braun. Würzburg 2020, Arena. € 9,99. Ab 9

■ Die schwere Bürde einer Behinderung lag auch auf dem Astrophysiker und Bestseller Autor Stephan Hawking, der zeit seines Lebens gegen eine fortschreitende Muskelerkrankung zu kämpfen hatte, allerdings mit mehr Erfolg als Beethoven gegen seine Taubheit. Modernste Computertechnik ermöglichte dem Wissenschaftler nicht nur ein fast normales Familienleben, sondern auch spektakuläre Entdeckungen und deren Verbreitung in Büchern und Vorträgen. Stephan Hawking wurde auf den Tag genau 300 Jahre nach Galileo Galilei in London geboren. Nicht vermögend, aber intellektuell zur Elite gehörend, ließen ihm seine Eltern eine Ausbildung in Oxford und Cambridge zukommen, von der Hawkings später behaupten wird, außer Rudern und Krocket spielen, habe er dort nichts gelernt. Dennoch wird er bald die Existenz „schwarzer Löcher“, damals noch reine Theorie, mathematisch beweisen können und damit auch den „Big Bang“, bzw. den Urknall, gemeinsam mit der Erkenntnis über die permanente Ausdehnung des Universums, das bis dahin als statisch gedacht wurde. Der unterhaltsame Text wechselt sich mit Cartoon ähnlichen Zeichnungen des Autors ab, so dass auch noch ungeübte Leser nicht daran scheitern werden. In der Ich-Form erzählt, bekommt der Text viel Persönliches und liegt immer näher am Humor als am Drama. Ein Glossar schwieriger Begriffe rundet die kleine Biografie ab.

 

Elena Favilli, Francesca Cavallo: Good Night Stories for Rebel Girls. 100 außergewöhnliche Frauen. 224 S. Aus dem Engl. von Birgitt Kollmann. München 2017, Carl Hanser. € 24,00. Ab 10

Good Night Stories for Rebel Girls versammelt kurze Lebensläufe von „100 außergewöhnlichen Frauen“. Auch dieses Buch kommt den modernen Lesegewohnheiten junger Leserinnen mit einem locker ­en Layout, großzügiger Bebilderung und kurzen, prägnanten Texten entgegen. Von der Malerin über die Astro­ nomin bis zur First Lady Michelle Obama werden hier die unterschiedlichsten Persönlichkeiten aus allen Zeiten vorgestellt. Alle hatten große Hindernisse zu überwinden, meist und einfach nur weil sie Frauen waren. Über die irakische Architektin Zaha Hadid heißt es: „Immer wusste sie ganz genau, was sie wollte, und sie ruhte nicht, bis sie es bekommen hatte. Vielleicht ist das ja der Schlüssel, wenn man im Leben etwas Großes schaffen will.“ Die Aufforderung, es diesen unkonventionellen Frauen gleich zu tun, dominiert die Texte.

Das Sachwissen kommt dabei allerdings manchmal zu kurz. 60 Illustratorinnen aus aller Welt haben jeweils ein ganzseitiges Portrait geliefert umgeben von Objekten, die sich auf die Lebensleistung dieser selbstbewussten Frauen beziehen.

Dr. Barbara von Korff Schmising arbeitet als Rezensentin überwiegend im Bereich Kinder- und Jugendliteratur. Sie hat 25 Jahre lang die „Silberne Feder“, den Kinder- und Jugendbuchpreis des Dt. Ärztinnenbundes als Geschäftsführerin geleitet. bschmising@gmx.de

Diese Seite benutzt Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Datenschutzerklärung