Nachruf

Dr. Michael Liebig (3. Juli 1951 – 15. April 2020)

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2020

„Lebe, als würdest du morgen sterben. Lerne, als ob du ewig leben solltest.“

Mahatma Gandhi

Als Michael 2014 mit einer Arbeit über den antiken indischen Strategen und Staatslehrer Kautilya am Südasien Institut der Universität Heidelberg zum Dr. phil. promoviert wurde, erfüllte sich mit dieser akademischen Würde ein Traum. Aber nicht nur das, denn: „Michael Liebig ist es zu verdanken, dass dieses urindische Werk nun erstmals als Schlüssel zum Verständnis gegenwärtiger Politik und Strategie herangezogen wird“, heißt es in einer Rezension seiner bei Nomos 2014 veröffentlichten Arbeit mit dem Titel „Endogene Politisch-Kulturelle Ressourcen. Die Relevanz des Kautilya-Arthashastra für das moderne Indien“.

Sowohl in seiner Studien- und Promotionsphase als auch danach verbrachte Michael viel Zeit in Indien. Bereits Jahrzehnte vorher hatte er sich intensiv mit der Geschichte und Kultur Indiens befasst und das Land mehrfach besucht. Mit seiner zugewandten, vorsichtigen Art, durch seinen unendlichen Wissensdrang und die Beschäftigung mit dem klassisch-urindische Thema – Kautilyas Arthashastra – knüpfte er in dem Land gute Kontakte, die zu bleibenden menschlichen Verbindungen führten. Über seine Tätigkeit als Visiting Fellow am Institute for Defense Studies and Analyses in New Delhi sprach er mit dem gleichen Enthusiasmus wie über den später hinzugekommenen Lehrauftrag am Südasien Institut in Heidelberg.

Sein letztes Forschungs- und Publikationsprojekt zu „Insurgency and Counter Insurgency in India“ wird nun von Wissenschaftlern des Heidelberger Instituts vollendet werden müssen.

Nach seiner erfolgreichen Promotion fragte ich Michael, ob er nun nicht endlich etwas Zeit für die Mitarbeit im fachbuchjournal aufbringen könne. Denn er begleitete die neue Zeitschrift von Anfang an mit liebenswerten aber, wie ich fand, etwas übertriebenen Lobeshymnen. Unter Zeitvorbehalt stimmte er zu.

Überraschend für mich schickte er gleich für die erste Ausgabe 2015 eine Rezension über „Plessner in Wiesbaden“. Es ist eine ganz außergewöhnliche Würdigung dieses wenig bekannten jüdischen Sozialwissenschaftlers. In der Art, wie Plessner hier charakterisiert wird, habe ich Parallelen zu Michaels eigener Intellektualität bemerkt.

Dann folgten Rezensionen zu seinen langjährigen Spezialthemen, den Intelligence Studies, die Michael als politisch engagierter Mensch, als Politikwissenschaftler und als Journalist über Jahrzehnte bearbeitet hatte. Bücher wie: „Stanislaw Petrow: Der Mann, der den Atomkrieg verhinderte“; „Geheimdienst-Karrieren in Deutschland 1939–1989“ und „Die Partisanen der NATO. Stay-Behind-Organisationen 1946–1991“. Er nahm sich die im Ch. Links Verlag erschienenen vier Bände zur Vor- und Frühgeschichte des BND vor. Kenntnisreich und klug befasste er sich auch mit Frank Böschs vieldiskutiertem Buch zur „Zeitenwende 1979“ und mit dem wohl größten Skandal der Bundeswehr, mit der „Affaire Kießling“. 2018 veröffentlichten wir seine einzige Rezension über ein Indien direkt betreffendes Thema: „Staggering Forward. Narendra Modi and India’s Global Ambition“ des kontrovers diskutierten indischen Strategen Bharat Karnad.

Michael hatte zwar besondere Interessensgebiete, aber er war kein auf wenige Themen festgelegter Mensch. Er war wissbegierig, neugierig, begeisterungsfähig. Er konnte auch sehr gut zuhören und zappelte fast körperlich, wenn er in einer Diskussion neuen Erkenntnissen auf die Spur kam. Er war intellektuell diszipliniert und unglaublich fleißig. Ein Schnell- und Vielleser. Bemerkte er bei der Arbeit intellektuelle Schlampigkeit, Bequemlichkeit oder Faulheit, konnte er – selten zwar – aber auch ruppig reagieren. Wir haben uns rund 40 Jahre gekannt und viele Abenteuer gemeinsam bestanden.

Michael kochte leidenschaftlich gern indisch. Und beim Essen gab es immer den lebhaftesten Gedankenaustausch, über Gott und die Welt. Intensive Begegnungen! Viele werden seine ganz besondere Gastfreundschaft vermissen.

Michael war ein Ideenmensch, irdische Güter interessierten ihn eigentlich nicht“, das schreibt seine Frau Gabriele in einem persönlichen Gedenken auf der digitalen Kondolenzseite. Und als sie ihn in den letzten Wochen seiner schweren Krankheit nach dem Glauben der alten Inder fragte, las er ihr aus einem Buch über die Philosophie der Upanishaden vor: „Das Brahman, die Kraft, welche in allen Wesen verkörpert vor uns steht, welche alle Welten schafft, trägt, erhält und wieder in sich zurücknimmt, diese ewige, unendliche göttliche Kraft ist identisch mit dem Atman, mit demjenigen, was wir nach Abzug alles Äußerlichen, als unser innerstes und wahres Wesen, als unser eigentliches Selbst, als die Seele in uns finden.“

Michael und Gabriele waren am 17. August 2019, wie jedes Jahr, Gäste bei unserem großen Hoffest. Bei der Verabschiedung am späten Abend sagte Michael: „Das war wie immer ein seeeeehr gelungenes Fest.“

Im September nahmen wir die Nachricht von seiner schweren Erkrankung fassungslos entgegen. Die großen Hoffnungen auf eine wirksame Therapie erfüllten sich nicht.

Angelika Beyreuther

 

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