Geschichte

Die Reisen des Lassota von Steblau

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 6/2021

Kreuz und quer durch Europa. Von Krieg, Politik, Kultur und Religion. Das Tagebuch des habsburgischen Diplomaten und Landsknechtführers Erich Lassota von Steblau (1573-1594), hg. von Thomas Riis unter Mitwirkung von Detlev Kraack, Kiel: Solivagus-Verlag 2021, 446 S., Hardcover, ISBN 978-3-943025-60-6, € 74,00.

Erich Lassota von Steblau stammte aus einem alten schlesischen Adelsgeschlecht und wurde um 1550 wahrscheinlich in Blaschewitz in Oberschlesien (heute Błażejowice Dolne in Polen) geboren und starb 1616, mit einiger Sicherheit in Kaschau (heute Košice in der Slowakei). Sein Leben liegt weitgehend im Dunkeln, fast alles Wissen geht aus seinen Aufzeichnungen hervor. Er besuchte eine vornehme Schule in Görlitz und studierte Jura in Leipzig sowie in Padua. Mit dieser Reise nach Italien im Jahre 1573 beginnen auch seine Aufzeichnungen, die manchmal nur aus Entfernungs-, Orts- und Zeitangaben bestehen, aber auch Beschreibungen von Städten, Landschaften und Personen enthalten, bei denen ich mich häufiger an Texte aus dem Baedeker des 19. Jahrhunderts erinnert fühlte. Gerne erzählt er auch Wundergeschichten, beschreibt Schlachten sowie Eroberungen und stellt uns die handelnden Personen vor. Lassota von Steblau war offensichtlich recht gebildet und beherrschte mehrere Sprachen. Für seine diplomatische Mission zu den Zaporoger Kosaken allerdings erhielt er eine Begleitung, die „derer Öhrter wol kundig“ war und sicherlich auch als Dolmetscher diente. Was Lassota von Steblau zu seinen diplomatischen Missionen befähigte, lässt sich nicht mehr feststellen. In jedem Falle genoss er die Gunst des Erzherzogs Maximilian (1558–1618), obwohl Lassota von Steblaus Mission in Polen, ihn zum polnischen König zu machen, nur bedingt erfolgreich gewesen war. Nach seinem Auftrag bei den Zaporoger Kosaken, bei dem er mehr Glück hatte, wurde er zum „Mustermeister“ (Zahlmeister) von Oberungarn ernannt. Zwar verlor er während des antihabsburgischen Aufstandes von Stefan Boczkay 1605/06 sein gesamtes Vermögen, doch ernannte Maximilian ihn 1611 zu seinem Rat.

Gäbe es sein Tagebuch nicht, so hätte die Welt Erich Lassota von Steblau wahrscheinlich längst vergessen. Das allerdings enthält eine Fülle von Informationen über ihn und die europäischen Mächte an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Thomas Riis, gebürtiger Däne und von 1994 bis 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte SchleswigHolsteins, hat es mit Unterstützung des jüngeren Kollegen Detlev Kraack neu ediert. Riis beschäftigt sich, wie er in der Einleitung darlegt, seit 1965 mit diesem Thema. Er hat in den Text, der für ihn auch eine sprachhistorische Quelle ist, kaum eingegriffen, nur Substantive großgeschrieben und Abkürzungen oder fehlende Angaben zu Monaten etc. in Klammern ergänzt sowie einen textkritischen Apparat und einen Kommentar erstellt. Am Ende des Bandes finden sich ein ausführliches Glossar und ein umfangreiches Personenregister. Fremdsprachige Einschübe, etwa in Latein, die es häufiger gibt, werden zumeist übersetzt, aber nicht alle im Text genannten Personen werden auch nachgewiesen. Das ist angesichts der Vielzahl der Namen zwar durchaus nachvollziehbar, aber nicht unbedingt dienlich.

Lassotas Tagebuch behandelt in chronologischer Folge seine Reise zum Studium nach Italien 1573/74 und zurück 1576, seine Teilnahme an der spanischen Eroberung Portugals zwischen 1578 und 1584, seine Reise als Diplomat nach Polen im Kontext der angestrebten polnischen Thronfolge des Erzherzogs Maximilian von 1585 bis 1589, seine diplomatische Mission nach Moskowien von 1590 bis 1593, auf der er von den Schweden gefangen genommen und mehrere Jahre festgehalten wurde und schließlich seine diplomatische Unternehmung zu den Zaporoger Kosaken am unteren Dnepr von Januar bis August 1594 im Auftrag von Kaiser Rudolf II. Dies waren die ersten Mitteilungen eines Westeuropäers über diesen Teil der Kosaken, der unterhalb der Dnepr-Stromschnellen – porogi bedeutet Stromschnellen – lebte. Die historische Forschung zu den Kosaken und der Ukraine benutzt dieses Material noch heute, wie es im deutschsprachigen Raum unter anderem in den Arbeiten von Andreas Kappeler und Carsten Kumke zur Geschichte der Kosaken bzw. der Ukraine nachzulesen ist. Weit intensiver wurde und wird dieser Teil des Textes von Lassota von Steblau von der national orientierten ukrainischen Historiographie, die bis zum Zusammenbruch des Sowjetimperiums im „Exil“ lebte, genutzt. 1975 publizierten Lubomyr Wynar und Orest Subtelny eine englische Übersetzung des „Kosaken-Teils“ mit einer ausführlichen Einleitung und umfassenden Hinweisen auf vorangegangene Editionen, auch die spanischen und portugiesischen, unter dem Titel „Habsburg and Zaporozhian Cossacks“, die auf der Seite „diasporiana.org.ua“ online zugänglich ist. So verdienstvoll diese neue Edition von Thomas Riis ist, so unverständlich bleibt es, dass es in der sehr knappen Einleitung von rund sieben Seiten kaum einen Hinweis auf Lassota von Steblaus Leben, auf die damaligen Zustände und auf die Rezeptionsgeschichte des Textes gibt. Dabei haben sowohl Thomas Riis als auch sein Mitherausgeber Detlev Kraack 2002 bzw. 2003 einen Beitrag über Lassota verfasst, deren Zusammenfassung meines Erachtens eine gute Einführung in Leben und Werk gewesen wäre. Stattdessen muss der geneigte Leser alles selbst leisten besser: recherchieren, wobei Riis‘ Literaturverweise recht dürftig sind. Immerhin gibt es einen Hinweis auf die vollständige Erstedition des Tagebuchs 1866 durch Reinhold Schottin, einen Gymnasiallehrer und Bibliothekar in Bautzen, der zuvor schon 1854 den Teil über die Zaporoger Kosaken separat als eine Art Beilage zum Prüfungsprogramm des Bautzener Gymnasiums publiziert hatte. Beide Editionen sind online über „opacplus“ auf der Seite der Bayerischen Staatsbibliothek zugänglich und nur spärlich kommentiert, jedoch mit einem längeren Einleitungstext versehen, aus dem auch hervorgeht, wo sich das Original des Tagebuchs befindet. Es steht unter der Signatur fol. Nr. 49 (jetzt HS 2° 49) seit dem 17. Jahrhundert in der Gersdorff-Weicha’schen Bibliothek in Bautzen, die seit den 1920er Jahren ein Teil der Bautzener Stadtbibliothek ist. Über diese kaum bekannte Buch- und Manuskriptsammlung, die von dem Landadeligen und Gutsherrn auf Weicha bei Bautzen Hans von Gersdorff um die Mitte des 17. Jahrhunderts begonnen wurde, liegt mit Isabella von Treskows Artikel von 2004 ein grundlegender Beitrag vor (Richard van Dülmen/Sina Rauschenbach (Hg.), Macht des Wissens, Köln u.a. 2004), auf den Riis leider nicht hinweist.

Für eine größere Leserschaft ist Lasottas Tagebuch wohl kaum geschrieben worden, sondern eher als eine Hilfe zur eigenen Erinnerung und als Gedächtnisstütze. Da, wie es der Titel deutlich macht, „kreuz und quer“ durch Europa gereist wird, wäre die ein oder andere Landkarte durchaus von Nutzen gewesen. Wer kennt sich schon gleich gut in Spanien und Portugal und in der linksufrigen Ukraine aus? Auch einen Blick auf eine Seite des Originals als Faksimile hätte der Herausgeber seinen Lesern gönnen können. So teuer ist das heute doch auch nicht mehr. Wer interessiert ist, eine Handschrift aus dem 16. oder frühen 17. Jahrhundert kennenzulernen, findet eine solche Seite in dem erwähnten Band von Wynar und Subtelny. Die vorliegende, in hohem Maße willkommene Neu-Edition des Tagebuches macht einen wichtigen, informativen und äußerst aufschlussreichen Text eines schlesischen Adeligen in habsburgischen Diensten vom Ende des 16. Jahrhunderts, den man auch autobiografisch lesen kann, in kommentierter Form wieder zugänglich. Dem Leser eröffnen sich zahlreiche Blicke und Eindrücke nicht nur über das Reisen in jener Zeit, in die Welt des nicht nur schlesischen Adels und in das damals wie heute mühselige Geschäft der Diplomatie, sondern auch in gänzlich fremde Welten im östlichen Europa, die Lassota von Steblau erstmals beschrieben hat. Eine spannende Lektüre, der ich viele Leser/innen wünsche. (dd)

Prof. em. Dr. Dittmar Dahlmann (dd)

ddahlman@gmx.de

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