Medizin | Gesundheit

Die Medizin der Zukunft

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2022

Joe Miller, Ugur Sahin, Özlem Türeci, Projekt Lightspeed Der Weg zum BioNTech-Impfstoff – und zu einer Medizin von morgen. Hamburg: Rowohlt 2021, deutsche Erstausgabe, aus dem Englischen von Henriette Zeltner-Shane, Hainer Kober, Elisabeth Liebl, Sylvia Bieker, Rita Seuß, Barbara Steckhan und Thomas Wollermann, geb., 352 S., ISBN 978-3-498-00277-0, € 22,00.

Joe Miller, britischer Journalist mit Schwerpunkt Wirtschaft, hat gemeinsam mit den beiden BioNTech Gründern Özlem Türeci und Ugur Sahin den abenteuerlichen Weg vom ersten Corona Fall bis zum erfolgreichen ­mRNA Impfstoff beschrieben. Das Buch, eine Mischung aus Sachbuch und wissenschaftlicher Erzählung entstand über einen Zeitraum von zwei Jahren auf der Grundlage von vielen Telefongesprächen und Kontakten mit Özlem und Ugur, in denen der Journalist Fragen zur Entwicklung des Impfstoffes stellte. Interviews mit Weggefährten, Mitarbeitern der Firma BioNTech und anderen beteiligten Wissenschaftlern ergänzen diese erstaunliche und am Ende allen Widerständen zum Trotz erfolgreichen ­Geschichte. Der Leser muss nicht durch trockene molekularbiologische und immunologische Beschreibungen irren, sondern kann durchaus spannend geschildert den Alltag und das Auf und Ab dieser Impfstoff Entwicklung nachvollziehen. Er begegnet in den Schilderungen einem genialen und bescheidenen Wissenschaftler Paar und erfährt dabei auch manches private aus dem Familienleben in Zeiten, in denen Entscheidungen rascher fallen müssen, als dies bei einer nicht so unter Zeitdruck stehenden Entwicklung möglich gewesen wäre. Dieser Zeitdruck und die damit einhergehenden schwierigen Verhandlungen mit Zulassungsbehörden, potentiellen Partnern, die von der Machbarkeit überzeugt werden mussten, oder auch den Wissenschaftlern in der eigenen Firma, zieht sich durch das ganze Buch. Wenn es um die Fragen klinischer Studien und die Prüfung der Verträglichkeit der eingesetzten Einzelsubstanzen der Impfstoffe geht, ist man erstaunt, mit welcher Sicherheit und Überzeugung Özlem und Ugur die Entwicklung vorantreiben. Die Schilderung der Studienplanung und der toxikologischen Bewertung gibt aber auch eine Reihe von Argumenten, die von Impfgegnern sicherlich mit Vergnügen aufgegriffen werden, um die Fragwürdigkeit dieses Impfstoffes scheinbar zu belegen. Gerade auch bezüglich der von Impfgegnern immer wieder erörterten Frage, inwieweit ein RNA-Impfstoff zu Veränderungen des menschlichen Erbmaterials führt, wäre etwas mehr Information hilfreich gewesen.

Die Schnelligkeit der Entwicklung unter der teilweisen Umgehung üblicher wissenschaftlicher Standards wird zurecht mit der Tatsache begründet, dass eine Entwicklung, die üblicherweise Jahre dauert in diesem Falle für die Bekämpfung der Pandemie zu spät gekommen wäre und zu einer weitaus größeren Zahl an Todesfällen geführt hätte. Es ist beeindruckend zu lesen wie das Forscherpaar den Mut und die Überzeugungskraft aufbrachten, die es brauchte, um einen völlig neuen Impfstoff zu entwickeln. Die Testphasen, in denen der Impfstoff entwickelt wurde, zeigt die verschiedenen Persönlichkeiten, ihre Zweifel und überraschenden Erfolge der Entwicklung der Einzelteile des Impfstoffes. Der Vergleich mit einer Fußballmannschaft ist dabei treffend. Zur Finanzierung der immer teurer werdenden Entwicklung und zur Sicherung der Logistik werden dann Allianzen geschmiedet und Sponsoren gesucht. Gerade in diesem Kapitel erfährt der Leser weniger über den wissenschaftlichen Hintergrund als viel mehr über die Vorgehensweise von Pharmariesen, wenn es um mögliche Kooperationen mit den „Kleinen“ geht. BioNT ­ ech war zunächst auf sich allein gestellt und musste mit den verfügbaren Arbeitsgruppen nicht nur weiter die Impfstoff Entwicklung beschleunigen, sondern auch toxikologische Studien und eine Phase I Studie durchführen, um auf diese Art und Weise sicher zu gehen, dass der Impfstoff nicht nur verträglich, sondern vor allen Dingen auch wirksam war. Was dann folgen musste (der letzte km eines Marathonlaufes) war eine große klinische Studie mit 40.000 Teilnehmern, bei denen nicht nur das Monitoring, sondern auch die notwendige Menge an Impfstoffen ein Problem aufwarf. Auch hier schildert der Autor das Auf und Ab der Entwicklung und den unermüdlichen Einsatz des Forscherpaares und ihrer Mitarbeiter. Dabei wird die ganze Palette der Entwicklungen beschrieben, die vom Suchen nach entsprechender finanzieller Unterstützung, der Auseinandersetzung mit den Medien bis hin zu Gesprächen mit der Politik reicht.

Das Buch ist flüssig und unterhaltsam geschrieben und gibt neben interessanten fachlichen Informationen Einblick in den Forschungsalltag und die Schwierigkeiten, wenn es um die Umsetzung neuer Ideen vor allen Dingen unter erheblichem Zeitdruck geht. Die beiden Protagonisten Özlem Türeci und Ugur Sahin werden nicht nur als bescheidene und äußerst zielstrebige kluge Wissenschaftler vorgestellt, sondern auch als Menschen, denen es gelingt andere zu begeistern, um ein zunächst visionäres Ziel in kürzester Zeit Realität werden zu lassen. Die Beschreibung der Visionen und ihre Realisierung gegen alle Widerstände ist ein Lesevergnügen der besonderen Art. Der letzte Satz des Buches bringt es auf den Punkt: Der entscheidende Wirkstoff hinter dem Vakzin BNT162b2 war nicht die RNA: Es waren vielmehr Ugur Sahin und Özlem Türeci.

 

Edda Graber, Ulrich Bahnsen, Das Ende aller Leiden. Wie RNA-Therapien die Behandlung von Krebs, Herzkrankheiten und Infektionen revolutionieren. Quadriga Verlag, 2022, Hardcover, 272 S., ISBN 978-3-86995-116-4. € 20,00.

Während sich das vorgestellte Buch der Impfstoff Entwicklung durch die beiden BioNTech Gründer mit den besonderen Herausforderungen an Impfstoffe befasst, besonders dann, wenn es RNA Impfstoffe sind, beschreibt das Buch der beiden Wissenschaftsjournalisten Gabar und Bahnsen die Bedeutung der RNA zur Behandlung unterschiedlichster Erkrankungen, bei denen bisher entweder nur radikale und mit schweren Nebenwirkungen verbundene oder gar keine therapeutischen Möglichkeiten bestanden. Das Verständnis und der gezielte Einsatz der RNA zur Beendigung aller Leiden wird in diesem Buch sehr detailliert und sachlich beschrieben, ohne dass der weniger biologisch vorgebildete Leser überfordert würde. Der historische Hintergrund, der zur Entdeckung der DANN und damit auch später der RNA führte wird ebenso beschrieben wie die ersten frustrierenden Versuche einen Impfstoff herzustellen. Die Grundlagen für die Herstellung eines Impfstoffes gegen Krebs durch die beiden BioNTech Gründer werden knapp und anschaulich beschrieben. Es folgt eine spannende Reise durch die Frühzeit der chemotherapeutischen Behandlung von Krebs und die in diesem Zusammenhang wichtigen historischen Ereignisse. Die Entwicklung der Zell- und molekularbiologischen Forschung im Zusammenhang mit dem Verständnis und damit auch der Therapie von Krebs der letzten 50 Jahre wird geschildert. Dies ist Grundlage für das Verständnis, warum eine RNA Therapie das Immunsystem gegen Krebs mobilisieren kann und warum dies ein für jeden Patienten individueller Ansatz sein muss. Während bei den Krebserkrankungen die Anwendung der RNA Impfung noch logisch erscheint, wird es bei den Ideen zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit RNA Technologie schon schwieriger: die Entwicklung von Medikamenten auf der Basis doppelsträngiger RNA. Diese hat das Potential, die bisher verwendete Antisense-Technologie zum Ausschalten von Genen, die an der Entwicklung von Herz-Kreislauferkrankungen beteiligt sind, zu ersetzen. Wieder einmal sind es die Pharmariesen, die den anfänglichen Erfolg bremsen, da sie an der technischen Durchführbarkeit zweifeln. Die Beschreibung der zellbiologischen Grundlagen der RNA und ihre Bedeutung für die zelluläre Eiweißproduktion liest sich ausgesprochen anschaulich und verständlich. Das Kapitel zur Behandlung der angeborenen Muskelschwäche mittels RNA Technologie ist ein Paradebeispiel für die RNA basierte Therapie. Dann geht es um die RNA Therapie zur Senkung des erhöhten Cholesterins oder der Behandlung der Herzinsuffizienz. Dass der Leser dabei auch viel über die Persönlichkeiten und den Werdegang der damit beschäftigten Wissenschaftler erfährt, gibt dem Buch – trotz der oft schwer verständlichen Grundlagen – eine erzählerische Leichtigkeit. Das gilt auch für die Kapitel zu neurodegenerativen Erkrankungen. Auch wenn hier vor der Wissenschaft noch ein weiter Weg liegt, gelingt den Autoren ein optimistischer Blick in eine therapeutische Zukunft. So ist auch das letzte Kapitel zu sehen, welches die Zukunft der RNA-Medizin beschreibt. Hier geht es nicht nur um die Impfung gegen COVID-19, sondern auch um die weltweit verbreiteten Erkrankungen, Malaria, Hepatitis C und HIV. Die beschriebenen therapeutischen Szenarios und die Erfolgsaussichten werden überzeugend dargestellt und geben Hoffnung, dass ein Ende aller Leiden in nicht allzu ferner Zeit möglich sein kann. Das Buch zeigt aber auch an vielen Beispielen das Auf und Ab der Forschung, die Irrwege und Fallstricke und den allzu menschlichen Konkurrenzneid, der diese Entwicklung begleitet und manchmal durch Zufall oder visionäre Weitsicht zusammen mit einem starken Selbstvertrauen zum erhofften Ziel führt. (hb)

Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski war Lehrstuhlinhaber und bis zu seiner Pensionierung 2018 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft der Universität Hohenheim.

biesal@uni-hohenheim.de

 

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