Tom Burgis (2016): Der Fluch des Reichtums. Warlords, Konzerne, Schmuggler und die Plünderung Afrikas. Aus dem Englischen von Michael Schiffmann. Westend Verlag, Frankfurt am Main, 351 Seiten, S/W-Abb., ISBN 978-3-86489-148-9, € 24,00
Spätestens seit dem Erscheinen der umstrittenen Zukunftsstudie „Die Grenzen des Wachstums“ (Meadows et al. 1972) sollte uns bewusst sein, dass mit der rapiden Zunahme der Weltbevölkerung und weltweit wachsender Industrialisierung ein erbitterter Wettlauf um endliche Ressourcen einhergeht. Der unersättliche Rohstoffbedarf der Industrieländer und Schwellenländer mit hoher wirtschaftlicher Eigendynamik verursacht extrem aggressive globale Verteilungskämpfe. Die makroökonomisch plausible Annahme, die rohstoffreichen Entwicklungsländer würden die horrenden Exportgewinne in den Ausbau ihrer sozialen Infrastruktur und wirtschaftlichen Entwicklung investieren und nachhaltig prosperieren, trifft für fast alle subsaharischen Staaten nicht zu. Sie kämpfen mit gravierenden ökonomischen, sozialen und ökologischen Problemen, leiden unter verheerenden innerstaatlichen ethnischen und religiösen Konflikten. Die Mehrheit der Bevölkerung ist arm, ja bitterarm; kein Wunder also, dass Europa wie ein Magnet wirkt.
Der britische Journalist Tom Burgis arbeitete mehrere Jahre als Auslandskorrespondent der Financial Times in Johannisburg und Lagos und durchkreuzte die ölverseuchten Regionen der Ölindustrie Nigerias, die rohstoffreichen Schlachtfelder des östlichen Kongo und viele andere Problemregionen des Kontinents, und „kam […] zu dem Schluss, dass reiche Vorräte an natürlichen Ressourcen nicht seine Rettung sind, sondern sein Fluch“ (S. 15). Bis zur totalen psychischen Erschöpfung (Depressionen, PTBS), über die er mit erstaunlicher Offenheit berichtet, hat der leidenschaftliche Investigativ-Journalist den komplexen Ursachen des „Rohstofffluchs“ nachgespürt. Seine profunde Recherche enthüllt eine „Plünderungsmaschine“ von unfassbarer Perfidie und wirtschaftskrimineller Energie, an der multinationale Konzerne, korrupte Despoten, skrupellose Warlords und Schmuggler beteiligt sind. Der Antrieb der „Looting machine“ (so der Originaltitel) ist grenzenlose Gier nach Geld und Macht.
Die systematische Plünderung Afrikas hat eine lange Tradition. Als im 19. Jhdt. „Expeditionen von Siedlern, imperialen Gesandten, Rohstoffjägern, Kaufleuten und Söldnern von der Küste aus ins Landesinnere vordrangen“ (S. 19) und das lukrative Geschäft des Gold- und Diamantenschürfens begann und Cecil John Rhodes (1853–1902) zum „Archetyp dieser Ausbeuter“ (S. 291) wurde, trieben die Sklaven- und Goldhändler bereits lange ihr schmutziges Geschäft an der Atlantikküste. Mit dem Abzug der Kolonialmächte und der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten änderte sich wenig, da die gigantischen Konzerne der Rohstoffindustrie die Interessen der ehemaligen Kolonialmächte weiter verfolgen und neue Global Players die Plünderung auf dem Weltmarkt verschärfen. Durch den einsetzenden Öl-Boom in Nigeria, Angola, Gabun, das lukrative Schürfen von Gold, Zinn, Wolfram, Coltan und Diamanten in der DR Kongo, den Uranabbau in der Republik Niger und die Förderung von Bauxit in Guinea, um nur einige Beispiele zu nennen, wurde die „Plünderungsmaschine“ ab Mitte des letzten Jahrhunderts nur modernisiert. „Wo einst gewaltsam aufgezwungene Verträge Afrikaner um ihr Land, ihr Gold, und ihre Diamanten brachten, zwingen heute Heerscharen von Anwälten der Öl- und Bergbaugesellschaften mit Hunderten von Milliarden Dollar Jahresumsatz afrikanischen Regierungen groteske Bedingungen auf und nutzen dann Steuerlöcher, um die mittellosen Länder um ihre Einnahmen zu bringen“ (S. 20), resümiert Tom Burgis. Die „Privatisierung der Macht“ erfolgte immer nach demselben Muster, indem postkoloniale Eliten die politische und wirtschaftliche Macht miteinander verschmolzen. Ein Beispiel: In Angola etablierte sich unter der seit 1979 (!) währenden Präsidentschaft von José Eduardo dos Santos die „FutungoClique“, wie einige hundert Familien des sündhaft reichen „Hofstaats“ genannt werden. Darunter befinden sich dos Santos‘ Tochter Isabel, die erste Dollar-Milliardärin Afrikas, und sein Schwager Manuel Domingos Vincente, der heutige Vize präsident Angolas, der lange die staatliche Ölgesellschaft Sonangol führte, den achtgrößten Ölproduzenten der Welt. Der Ressourcenfluch impliziert, dass die Herrscher der afrikanischen Rohstoffstaaten nicht der Legitimation durch ihre Bevölkerung bedürfen; der soziale Vertrag zwischen Herrschern und Beherrschten sensu Rousseau und Locke ist obsolet. Versuche von NGOs wie Human Rights Watch, den Verbleib von 25 Mrd. € aus den Sonangol-Exporten zu klären, liefen bislang ins Leere. Die „Krypto- und Kleptokraten“ pulverisieren mit ihren gewieften Anwälten bislang alle Klagen. Da von den Rohstoff-Dollars paramilitärische Sicherheitsdienste finanziert werden, die es in Ausrüstung und Schlagkraft mit europäischen Armeen aufnehmen können, ist jede Hoffnung auf einen „subsaharischen Frühling“ Illusion.
Auf 350 Seiten enthüllt Tom Burgis ähnlich verlaufende Plünderungsszenarien: „Diese Netze variieren je nach Land, Religion und Ware, aber sie haben einige Dinge gemeinsam. Sie verschmelzen privates Interesse und öffentliches Amt, sie operieren im ‚Unterleib‘ der Globalisierung, wo kriminelle Geschäfte und internationaler Handel sich überschneiden…“ (S. 104).
Burgis ist mutig, sein Report bleibt nicht im Ungefähren, nennt „Ross und Reiter“. Der Journalist klagt nicht nur despotische Politiker der Menschenrechtsverletzungen, Steuermanipulation und Korruption an, wie den Dauerpräsidenten dos Santos, die Kongolesen Joseph Kabila Kabange und Moïse Katumbi et alii, sondern nennt auch die Warlords und Mittelsmänner beim Namen. Der Fokus seiner Recherche liegt ferner auf den dunklen Geschäften der ganz großen Player, wie Glencore (Global Energy Commodity and Resources), der weltweit größten im Rohstoffhandel tätigen Unternehmensgruppe mit dem Hauptsitz in Baar (Kanton Zug, CH), und auf de Beers, dem weltweit größten Diamantenproduzenten und -händler mit Sitz in Luxemburg. Ein besonderes Interesse gilt den milliardenschweren Infrastrukturprojekten der in Hongkong ansässigen Queensway Group und ihrem dubiösen Repräsentanten Sam Pa. Der öffentlichkeitsscheue chinesische Tycoon ist der global agierende Strippenzieher bei der Sicherung von Rohstoffvorkommen. China verdrängt zunehmend die Weltbank und den IWF aus lukrativen Finanzgeschäften, da es bereit ist, „viel weniger Fragen zu stellen, solange sie als Gegenleistung Einfluss auf Förderung und Export der Öl- und Mineralressourcen der afrikanischen Staaten bekommt“ (S. 216). Diese verführerische Alternative stärkt den Rohstoffexport und schwächt die Binnenökonomie, indem sie den volkswirtschaftlich wichtigen Aufbau von verarbeitender Industrie verhindert. Dadurch entsteht ein außenwirtschaftliches Paradoxon, das seit 1960 aufgrund vergleichbarer Prozesse infolge der Erschließung niederländischer Gasfelder als „Holländische Krankheit“ bezeichnet wird. Sie führt zum Niedergang bereits bestehender Industrien, verstärkt letztlich die Arbeitslosigkeit und Armut der Bevölkerung der betroffenen Staaten und macht diese abhängig vom Import von Konsumgütern jeglicher Art; eine Konsequenz davon ist: Hunderttausende machen sich auf nach Europa. Burgis‘ investigativer Report endet mit dem politischen Appell der nigerianischen Musikerin Nneka, die ihren Londoner Fans zuruft: „Denkt nicht, ihr hättet nichts damit zu tun“ (S. 307). „Der Fluch des Reichtums“ wurde unter den traumatischen Nachwirkungen eines Massakers in einem afrikanischen Dorf geschrieben, ist ein faktenstrotzendes, aufwühlendes Buch über himmelschreiende Ungerechtigkeiten der Globalisierung, bei der auch wir Europäer Gewinner sind.
Burgis‘ Buch ist schwere Kost, es fordert die ganze Aufmerksamkeit des Lesers und viel Ausdauer. Tabellen, Grafiken, Register und Glossare wären zu einem leichteren Verständnis des komplexen globalen Systems und der Wechselwirkungen durchaus hilfreich gewesen. Wer sich dennoch auf den nüchternen Text und die 40-seitigen akribischen Anmerkungen einlässt, dem erschließt sich eine verstörende Perspektive auf einen Kontinent, der nach der europäischen Kolonisation erneut aus kaltherziger Profitgier ausgebeutet wird. Der Band ist ein tiefschürfender Report mit hohem Informationswert, insbesondere für jene, die die Beiträge führender Wirtschaftsmedien bislang überblättert haben. Er hinterlässt beim Leser diffuse Schuldgefühle und tiefe Ratlosigkeit bzgl. des eigenen korrektiven Handelns. Tom Burgis gibt keine Ratschläge; das ist auch nicht das Geschäft investigativer Journalisten. Da das Sachbuch fundiert aufklärt, Empörung auslöst und zum Um- und Nachdenken mahnt, verdient es das Prädikat „sehr lesenswert“. (wh)
Prof. Dr. Dr. h.c. Winfried Henke (wh) war bis 2010 Akadem. Direktor am Institut für Anthropologie, Fachbereich 10 (Biologie), der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er ist Mitglied der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften und der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.
henkew@uni-mainz.de