Das Spannungsverhältnis zwischen Expertenwissen und staatlicher Entscheidungsfindung stellt eines der grundlegenden Probleme des modernen Staates dar. Denn dort, wo ein zur Entscheidung berufenes Staatsorgan mangels eigener Sachkunde dem Expertenwissen vertrauen muss, wird in aller Regel die Entscheidung mit der Stellungnahme des Experten faktisch antizipiert. Dies gilt für die Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung gleichermaßen. Darin liegt nicht nur ein faktisches Problem. Vielmehr werden die Legitimationsgrundlagen von Demokratie, Rechtsstaat und Föderalismus auf diese Weise herausgefordert und in Frage gestellt. Sind Entscheidungen der Staatsorgane nicht mehr Ergebnis der politischen Willensbildung des Volkes und Ausdruck der in der Wahl von Alternativen grundsätzlich freien Volkssouveränität, sondern nur noch Vollzug nach Expertenmeinung „alternativloser“ Sachzwänge, verlieren demokratische Entscheidungsfindung, Rechtsschutzgarantien gegen Verwaltungsakte sowie die Gliederung in Bund und Länder, also wesentliche Strukturelemente unserer Verfassungsordnung, ihren Sinn. Das führt zu einem grundlegenden Strukturwandel der Staatlichkeit. Die Wissensabhängigkeit der Entscheidung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch jede wissenschaftlich begründete Expertise wertungsbeladen und unsicher ist. Denn entgegen dem heute landläufigen Glauben, dass die Wissenschaft „objektiv“ die Zusammenhänge des Weltgeschehens durchzunehmende Forschung linear-kausal bestimmen könne, zeigt die Entwicklung insbesondere der Naturwissenschaften seit über hundert Jahren letztlich nur, dass man immer mehr weiß, was man alles nicht weiß. Die moderne Rechtswissenschaft, die sich der Relativität und Vorläufigkeit ihrer Erkenntnisse immer bewusst war, muss sich mit diesem Strukturwandel der Staatlichkeit schon deshalb befassen, weil er mit dem Staat als Ursprung des Rechts ihre eigenen Grundlagen betrifft. Das von hoher naturwissenschaftlich-technischer Komplexität geprägte Umwelt- und Planungsrecht ist besonders geeignet, der Rechtswissenschaft als Referenzgebiet dafür zu dienen, die Spannung zwischen Konsistenz und Widersprüchlichkeit rechtlicher Regelungen im Zeichen dieses Strukturwandels nachzuzeichnen und kritisch zu untersuchen.
Laura Münkler, Expertokratie. Zwischen Herrschaft kraft Wissens und politischem Dezisionismus, Mohr Siebeck, Tübingen 2020. ISBN 978-3-16-159642-1; 749 S., geb., € 139,00.
Diese im Februar 2020 abgeschlossene Habilitationsschrift geht unter umfangreicher Heranziehung interdisziplinärer Literatur der staatstheoretischen Frage nach, wie rechtlich bei der Einbeziehung von Experten in hoheitliche Entscheidungen zu verfahren ist, ohne in eine mit dem Demokratieprinzip unvereinbare Abhängigkeit von Experten zu geraten oder vorhandenes Wissen zu ignorieren. Mit einer umfassenden Untersuchung des Verhältnisses von Demokratie und Expertise versucht sie, auf der Grundlage der gängigen Demokratietheorien sowie verschiedener institutioneller und prozeduraler Modelle der Expertenberatung einen demokratisch legitimen Modus für den Umgang des Staates mit Expertenwissen zu finden. Das erste Drittel des monumentalen Werkes ist einer wissenschaftsgeschichtlich und wissenschaftstheoretisch fundierten Problem- und Diskursaufarbeitung gewidmet. Dabei tritt die Verfasserin überzeugend der Auffassung entgegen, es lasse sich strikt zwischen Tatsachenermittlungen und Wertungen differenzieren und auf diese Weise das Spannungsverhältnis zwischen Rationalität und demokratischer Legitimität der Entscheidungsfindung auflösen. Das vom Staat nachgefragte Wissen sei zumeist von vornherein wertungsbelastet, insbesondere wenn Aussagen über komplexe Systeme, wie etwa beim Klimawandel, getroffen werden müssten.
Im anschließenden Hauptteil der Untersuchung wird analysiert, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Wissensgrundlagen hoheitlicher Entscheidungen gestellt werden und wie das Spannungsverhältnis zwischen Wissensbedarf und Demokratieprinzip im Recht bislang verarbeitet wird. Zur Sicherstellung von Demokratie werde trotz weitgehender Einbeziehung von Experten kons truktiv vor allem auf die inhaltliche Vorstrukturierung des Experteninputs und des Letztentscheidungsrechts des demokratisch legitimierten Organs abgestellt. Die Tragfähigkeit dieser Konstruktion hänge vor allem davon ab, ob eine Wissensbewertung durch das legitimierte Entscheidungsorgan gelingen könne. Dazu müssten die Entscheidungsträger sämtliche Wertungen und Vorannahmen der von ihnen genutzten Expertise erkennen können. Die Hinterfragbarkeit von Expertise stelle folglich eine demokratische Notwendigkeit dar. Dies gelte auch im Falle eines angenommenen Expertenkonsenses. Die einbezogene Expertise müsse demnach von demokratisch legitimierten Entscheidungsträgern mit einem Qualitätsurteil bewertet werden, bei dem die eigene Entscheidung des demokratisch legitimierten Organs in den Vordergrund trete. Die Rede von mangelnden Alternativen sei in einer Demokratie somit kein gangbarer Weg.
Im dritten Kapitel stellt die Verfasserin ausführlich die verschiedenen konkreten institutionellen Mechanismen dar, mit denen im europäischen Unionsrecht und im deutschen Recht ein Ausgleich zwischen eher expertokratischen und dezisionistischen Elementen der demokratischen Entscheidungsfindung versucht wird. Besonders ausgeprägt sei die Beratung durch Expertengremien im Unionsrecht, da dieses nach wie vor weitläufig über Sachverstand legitimiert werde. Im deutschen System der Expertenberatung sei der Institutionalisierungsgrad dagegen erheblich geringer und das Verfahren weniger transparent. Hier stellten gemischt besetzte Beratungsgremien, die vornehmlich aus Wissenschaftlern und Interessenvertretern zusammengesetzt seien, den historisch gewachsenen Regelfall dar, so dass der Beratungsansatz stärker korporatistisch konfliktual geprägt sei. Aufgrund der politischen Auswahl der Experten sei dabei zu besorgen, dass sich nicht zwangsläufig die wissenschaftlich relevantesten Vertreter in beratenden Expertengremien wiederfänden. Wichtig sei deshalb die auch intrainstitutionelle Gewährleistung der Pluralität des für hoheitliche Entscheidungen produzierten Wissens. Außerdem müsse der Erstellungsprozess der Expertise zumindest für den Beratenen bzw. dessen Vertreter öffentlich sein, um den legitimierten Hoheitsträger zu einer eigenen Entscheidung zu befähigen.
Der Verfasserin gebührt das Verdienst, ein aktuelles und schwieriges Thema der Staats- und Verwaltungslehre tiefschürfend und im Ergebnis überzeugend aufgegriffen und beleuchtet zu haben. Die insgesamt 4.103 teilweise umfangreichen Fußnoten und das 69 Druckseiten umfassende Literaturverzeichnis belegen in beeindruckender Weise, wieviel Forschungsarbeit sie in dieses Projekt investiert hat. Gleichwohl wird man das Gefühl nicht los, dass eine erhebliche Straffung der Ausführungen möglich und sinnvoll gewesen wäre, um viele inhaltliche Redundanzen ebenso zu bereinigen wie zahlreiche verschachtelte Bandwurmsätze und den überbordenden Gebrauch des Nominalstils. Außerdem wird leider zu wenig deutlich, welcher praktische rechtspolitische Ertrag mit dem gewaltigen theoretischen Aufwand verbunden sein soll. Dass Wissen als solches zu würdigen ist, jedoch keinen Wahrheits- oder Objektivitätsmythos beanspruchen kann, ist der Rechts praxis seit langem geläufig.
Johannes Schulte, Die hoheitliche Einbindung sachverständiger Stellen in naturwissenschaftlich-technisch komplexen Zulassungsverfahren, Duncker & Humblot, Berlin 2020. ISBN 978-3-428-18127-8; 574 S., broschiert, € 109,90.
Mehr praktischen rechtspolitischen Ertrag erwarten lässt diese an der Leibniz-Universität Hannover entstandene juristische Dissertation. Ihr Thema ist die Frage, welche übergeordneten Strukturen für die hoheitliche Einbindung sachverständiger Stellen in naturwissenschaftlich-technisch komplexen Zulassungsverfahren ausgemacht werden können. Ausgehend von dem gerade in solchen Verfahren häufig festzustellenden Wissensvorsprung der Antragsteller gegenüber den Verwaltungsbehörden untersucht sie, ob und in welcher Form die für die Tätigkeit sachverständiger Stellen gemeinhin als selbstverständlich erachtete Anforderung der „Fachkompetenz“ regulatorisch abgesichert werden kann. Ferner soll geklärt werden, ob und inwieweit die Tätigkeit sachverständiger Stellen in solchen Verfahren einer demokratischen Legitimation bedarf und wie die Sachlichkeit und Rationalität dieser Tätigkeit als Grundlage ihrer Vertrauenswürdigkeit abgesichert werden kann. Da sich die letztere Frage nachgelagert auch auf der Ebene des Verwaltungsprozesses stellt, werden auch die Modalitäten der gerichtlichen Überprüfung der von sachverständigen Stellen in solchen Verfahren abgegebenen Entscheidungsbeiträge näherer Prüfung unterzogen. Anhand der Untersuchungsgruppen der verwaltungsberatenden, der entscheidungsbefugten und der belangwahrenden sachverständigen Stellen liefert der Verfasser eine Bestandsaufnahme und Analyse für jeweils drei Referenzgebiete dieser drei Aufgabentypen und wertet die hieraus gewonnenen Erkenntnisse sodann im Rahmen einer Gesamtschau vergleichend aus.
Als Referenzgebiete für beratende sachverständige Stellen dienen ihm die Hinzuziehung von Sachverständigen im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, die Tätigkeit der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit in gentechnikrechtlichen Zulassungsverfahren und die Rolle der Deutschen Flugsicherung GmbH bei der Zulassung von Windenergieanlagen. Dabei zeigt er auf, dass das Fachrecht in allen drei Referenzgebieten kaum konkrete Vorgaben für die Fachkompetenz und Unabhängigkeit dieser Stellen normiert. Auch eine umfassende und unabhängige gerichtliche Kontrolle der Tätigkeit dieser Stellen bzw. der von ihnen maßgeblich vorgeprägten Zulassungsentscheidungen sei häufig nur eingeschränkt möglich. Als Referenzgebiete für entscheidungsbefugte sachverständige Stellen wählt er die Bundesnetzagentur im Planfeststellungsverfahren für länderübergreifende und grenzüberschreitende Höchstspannungsleitungen, den „Gegensachverständigen“ im nationalen Arzneimittelzulassungsverfahren und die „Benannten Stellen“ im unionsrechtlich vorgegebenen Konformitätsbewertungsverfahren für Hochrisiko-Medizinprodukte. Die Einbindung dieser Stellen in die entsprechenden Zulassungsverfahren erfolge durch „schlichte“ Errichtung und Aufgabenzuweisung. Auch ihre Fachkompetenz werde nicht durch Vorgaben im kodifizierten Recht, sondern durch „bloße“ Einrichtung sowie Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln gewährleistet. Ähnliches gelte für die regulatorische Gewährleistung ihrer Unabhängigkeit, die nur im Unionsrecht für die„Benannten Stellen“ im Einzelnen vorgegeben sei. Transparenz- und Kontrollstrukturen auf der Verfahrensebene seien nur im Anlagenzulassungsverfahren durch die Beteiligung von Fachbehörden und Öffentlichkeit vorhanden, während Produkt- und Stoffzulassungsverfahren keine Betroffenen- bzw. Öffentlichkeitsbeteiligung vorsähen. Auch auf der Ebene der gerichtlichen Überprüfung unterlägen entscheidungsbefugte Stellen nur in Anlagenzulassungsverfahren, nicht aber in Stoff- oder Produktzulassungsverfahren einem vergleichsweise breiten Kontrolldruck potentieller Kläger, wobei allerdings die gerichtliche Kon trolldichte vielfach reduziert sei.
Referenzgebiete des Verfassers für die Gruppe der belangwahrenden sachverständigen Stellen sind die Tätigkeit des Bundesaufsichtsamts für Flugsicherung bei der Zulassung von Windenergieanlagen, die „verwaltungshelferähnliche“ Stellung der anerkannten Umweltverbände bei der Planfeststellung von Fernstraßenbauvorhaben und die Beteiligung von Ethik-Kommissionen bei der Genehmigung klinischer Prüfungen von Arzneimitteln. Auch in dieser Gruppe sieht der Verfasser Fachkompetenz und Unabhängigkeit der sachverständigen Stellen bisher nicht bzw. nur eingeschränkt gewährleistet. Insoweit bestehende Defizite könnten auch im Verwaltungsprozess häufig nicht sachgerecht aufgefangen oder kompensiert werden. Zur Behebung der von ihm festgestellten rechtspolitischen Defizite schlägt der Verfasser u.a. vor, Zulassungsbehörden gesetzlich zur Offenlegung der von ihnen fakultativ in die Zulassungsverfahren eingebundenen sachverständigen Stellen zu verpflichten, das Berufungsverfahren für die Mitglieder sachverständiger Kollegialgremien regulatorisch stärker zu strukturieren, die Fachkompetenz entscheidungsbefugter externer Stellen durch detaillierte Anforderungen im Fachrecht oder durch besondere Verfahren zu gewährleisten, die Beachtung unabhängigkeitssichernder Abstands- und Distanzgebote durch obligatorische Veröffentlichung ministerieller Weisungen sowie durch behördliche Dokumentationspflichten beim Umgang mit eingeholten Sachverständigenvoten stärker abzusichern, eigene Anhörungspflichten sachverständiger Stellen mit verwaltungsintern bindenden Entscheidungsbeiträgen zu begründen, den Kontrollmechanismus der Dritt- und Öffentlichkeitsbeteiligung sachgebietsspezifisch auszuweiten sowie eine Pflicht zur Begründung und Publizierung binnenrechtlich wirkender Entscheidungsbeiträge zu normieren. Dem Vorschlag einer staatlich errichteten Gutachtenstelle steht er dagegen skeptisch gegenüber. Die Untersuchung ist übersichtlich gegliedert, konsequent strukturiert, sprachlich klar formuliert und besticht durch ihre Verbindung konkreter Detailaussagen über den Rechtsrahmen und die Rechtspraxis der ausgewählten Referenzgebiete mit einer generalisierenden Herausarbeitung der abstrakt-organisatorischen Anforderungen an sachverständige Stellen, die in naturwissenschaftlich-technischen Zulassungsverfahren hoheitlich eingebunden werden sollen. Sie stellt damit eine praxisnahe und zugleich rechtswissenschaftlich fundierte Grundlage für alle rechtspolitischen Bemühungen dar, die administrativen Wissensgenerierungs- und Entscheidungsprozesse im demokratischen Rechtsstaat organisations- und verfahrensrechtlich adäquat auszugestalten.
Christopher Langer, Die Endlagersuche nach dem Standortauswahlgesetz. Normgebung zwischen Konsistenz und Widerspruch, Duncker & Humblot, Berlin 2021. ISBN 978-3-428-18110-0; 562 S., geb., € 119,90.
Thema dieser an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg entstandenen juristischen Dissertation ist das im Standortauswahlgesetz festgelegte Verfahren zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle unter höchst komplexer Beteiligung von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Zur Aufarbeitung der Ausgangssituation dieses einzigartigen legislativen Experiments stellt der Verfasser zunächst die über 50-jährige bisherige Geschichte der Endlagersuche dar und versucht sodann, die Komplexität der dem Gesetzgeber gestellten Aufgabe auch aus sozial- bzw. politikwissenschaftlicher Perspektive zu erklären. Dabei geht es insbesondere um die Rolle der Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimitätsfaktor für Entscheidungsprozesse. Partizipation und Öffentlichkeitsbeteiligung solle in dieser Funktion zuvörderst Akzeptanz in der Bevölkerung und bei den konkret Betroffenen erzeugen. Unerlässlich dafür sei, dass die Chancen, aber auch die Grenzen von Partizipationsformen von Beginn an klar benannt würden. Zu diesen Grenzen gehöre, dass die Letztentscheidung über ein solches politisches Projekt nach dem Prinzip der repräsentativen Demokratie bei den staatlichen Institutionen verbleiben müsse.
Auf dieser Grundlage folgt als Hauptteil des Werkes die Analyse des rechtlichen Rahmens der Endlagersuche. Erkenntnisleitend ist für den Verfasser dabei die Frage, inwieweit die verfahrensrechtliche Konstruktion des Standortauswahlgesetzes einen konsistenten Regelungsrahmen zur Gewährleistung der Projektrealisierung bietet oder ob die ambivalente Zielsetzung des Gesetzgebers nicht eher zwangsläufig Widersprüche produziert. Dieser versuche, mit einem prononciert auf Verfahrenstransparenz und umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung angelegten Weg der in verschiedene Phasen gestuften Legalplanung mehr Akzeptanz in der Bevölkerung zur Umsetzung der atomrechtspolitischen Ziele zu gewinnen. Untersucht wird im Einzelnen, inwieweit die Regelungen des Standortauswahlgesetzes den völker-, europa-und verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werden und inwiefern das Verfahren geeignet ist, die gesellschaftspolitischen Spannungen um die atomare Entsorgung zu lösen. Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis, dass das Standortauswahlgesetz sich zwar im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums halte und mit der Komplexitätsreduktion durch ein gestuftes Legalplanungsverfahren unter Vorstrukturierung der jeweiligen Gesetzesvorhaben durch pluralistisch besetzte Expertengremien insoweit auch einen konsistenten Weg beschreite. Es leide jedoch an einem schwerwiegenden konzeptionellen Widerspruch, weil die Öffentlichkeitsbeteiligung als Schlüssel zur Herstellung von Akzeptanz für die Entscheidungsfindung dargestellt werde, tatsächlich aber keine effektiven Einflussmöglichkeiten für die Öffentlichkeit beständen. Das sei zwar der repräsentativen Demokratie immanent, werde aber nicht ehrlich und klar kommuniziert. Deshalb drohe die Diskrepanz zwischen den systematisch hochgeschraubten Partizipationserwartungen der Bevölkerung und ihren tatsächlich nicht gegebenen Mitentscheidungsbefugnissen zunächst mühsam aufgebautes Vertrauen zu zerstören und erneuter Frustration den Boden zu bereiten. Diese Gefahr der „Partizipationsverflechtungsfalle“ sei mit dem ausdifferenzierten Beteiligungssystem des Gesetzes nicht gebannt, sondern vielmehr institutionell angelegt. Die Politik müsse diesen inneren Widerspruch des Gesetzes mit einer klaren und ehrlichen Kommunikationsstrategie überwinden.
Sarah Langstädtler, Effektiver Umweltrechtsschutz in Planungskaskaden. Untersucht für die Planungsverfahren des FStrG, NABEG und StandAG, Nomos, Baden-Baden 2021. ISBN 978-3-8487-7028-1; 578 S., broschiert, € 138,00.
Die hier bisher besprochenen Werke behandeln die Beteiligung von Wissenschaft und Öffentlichkeit an komplexen hoheitlichen Entscheidungen vorrangig aus dem Blickwinkel der Staatstheorie, der Verwaltung und der Gesetzgebung. Demgegenüber befasst sich diese an der Universität Bremen entstandene Dissertation mit dem im Rechtsstaat nicht minder wichtigen Thema des effektiven Rechtsschutzes gegen solche Entscheidungen im Bereich des Umweltrechts. Konkret geht es um den Rechtsschutz bei gestuften Verwaltungsverfahren („Planungskaskaden“), die insbesondere für die Planung und Zulassung von Infrastrukturprojekten vorgesehen sind. Dabei stehen sich zwei Rechtsschutzmodelle gegenüber: Beim überwiegend angewandten Modell des konzentrierten Rechtsschutzes ist ein Rechtsschutz nur gegen die Entscheidung der letzten Verfahrensstufe eröffnet, innerhalb dessen die auf den vorgelagerten Planungsstufen getroffenen Entscheidungen nur inzident überprüft werden können. Beim Modell des phasenspezifischen Rechtsschutzes können Entscheidungen der jeweiligen Verfahrensstufe dagegen direkt in einem behördlichen oder gerichtlichen Verfahren überprüft werden.
Die Verfasserin untersucht anhand der Referenzgebiete Bundesfernstraßenplanung, Höchstspannungsleitungsplanung und Planung des Endlagerstandorts für hoch radioaktive Abfälle, inwiefern die Vorstufenentscheidungen der dabei vorgesehenen Planungskaskaden gerichtlich überprüfbar sind und ob hierbei ein effektiver Rechtsschutz zur Durchsetzung umweltrechtlicher Vorschriften gewährleistet ist. Im Einzelnen behandelt sie die Grundfunktionen des Verwaltungsrechtsschutzes, die dabei bestehenden Instrumente und die besonderen rechtsschutzbeeinflussenden Merkmale in Planungskaskaden. Anschließend werden die Planungskaskaden in den drei Referenzgebieten dargestellt sowie die jeweilige Ausgestaltung der Rechtsschutz instrumente in diesen Gebieten untersucht und bewertet. Auf dieser Grundlage gelangt die Verfasserin zu dem Ergebnis, dass das konzentrierte Rechtsschutzmodell in der Höchstspannungsleitungsplanung – anders als in der Bundesfernstraßenplanung – trotz der exzessiven Öffentlichkeitsbeteiligung bei solchen Vorhaben und dem Fehlen von Präklusionsvorschriften keinen umfassend effektiven Rechtsschutz bei der Inzidentkontrolle von Fehlern der hier vorgesehenen, für die Planfeststellungsverfahren verbindlichen Bundesfachplanung ermögliche. Insbesondere die fehlende gerichtliche Durchsetzbarkeit der Vorgaben für die in der Bundesfachplanung durchzuführende Strategische Umweltprüfung einschließlich einer etwaigen FFH-Verträglichkeitsprüfung widerspreche dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot. Demgegenüber ermögliche das für die atomare Endlagerstandortsuche gewählte phasenspezifische Rechtsschutzmodell in seiner gesetzlichen Ausgestaltung dort einen effektiven Umweltrechtsschutz, obwohl die auch dort vorgesehene umfangreiche Öffentlichkeitsbeteiligung letztlich ohne Einfluss auf die vom Gesetzgeber zu treffenden Entscheidungen bleiben könne. Das umweltrechtliche Rechtsschutzdefizit beim konzentrierten Rechtsschutz zur Inzidentkontrolle der Bundesfachplanung könnte, wie die Verfasserin vorschlägt, durch Instrumente beseitigt werden, die in der Bundesfernstraßenplanung und Endlagerstandortplanung angewandt werden. Dazu gehöre insbesondere die Einräumung eines phasenspezifischen Rechtsschutzes gegen die Entscheidung in der Bundesfachplanung, die Zulassung einer Abweichung von deren strenger Bindungswirkung oder die gänzliche Abschaffung der Bundesfachplanung. Die Verfasserin räumt jedoch ein, dass die gesetzgeberische Motivation für entsprechende Neuregelungen gering sein dürfte, da die Bundesfachplanung mit ihrer strikten Bindungswirkung bewusst eingeführt worden sei, um eine Beschleunigung in der Planung zu erreichen. Der unter Berufung auf „die Wissenschaft“ erhobene Absolutheitsanspruch des Klimaschutzimperativs, der neuerdings alle politischen Handlungsfelder und die ihnen institutionelle Gestalt verleihenden Rechtsgebiete durchdringen und überlagern will, und der auch eine größtmögliche Beschleunigung des für die „Energiewende“ existentiellen Ausbaus der länderübergreifenden und grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen gebietet, dürfte diese Motivation nicht erhöhen, sondern auf Kosten aller anderen Umweltrechtsgüter endgültig ersticken. Ob die rechtsprechende Gewalt allein die Kraft finden wird, diesem politisch wirkmächtigen Zeitgeist effektiv entgegenzutreten, ist eher zweifelhaft. (us)
Dr. iur. Ulrich Storost war bis zum Eintritt in den Ruhestand im Herbst 2011 Mitglied des für Teile des Fachplanungsrechts zuständigen 9. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts. Er gehörte diesem Senat seit 1993 als Richter, von 2004 bis 2011 als Vorsitzender Richter an. Neben seinem Hauptamt war er von 1997 bis 2004 Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin. Seit 1991 ist er Mitautor eines Loseblattkommentars zum Bundes-Immissionsschutzgesetz.
ulrich.storost@t-online.de