Kunst

Das große Handbuch zur Berliner Secession

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 3/2018

Anke Matelowski: Die Berliner Secession 1899-1937. Chronik Kontext Schicksal. Wädenswil am Zürichsee: NIMBUS. Kunst und Bücher AG, 2017. 671 S. (Quellenstudien zur Kunst. Band 12) ISBN 978-3-03850-033-9. € 34.00

Secession bezeichnet eine Kunstbewegung, die sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Frankreich aus in zahlreichen Ländern, vor allem in Europa, aber auch in Japan und Russland, entwickelt.

Die 1899 gegründete Berliner Secession gilt bisher als schlecht erforscht. Ohne Zusammenhänge oder Hintergründe zu erfragen, wird bis in die Gegenwart hinein desinformiert, ungesicherte Informationen zu den einfachsten Daten und Fakten verbreiten sich in den verschiedensten Veröffentlichungen. Insbesondere die mit der Spaltung der Secession 1913 einhergehenden Verwerfungen und ihre Aktivitäten in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus sind kaum bekannt. Anke Matelowski, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Archiv der Akademie der Künste Berlin, forscht seit 1998 zur Berliner Secession und legt mit einer beeindruckenden Leistung ein fulminantes Grundlagenwerk vor. Akribisch trägt sie unzählige schriftliche Quellen zusammen – Protokolle und Ausstellungskataloge der Secession, die schriftlichen Nachlässe der Künstler, die an der Organisation der Secession führend beteiligt sind und deren Personalakten, Unterlagen aus dem institutionellen und politischen Umfeld der Secession sowie Beiträge in Kunstzeitschriften und Tageszeitungen. Auf diesen Grundlagen aufbauend erzählt sie die Geschichte der Secession erstmals überhaupt in Gänze, eingebunden in den kunst- und kulturpolitischen Kontext der Zeit, in ihre Beziehungen zu anderen Vereinigungen und in ihre internationalen Aktivitäten. In ihrer von Quellen fast überbordenden Studie beleuchtet Matelowski die Gründungsgeschichte der Berliner Secession und die Jahre vom Ersten Weltkrieg über die Weimarer Republik bis in den Nationalsozialismus und ihrer, allerdings nicht durch Quellen zu belegenden, Auflösung Anfang 1937 („Unklar ist bis heute, ob sie verboten wurde oder sich selbst auflöste“ S. 551). Die Arbeit umfasst sechs Hauptkapitel. Die ersten beiden Kapitel thematisieren die Geschichte der Secession im Kaiserreich bis zur Gegengründung und Abspaltung 1913 und die Entwicklung von der Spaltung bis zum Tod von Lovis Corinth 1925. Kapitel 3 stellt in der ersten Hälfte den Kontext von 1925 bis zum Ende der Weimarer Republik dar, insbesondere die Situation der bildenden Künstler in Berlin, deren Ausbildung und Förderung und die Selbsthilfeorganisationen, in der zweiten Hälfte wird über die Struktur, das Selbstverständnis und das Vereinsleben und die Ausstellungen der Secession berichtet. Kapitel 4 behandelt die Beziehungen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Künstlervereinigungen und zur Preußischen Akademie der Künste. Kapitel 5 stellt die gravierenden Umbrüche in der Kunstpolitik und ihrer Auswirkungen auf alle Künstlervereinigungen nach 1933 dar, während folgerichtig das abschließende Kapitel 6 diese Geschehnisse auf die Secession projiziert. Das alles ist eingebettet in eine Einleitung und eine Zusammenfassung und ergänzt um Fotos in Hülle und Fülle und einen fast 100seitigen Anhang mit zahlreichen Verzeichnissen (z.B. Mitglieder der Secession von 1899–1937 und für diesen Zeitraum deren Präsidenten, 1. Vorsitzende, Sekretäre und Geschäftsführer, Ausstellungen der Secession), einem Verzeichnis der Quellen und einem Personenverzeichnis. Fazit: Die Berliner Secession ist nicht nur die bedeutendste Künstlervereinigung in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg, sie ist die Geburtsstätte der „Klassischen Moderne“ in Deutschland. Sie ist „eine lebendige, sich stetig verändernde Künstlergemeinschaft.“ (S. 554) Ihre Mitglieder suchen künstlerische Ausdrucksformen jenseits der akademischen Repräsentationskunst des Kaiserreichs, sie wollen sich international ausrichten, alle Stilrichtungen zulassen, das starre Ausbildungssystem der Akademie reformieren und das Ausstellungswesen grundlegend umwandeln. „Die Vielzahl der künstlerischen Richtungen reichte vom Impressionismus und Expressionismus bis zu allen Formen des Nachexpressionismus und der Neuen Sachlichkeit.“ (S. 552) Zu den Protagonisten gehören Lovis Corinth, Walter Leistikow, Max Liebermann und Max Slevogt. Nach dem Untergang des Kaiserreichs unterliegt die Berliner Secession einem Funktionswandel, der sich aus den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ergibt.

Anke Matelowski schließt eine große Lücke und legt ein wissenschaftliches Standardwerk ersten Ranges zur Geschichte der Secession und zur Geschichte Berlins in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vor. Und es ist ein schönes Kunstbuch überdies.

Prof. em. Dieter Schmidmaier dieter.schmidmaier@schmidma.com

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