Recht

Das Familienalbum der Staatsrechtswissenschaft

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2018

Häberle, Peter/Kilian, Michael/Wolff, Heinrich Amadeus (Hrsg.): Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Deutschland – Österreich – Schweiz., 1. Aufl., Verlag de Gruyter Berlin 2018, 1342 Seiten, 2. neu bearb. und erw. Aufl., ISBN 978-3110541458, € 159,95.

Die Geschichte der deutschsprachigen Staatsrechtswissenschaft lässt sich in einem biographischen Ansatz auch als Lebensgeschichte der sie prägenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erzählen. Als „Leitpublikation“ der Geschichte des öffentlichen Rechts in diesem Ansatz kann die Vorauflage des hier besprochenen Werkes (dazu: Droege, FBJ 2015/1) gelten: „Peter Häberle, Michael Kilian und Heinrich Amadeus Wolff haben für den deutschsprachigen Wissenschaftsraum nun nichts anderes getan, als die Knotenpunkte des Netzwerkes der Wissenschaft des öffentlichen Rechts, die führenden Staatsrechtslehrer, in Form eines Personenlexikons zu würdigen und dabei gleichsam ein Bild der Entwicklung des öffentlichen Rechts und der Brüche und Abwege dieser Entwicklung im Spiegel der Biografien führender Wissenschaftlerpersönlichkeiten zu zeichnen.“ Das war und ist ein großes Werk, gerade weil die Kritik nahe liegt: Die Auswahl der Personen ist natürlich auch von den Vorlieben und Bewertungen der Herausgeber bestimmt; die biographischen Würdigungen, in der Mehrzahl von engen Wegbegleitern und akademischen Schülern verfasst, sind nicht frei von zu großer Nähe und kritischer Distanz. Staatsrechtslehrer können auch furchtbare Juristen sein und die Systemumbrüche des 20. Jahrhunderts sind in zu vielen Fällen gerade von personaler Kontinuität der Wissenschaftselite geprägt. Die Herausgeber haben auch in der Neuauflage diese Ansatzpunkte der Kritik offen angenommen und sich bewusst zu den Schwächen der Grundstruktur des Werkes bekannt. Das ist gut so! Der Gewinn liegt nämlich in bunten biographischen Vignetten, die nicht weichgespült sind vom Strom politischer Korrektheit. Nähe und Distanz lassen die Personen plastischer werden als wohlabgewogene lexikalische Wissenschaftsbiographien andernorts. Die Grundstruktur des Werkes ist im Vergleich zur Vorauflage unverändert: Der Band ist dabei chronologisch nach den Geburtsjahrgängen der Dargestellten geordnet und verzichtet auf die Aufnahme noch lebender Staatsrechtslehrer und Staatsrechtslehrerinnen. Aufnahme gefunden haben nunmehr 82 Porträts, den Auftakt macht Albert Hänel mit dem Geburtsjahr 1833 und den Schlussstein setzt Winfried Brugger, Jahrgang 1950. Die Portraits folgen einer im Großen und Ganzen einheitlichen Grundstruktur: Sie beginnen jeweils mit einer kurzen Biografie des Staatsrechtslehrers, dem schließt sich ein kurzer Abriss des wissenschaftlichen Werkes an. Beschlossen werden die Porträts mit einer kurzen Einschätzung der Rolle und der (bleibenden) Bedeutung des wissenschaftlichen Werkes im Gesamtzusammenhang des Faches. Den lexikalischen Wert des Buches machen überdies abschließende Quellen- und Werknachweise aus. Die Erweiterungen zur Neuauflage entfernen sich nur dort, wo es sich ersichtlich um Zweitverwertungen anderer Texte handelt, etwa zu Fritz Morstein Marx, ein wenig von diesem Schema. Das Suchen im Buch wird erleichtert durch ein neu aufgenommenes Personenverzeichnis und ein alphabetisches Verzeichnis der Portraitierten. Höchst bedauerlich ist, dass der Beitrag zum Vater der modernen Steuerrechtswissenschaft, Albert Hensel, wohl von einem säumigen Autor nicht fertig gestellt worden ist (Vorwort, S. IX). Schade auch, dass die Verfasser externe Portraits, auf die sie verweisen, auch in der Neuauflage nicht aufnehmen konnten. Das betrifft vor allem ein fehlendes Portrait von Roman Schnur. Das Programm des Werkes ist notwendig unvollendet. Das Totengedenken prägender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die das Gesicht der Staatsrechtwissenschaft des 20. Jahrhunderts bestimmt haben, ist ein ständiger Begleiter. So wird das Werk hoffentlich in einigen Jahren eine weitere Auflage finden, in der die jüngst Verstorbenen ihren Platz finden. Zu ihnen zählt auch die großartige Ilse Staff, die als Staatsrechtslehrerin das auch in der Neuauflage rein männliche Walhalla hoffentlich bereichern wird. Gewidmet ist auch die Neuauflage der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer und sie ist ein Baustein der kollektiven Identität der hier Vereinigten. Das Werk ist beides: wissenschaftsadäquate Form des Totengedenkens und buntes Familienalbum!

Der Gewinn liegt in bunten biographischen Vignetten, die nicht weichgespült sind vom Strom politischer Korrektheit. Nähe und Distanz lassen die Personen plastischer werden als wohlabgewogene lexikalische Wissenschaftsbiographien andernorts.

Univ.-Prof. Dr. Michael Droege (md) war von 2010 bis 2014 Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht zunächst an der Universität Osnabrück und dann an der Universität Mainz. Seit 2015 hat er einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Verwaltungsrecht, Religionsverfassungsrecht und Kirchenrecht sowie Steuerrecht an der Eberhard Karls Universität Tübingen inne. sekretariat.droege@jura.uni-tuebingen.de

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