Das Besondere Buch

Das Besondere Buch

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 4/2021

Anita Daniel: Mondän ist nicht mehr modern. Feuilletons über die Mode. Die Kunst und das Leben. Texte aus „Die Dame“, „Uhu“, „Aufbau“ und Büchern / hrsg. Katja Behling und Thomas B. Schumann. Hürth: Edition Memoria Thomas B. Schumann, 2021. 263 S., ISBN 978-3-930353-40-8, € 35,00.

Entdeckungen ohne Ende! Hier versammelt sind 120 Texte aus sechs Jahrzehnten aus einem schier unerschöpflichen Reservoir. Wundervolle Feuilletons geben sich ein Stelldichein mit exzellenten Aphorismen. Eine Fülle geistvoller, sehr kurzweiliger Beiträge einer mehrere Jahrzehnte währenden Journalisten-Karriere. Sie entstammen aus heute eher unbekannten Zeitschriften: dem tonangebenden Gesellschaftsund Modemagazin der Weimarer Republik Die Dame von 1925 bis 1932, der für Kultur und Wissenschaft wegweisenden Zeitschrift Uhu von 1928 bis 1933, der in New York erscheinenden deutschsprachigen jüdischen Emigrantenzeitung Aufbau von 1939 bis 1978 und aus Büchern, die zwischen den vierziger und siebziger Jahren publiziert werden. Verfasst von Anita Daniel (1892– 1978). Von Anita Daniel? Dem Rezensenten, der sich seit vielen Jahren mit Frauenbiographien beschäftigt, ist eine Autorin dieses Namens noch nicht begegnet – leider. Dank dieser vorzüglichen, mit einem trefflichen Nachwort von Katja Behling und zahlreichen Bildern von Ernst Dryden (1887–1937), einem der bedeutendsten Plakatkünstler für Werbung, Mode und Stummfilm, versehenen Ausgabe wird uns nun eine exzellente Feuilletonistin nahe gebracht. Und das unter dem überaus erfolgreichen Mitherausgeber Thomas B. Schumann, der 2018 für die Edition Judith Kerr: Geschöpfe. Mein Leben und Werk (rez. in fachbuchjournal 11(2019)2, S. 58-59) im Rahmen der Hotlist 2018 der besten Bücher der unabhängigen Verlage den Medienpartner-Preis des Freitag erhält und 2021 einer der 66 Preisträger des Deutschen Verlagspreises ist, für den sich 366 Verlage beworben haben. 1892 wird Anita Daniel als Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie in der rumänischen Universitätsstadt Jassy geboren. Sie wird zweisprachig, Deutsch und Französisch, erzogen, geht viel auf Reisen, immer wieder auch in die Schweiz, die zur Wahlheimat wird. Als Anita Daniel mit dem Schreiben beginnt, sind das Elend des Weltkrieges vergessen und die Spanischen Grippe vorbei. Nach den großen Entbehrungen und Verlusten sehnt sich das Volk nach Vergnügen, Anmut, Eleganz, Leichtigkeit und Heiterkeit und nach Teilhabe an den Erfindungen jener Zeit wie Film, Fotografie und Automobil. Diesen Bedürfnissen kommt Anita Daniel in ihren Feuilletons nach und wird eine der bekanntesten Journalistinnen für den Boulevard. In den hier versammelten Feuilletons erfährt der Leser mehr vom Berlin der 1920er Jahre als in mancher Monographie.

Großartige Feuilletons über den Sex Appeal, ein neues Schlagwort für eine alte Sache (1928), die Frauen von New York (1950), „man fährt zur Kur“ (1929), heiße Würstchen (1942), die ersten Erdbeeren (1942) und Johannisbeeren“ (1957), Gratulationen für Martin Gumpert (1947) und Eric P. Mosse (1961) und in Memoriam Ruth Landshoff-Yorck (1960).

Wunderbare Aphorismen wie „Ein wahrer Dichter übertreibt nie – er strömt über“ (1941), „Launenhaft bedeutet, wenn eine Frau nicht weiß, was sie will. Und heute weiß sie es – oft mehr, als manchem lieb ist“ (1928) oder „Ein Glück, daß das Fernsehen noch nicht ganz fertig erfunden ist. So kann man einander doch unbelastet ein frohes neues Jahr wünschen“ (1942). „Eine so radikal subjektive Sicht auf die Dinge – wer traute sich das schon? Ihre Texte folgen einer feinen Dramaturgie, haben meist zwei Ebenen und handeln von etwas Unausgesprochenem, heben an mit einem Thema, um am Ende bei einem ganz anderen zu landen und mit einer überraschenden Synthese zu schließen. Sie sind reflektierend und unterhaltend, lakonisch, mitunter ironisch, nie zynisch, immer souverän.“ (S. 246-247) Sie ist eine Feuilletonistin vom Rang eines Alfred Polgar und einer Helen Hessel.

Von ihrem Privatleben gibt Anita Daniel nicht viel preis. Wir wissen aus verschiedenen Quellen, dass sie 1912 den Physiker Hans Joachim heiratet, einen kulturaffinen Wissenschaftler, der u.a. Akustik-Apparaturen für die neue Tonfilm-Technik entwickelt. 1933 muss sie als Jüdin Deutschland verlassen, emigriert in die Schweiz, sechs Jahre später übersiedelt sie in die USA. Auch dort ist sie kreativ und macht sich schnell einen Namen, veröffentlicht drei Jahrzehnte lang im Aufbau und schreibt Bücher.

Das Buch ist ein Lesegenuss. Es ist überdies großartig gestaltet – großformatig, ausgezeichnetes Layout, sorgfältig ausgewähltes Bildmaterial. Großes Kompliment! P.S. 1957 schreibt Anita Daniel in dem Feuilleton „Der Virus“: „Es wird immer vom Virus in der Einzahl gesprochen. Der naheliegende Plural von den Virussen ist bisher nicht gebraucht worden, obwohl dies ebenfalls zeitgemäße Assoziationen ergeben könnte.“ (S. 215)

Prof. Dr. Dieter Schmidmaier, dieter.schmidmaier@schmidma.com

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