Im Fokus

Darf´s ein bisschen mehr sein?

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2020

„Über die Wertschätzung unseres Essens und die Liebe meines Vaters zu seinem Beruf“, der Untertitel von Klaus Reicherts Buch „Fleisch ist mir nicht Wurst“ machte mich besonders neugierig. Klaus Reicherts Großvater und sein Vater waren Metzger. Sein Bruder ist Metzger. Die Liebe eines Metzgers zu seinem Beruf? Und das in Zeiten von skandalösen Zuständen in Riesenschlachthöfen und in der Massentierhaltung?

Erwartet habe ich anstrengende Lektüre. Das Gegenteil ist der Fall. Klaus Reichert hat ein wunderbares Buch geschrieben. Er verbindet die autobiografische Erzählung und die Geschichte seiner Metzgerfamilie, der „Haxen Reicherts“ aus Frankfurt-Höchst, mit historischem und aktuellem Wissen über den Metzgerberuf. Dabei gelingen ihm wohltuend undogmatische und kluge Betrachtungen über das Thema Fleisch und Fleischkonsum. (ab)

Herr Reichert, wer kam auf die Idee für dieses Buch? Ist es ein gemeinsames Projekt der beiden Metzgerbuben Klaus und Thomas?

Wenn ich von unserer Kindheit erzähle, habe ich immer den Eindruck, die Leute glauben, mein Bruder und ich wären auf einem fremden Planeten aufgewachsen. Über dieses fremde Leben in der Mitte der Gesellschaft wollte ich schon immer schreiben. Wirklich angefangen habe ich dann, nachdem ich auf der Autobahn einen LKW überholte, der Fleisch transportierte. Der Lastwagen war bedruckt mit lachenden Kühen und Schweinen. Weiter kann man sich von der Realität nicht mehr entfernen. Die Leute wissen heute kaum noch etwas darüber, wo ihr Essen herkommt und was nötig ist, damit das Schnitzel auf dem Teller landet. Der dritte Grund hat mit unserer Familientradition zu tun. Mein Bruder Thomas war der Meinung, ich könnte mal meine Fähigkeiten als Schriftsteller in den Dienst der Familie stellen. Das Buch ist eine Hommage an den Metzgerberuf, der sehr hart ist, es ist eine Verbeugung des Künstlers vor dem Handwerk.

Gehen wir gleich ans Eingemachte. „Knaargh!“. Mit diesem Wort umschreiben Sie ein Geräusch – und mit diesem Wort beginnt Ihr Buch. Sie waren fünf Jahre alt, als Sie dieses Geräusch das erste Mal hörten. Es begleitet Sie durch Ihr Leben. Dieses „Knaargh!“ zieht sich auch wie ein roter Faden durch Ihr Buch. Beschreiben Sie bitte diese Szene.

Stellen Sie sich einen kleinen, kargen Bauernhof in Hohenlohe vor, der so gar nichts mit der Idylle zu tun hat, die wir heute in den Medien vorgegaukelt bekommen, wenn über das lustige Landleben berichtet wird. Die Geschwister meines Großvaters Hans lebten von der Hand in den Mund. Sie waren arm, einfache aber herzliche Menschen. Mittendrin in dieser Gemeinschaft aus Erwachsenen und Kindern stand mein Vater Willi damals auf dem Hof mit einem Beil in der Hand. Ein Schwein wurde aus dem Koben geführt, trottete voller Vertrauen – es kannte ja die Menschen, die es aufgezogen hatten gut – zur Stalltür heraus, blieb vor mir stehen und blinzelte mir freundlich zu. Papa hob die Axt in den Himmel und hieb mit voller Wucht mit der Rückseite des Blattes auf den Hinterkopf des Tieres. Ich war geschockt über die Gewalt, mit der mein sonst so sanfter Vater zugeschlagen hatte. Dieses „Knaargh!“ drang in meinem Körper ein. Ich kann es jetzt spüren, da ich Ihnen davon erzähle.

 

Klaus Reichert, Fleisch ist mir nicht Wurst, Harper Collins, Hamburg 2020, 192 S., ISBN 978-395967-369-3, € 16,00.

Das ist ja auch dramatisch.

Ja, für mich als Stadtkind war das eine traumatische Erfahrung. Für meine Verwandtschaft vom Land war das ein Fest, sie hatten die nächsten Monate satt zu essen. Ich würde meinem Vater niemals vorwerfen, mich diesem Teil des Schlachtvorgangs ausgesetzt zu haben. Er hätte mich nur besser darauf vorbereiten müssen.

„Über 55 Millionen Schweine und 3,4 Millionen Rinder werden jedes Jahr in Deutschland zur Schlachtbank geführt. Dazu kommen 660 Millionen Hühner, 1,7 Millionen Schafe, Lämmer und Ziegen. Allesamt Nutztiere, die nur geboren werden, damit wir sie aufessen können. Doch bevor diese Lebewesen in Folie eingeschweißt als Mortadella mit Grinsegesicht im Kühlregal landen, als delikates Dry-Aged-Steak im Fleischhumidor hängen oder als gebackener Leberkäse in der heißen Theke liegen, müssen wir die Tiere umbringen. Das Töten gehört zu unserer Natur. Wir verdrängen das nur gerne. Wir tun so, als wüssten wir nicht oder hätten wir vergessen, wie das Fleisch und die Wurst in die Kühlregale und Ladentheken beim Metzger und im Supermarkt kommen.“

 

Klaus (links) und Thomas Reichert.
© Thomas Balzer

Klaus Reichert, geboren 1963 in FrankfurtHöchst, wuchs in einer Metzgerfamilie auf. Er ist Journalist und schreibt Drehbücher und Hörspiele, hat als Ghostwriter Sachbücher verfasst und moderiert im Radio Talksendungen und aktuelle Magazine.

Klaus Reichert gehört zu den Gründern der Künstlergruppe Gotensieben, deren Ausstellung „Metzgerei Seele & Söhne“ große Beachtung fand.

Gemeinsam mit seinem Bruder Thomas, der den Familienbetrieb in dritter Generation führt, diskutiert er in dem Podcast „DieWelt-von-hinter-der-Fleischtheke“ Fragen zu den Themen Fleisch, Wurst, Schlachten und Tierwohl.

Klaus Reichert ist auch Kommunikationsberater eines Bestattungshauses und produziert mit dem Bestatter David Roth den Podcast „Talk about Tod“.

Wie ist es Ihnen dann im weiteren Verlauf damit ergangen, in einer Metzgerfamilie zwischen Schweinehälften und Kuhaugen und mitten in einem immer sehr geschäftigen Familienbetrieb aufzuwachsen?

Es war schrecklich und schön zugleich. Schön, weil die Metzgerei für uns ein Abenteuerspielplatz war. Kinder spielen mit allem, was sich ihnen bietet. Wir haben uns tatsächlich mit Kuhaugen beworfen, wir haben unsere Arme als Mutprobe in Eimer mit Blut und Därmen gesteckt und im Kühlhaus Polarforscher gespielt. Natürlich haben wir wie Rocky Balboa die Rinder und Schweinehälften als Boxsäcke benutzt.

Schrecklich war, dass unsere Eltern und Großeltern nie Zeit für uns hatten. In unserem Familienbetrieb wurde rund um die Uhr geschuftet und auch am Wochenende haben Oma und Opa ihre Metzgerkittel und Schürzen nie ausgezogen.

 

Die beiden Metzgerbuben Klaus (vorn) und Thomas mit Mutter Doris.
© Alle Fotos privat

Hat Sie das alles in besonderer Weise geprägt, eventuell auch anders als Gleichaltrige in den 1960er- und 70er-Jahren?

Ich war ein sensibles und sehr dünnes Kind. Die Metzgergesellen haben mir hinterhergerufen: „Da ist ja der Klausi, der einzige Metzgerbub, der beim Laufen klappert.“ Machen wir uns nichts vor. In einer Metzgerei ist der Tod allgegenwärtig. Die Tiere sterben, weil wir Hunger haben. Ohne Fleisch kein Mensch. Wir leben so gut, weil wir es an die Spitze der Nahrungskette geschafft haben. Wenn in meiner Gegenwart jemand die abgedroschene Formulierung „… das Leben ist kein Ponyhof“ verwendet, dann schicke ich hinterher: „Auch auf dem Ponyhof kommt irgendwann der Abdecker.“ In meinem Buch sterben ja nicht nur die Tiere, ich schreibe auch über den Tod meines Vaters und meines Großvaters. Dieses Bewusstsein, dass es irgendwann für jeden von uns vorbei ist und wir unsere Zeit nutzen sollten, das habe ich schon sehr früh gelernt. Auch wenn es merkwürdig klingt, das war eine sehr wertvolle Erfahrung für mich.

Ihr Bruder Thomas ist Inhaber der Metzgerei HaxenReichert in Frankfurt-Höchst und Obermeister der Fleischerinnung Frankfurt-Darmstadt-Offenbach. Er bezieht seine Rinder von regionalen Höfen. Er weiß, in welcher regionalen Schlachtstätte sie geschlachtet werden. Das hört sich gut an. Wie diskutieren Sie beide das Thema Massentierhaltung, Tierschutz und industrielle Fleischerzeugung?

Ja, das ist so, mein Bruder verkauft kein Fleisch aus Massentierhaltung. Er ist aber überzeugt davon, dass wir diese Haltungsform brauchen, wenn wir die Leute satt bekommen wollen. Wir essen allein in Deutschland jedes Jahr viele Millionen Schweine, Rinder und Hühner. Dass diese Mengen nicht in Freilandhaltung aufzuziehen sind, müsste jedem klar sein. Wir müssen als sehr wohlhabende Gesellschaft aufpassen, dass wir uns da nicht in die Tasche lügen. Und mit dem weitverbreiteten Empörungsgehabe kommen wir auch nicht weiter.

 

Opa Hans und Vater Willi Reichert mit Gesellen in der Wurstküche.

Machen wir uns nichts vor. Fast 90 Prozent der Tiere werden in zehn riesigen Schlachtfabriken in NRW und Niedersachsen geschlachtet. Wenn wir wegwollen von dieser Art der industriellen Fleischproduktion, müssen wir viele kleine regionale Schlachthöfe bauen. Jede größere Stadt und jede Region sollte einen eigenen Schlachtbetrieb betreiben unter staatlicher Kontrolle. Das wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Nur, wenn Ihr Bürgermeister jetzt sagen würde, wir bauen am Stadtrand einen Schlachthof, was glauben Sie, was da los wäre?

Ich will es mir gar nicht vorstellen. Und die nächste Wahl würde er krachend verlieren.

Sehen Sie, und das ist das Problem. Alle wollen leckeres Fleisch. Nur 6 Prozent der Bevölkerung ernähren sich vegan oder vegetarisch. Aber keiner will einen Schlachthof in seiner Nähe.

Die Fleischfabriken sind in den späten 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre entstanden. Das war damals politisch so gewollt. Man hat die regionalen Schlachthöfe geschlossen und daraus eine Industrie gemacht. In den Fabriken werden bis zu 30.000 Tiere am Tag geschlachtet. Mit dieser Entwicklung verschwand der Schlachtvorgang aus dem Blick und das ist vielen auch ganz recht so. Natürlich ist die Aufregung immer groß, wenn mal wieder Bilder aus den Fabriken auftauchen. Aber es ändert sich halt nix.

Schweine, halbiert.

Selbst nach den Skandalen bei Tönnies, wo Änderungen diskutiert und in Reichweite kamen, wird jetzt schon wieder zurückgerudert. Es muss sich aber etwas ändern.

Wenn wir ernsthaft was ändern wollen, dann müssen wir da wieder näher ran, also regionale Schlachthöfe eröffnen, wo eine größere soziale Kontrolle allein schon deshalb gegeben wäre, weil die Schlachthöfe wieder sichtbar wären. Auch die Transportwege würden sich verkürzen, weil die Schweine in der Region, in der sie aufwachsen, geschlachtet werden könnten. Die Tiere würden wieder in den Blick der Menschen rücken. Das macht das Wegschauen deutlich schwieriger.

Wegschauen ist das Stichwort. Seit einigen Jahren veranstaltet Ihr Bruder Schlachtfeste mit Gästen, bei denen tatsächlich ein Tier vor aller Augen geschlachtet und weiterverarbeitet wird. Was ist die Idee dahinter? Und warum sind Sie dabei?

Ich höre heftige Aufschreie.

Wir müssen uns den Tod der Tiere vor Augen führen und dazu gehört, diesen Vorgang mit eigenen Augen gesehen zu haben. Wer das erlebt hat, der wird wieder Respekt und Wertschätzung für das wertvolle Lebensmittel Fleisch empfinden.

Ein in Klarsichtfolie verschweißtes und mit bunten Bildern bedrucktes Stück Fleisch wird diese Wirkung nicht erzielen. Es geht um Demut und das Bewusstsein, wie privilegiert wir sind, dass wir genug und so gutes Essen zur Verfügung haben. Am besten lernt man das durch persönliche Erfahrung.

Die haben Sie gemacht. Sie beschreiben im Buch eines dieser Schlachtfeste, bei dem Sie einen Engelbert genannten Eber vom Leben in den Tod befördern sollten. Und wie schwer das für Sie war.

Mein Bruder hat mich tatsächlich in diesem einen Fall aufgefordert, selbst für mein Essen zu sorgen und den Eber Engelbert zu töten. Mein Bruder wollte mich wieder spüren lassen, was es heißt, ein Tier zu töten, was getan werden muss, damit wir Fleisch essen können. Als Kinder waren wir natürlich oft beim Schlachten dabei.

„Am Anfang war das Feuer, und daran wärmte sich der erste Metzger und brutzelte das erste Steak. Ohne Fleisch kein Mensch. An der Wiege der Menschheit stand einer von uns…“, so zitieren Sie augenzwinkernd Ihren Bruder Thomas. Die Evolution ist tatsächlich ohne Fleischkonsum nicht denkbar. Und das Metzgerhandwerk war in der Geschichte natürlich nicht zuletzt deshalb hoch angesehen. Und heute? „Sag mir, wo die Metzger sind; wo sind sie geblieben?“, das ist eine Kapitelüberschrift. Warum gibt es heute kaum Nachwuchs für diesen Beruf?

Eine Metzgerei ist am besten als Familienbetrieb zu führen. Bei unserer Vorstellung von Work-Life-Balance ist das heute kein erstrebenswertes Lebensmodell mehr. Nicht mal für die Kinder von Metzgern. Wer sich für diesen Beruf entscheidet, kann ein sehr selbstbestimmtes Leben führen, aber man muss auch ranklotzen. Man kann da auch richtig gut verdienen. Aber der Einsatz ist hoch.

Ich könnte mir vorstellen, dass Metzgerbuben mit Veganern und Vegetariern nicht wirklich viel anfangen können.

Ich schätze an Veganern und Vegetariern sehr, dass sie bewusste Esser sind. Sie fällen irgendwann die Entscheidung, kein Kotelett und keine Salami mehr zu mampfen. Ich würde mir wünschen, dass auch alle Fleischesser sich Gedanken über ihr Essen machen und dann eine bewusste Entscheidung für dieses wertvolle Lebensmittel fällen und nicht einfach aus Gewohnheit oder weil es billig ist zum Nackensteak greifen.

Es geht um Demut und das Bewusstsein, wie privilegiert wir sind, dass wir genug und so gutes Essen zur Verfügung haben.

In der Geschichte haben reiche Metzgerzünfte großen Einfluss auf die Kunst ausgeübt. Das ist alles ganz spannend und man kann es in Ihrem Buch nachlesen.  Sie haben die Künstlergruppe Gotensieben gegründet und ich nehme an, dass Ihre Herkunft auch Einfluss auf Ihre Kunst nimmt?

Kunst ist nach meiner Überzeugung immer biografisch, auch wenn man das bei vielen Künstlern in ihren Werken nicht auf den ersten Blick erkennt. Bei mir ist das sehr offensichtlich. Ich nutze Schlachtabfälle und Innereien um kleine Skulpturen zu gestalten, die dann aufwendig fotografiert werden. Dann behaupte ich, dass das, was da zu sehen ist, Seelen wären. Die Leute reagieren ganz unterschiedlich auf die Kunstwerke. Die einen finden sie ekelhaft, andere halten mich für durchgeknallt und wieder andere sind fasziniert davon und hängen sich die Bilder ins Wohnzimmer.

Und jetzt interessiert mich noch, ob es in Ihren Schubladen Pläne für weitere Buchprojekte gibt?

Oh ja, in dem Buch erzähle ich die Geschichte meines Großvaters, Vaters und meines Bruders. Im nächsten Buch geht es um meine Mutter, die sich von meinem Vater hat scheiden lassen und uns Kinder in der Metzgerei zurückgelassen hat. Damals in den 1970ern war das ein Skandal. Doris wechselte von hinter der Fleischtheke auf den Laufsteg. Sie wurde Model und hat dann viele Jahre in der Modebranche gearbeitet. Auch, wie aus einem Metzgersohn ein Schriftsteller und Künstler wurde, ist eine spannende Geschichte. Im nächsten Buch werde ich dann ein bisschen mehr über mich erzählen.

Sehr interessant. Zunächst wünsche ich aber Ihrem „Metzgerbuch“ richtig viel Erfolg. Ich habe dieses aufrüttelnd-humorvolle Plädoyer für einen maßvollen Fleischkonsum wirklich mit Vergnügen gelesen.

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