Genomforschende schließen sich zur Deutschen COVID-19 OMICS Initiative – DeCOI zusammen
Wie verändert das neue Coronavirus (SARS-CoV-2) seine Erbinformation? Welche weiteren Infektionen bei Erkrankten treten auf? Gibt es genetische Risikofaktoren, die eine Infektion begünstigen? Zahlreiche Genomforscherinnen und -forscher sind intensiv damit beschäftigt, ihre Expertise und Sequenzier-Infrastruktur zu bündeln, um einen wissenschaftlichen Beitrag zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie zu leisten. Diese Aktivitäten werden nun offiziell in der Deutschen COVID-19 OMICS Initiative – DeCOI zusammengeführt, um die Forschung zu beschleunigen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an mehr als 22 Institutionen sind bereits aktiv an DeCOI beteiligt – darunter auch Konrad Förstner von ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften als Mitglied des NFDI4Microbiota-Konsortiums.
An vielen Stellen in der Welt wird inzwischen das Genom von SARS-CoV-2 sequenziert, um damit Veränderungen der Erbinformation des Virus zu charakterisieren. Je mehr solcher Virusgenome sequenziert werden, desto besser kann die Wissenschaft die Variationen des Virus verstehen. Mit der Analyse der Verwandtschaftsstruktur einzelner Viren lassen sich Rückschlüsse auf deren Herkunft und auf unterschiedliche Formen des Virus in der Bevölkerung ziehen.
Neben der Sequenzierung der Virusgenome werden auch sogenannte Metagenome bestimmt, die etwas darüber aussagen, welche weiteren Infektionen bei Patienten mit COVID-19 möglicherweise auftreten. Um dieser Frage nachzugehen, wollen Forschende der DeCOI bis zu 2.000 Metagenome bei COVID-19-Patientinnen und-Patienten in Deutschland sequenzieren.
Eine DeCOI-Gruppe vermutet, dass es auch genetische Risikofaktoren gibt, die die Wahrscheinlichkeit sich zu infizieren oder die Schwere der Erkrankung beeinflussen können. Um genetische Risikofaktoren zu erkennen, müssen von vielen tausend Erkrankten Genome sequenziert werden. Prof. Dr. Markus Nöthen vom Universitätsklinikum Bonn: „Deshalb haben wir uns mit DeCOI frühzeitig auch mit unseren europäischen und internationalen Kollegen weltweit vernetzt.“
Ziel der funktionellen Genomik ist es, ganze Organsysteme funktionell zu charakterisieren. Häufig werden dabei mehrere molekulare Ebenen der Regulation erfasst und kombiniert (Multi-Omics-Analysen). An mehreren Standorten in Deutschland werden diese Verfahren im Rahmen klinischer Studien genutzt, um zum Beispiel die Wirksamkeit neuer Medikamente gegen SARS-CoV-2 zu testen. „Mit Hilfe von Multi-Omics Analysen können wir schnell und umfassend bestimmen, welche biologischen Prozesse bei der Erkrankung selbst ausgelöst werden und wie diese durch Medikamente positiv beeinflusst werden können“, sagt Prof. Dr. Philip Rosenstiel von der Universität Kiel. Diese umfassenden Daten bieten zudem die Möglichkeit besser zu verstehen, warum manche Menschen schwer und andere leicht erkranken.
Die noch sehr junge Einzelzell-Sequenzierung ermöglicht sehr vielversprechende Einsichten in das komplexe Geschehen im Körper der Erkrankten. DeCOI-Forschende sind in großen internationalen Konsortien unter anderem daran beteiligt, die Verteilung der Rezeptoren auf den Zellen des Körpers zu bestimmen, die für den Eintritt des SARS-CoV-2 verantwortlich gemacht werden. Ziel ist herauszubekommen, welche Immunzellen in Prozesse involviert sind, die besonders bei Patienten mit schweren Verläufen vorkommen, um hierfür neue Therapiemöglichkeiten zu erkennen.
Die Genomforschung produziert immense Datenmengen, die zur Auswertung der Forschungsergebnisse computergestützt analysiert werden. „Nur wenn wir klinische Daten und Genomdaten sinnvoll miteinander verknüpfen, werden wir möglichst viel zum Verständnis von COVID-19 beitragen können“, sagt Prof. Dr. Oliver Kohlbacher von der Universität Tübingen.
An DeCOI beteiligt sich auch NFDI4Microbiota, das Konsortium für OMICS-Daten der Mikrobiologie, Virologie und angrenzender Forschungsfelder innerhalb der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur unter federführender Leitung von ZB MED. Der Bioinformatiker Konrad Förstner ist Experte für die Analyse von OMICS-Daten und leitet eine entsprechende Forschungsgruppe bei ZB MED. Gemeinsam mit Alice McHardy vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig vertritt er das NFDI4Microbiota-Konsortium in DeCOI. Konrad Förstern macht deutlich: „Um COVID-19 und dessen Ausbreitung zu verstehen, müssen möglichst viele SARS-CoV-2-Genome sequenziert werden. Die Daten müssen offen zugreifbar sein, um schnell neue Erkenntnisse gewinnen zu können – an Open Science führt in dieser Pandemie kein Weg vorbei.”
„Durch den Zusammenschluss zur DeCOI sollten wir in der Lage sein, parallel viel mehr Fragen gemeinsam schneller beantworten zu können“, sagt Prof. Dr. Joachim Schultze vom LIMES-Institut und vom Exzellenzcluster ImmunoSensation der Universität Bonn, der die Initiative zurzeit koordiniert. „Jetzt wird es wichtig sein, dass wir DeCOI mit weiteren Initiativen eng vernetzen, um weltweit fundiertes Wissen zur Bewältigung der Krise beizutragen.“
Die Mitglieder des NFDI4Microbiota-Konsortiums:
Deutsches Netzwerk für Bioinformatik-Infrastruktur – de.NBI, Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL), Friedrich Schiller Universität Jena, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Justus-Liebig-Universität Giessen, Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen, Philipps-Universität Marburg, RWTH Aachen, Universität Bielefeld, ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften.
Weitere Informationen unter:
https://nfdi4microbiota.de/
Die Mitglieder der Deutschen COVID-19 OMICS Initiative (DeCOI)
Robert Bals (Universität des Saarlandes), Ezio Bonifacio (TU Dresden), Maria Colome-Tatche (Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt/HMGU), Andreas Diefenbach (Charité – Universitätsmedizin Berlin), Alex Dilthey (Universitätsklinik Düsseldorf), Nicole Fischer (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf), Konrad Förstner (ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften), Julien Gangneur (TU München), Michael Hummel (Charité), Birte Kehr (Charité), Andreas Keller (Uni des Saarlandes), Sarah Kim-Hellmuth (TU München), Oliver Kohlbacher (Universitätsklinikum Tübingen), Ingo Kurth (RWTH Aachen), Markus Landthaler (Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin Berlin/MDC), Kerstin Ludwig (Universitätsklinikum Bonn/UKB), Alice McHardy (Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung Braunschweig), Christia Mertes (TU München), Markus Nöthen (UKB), Peter Nürnberg (Universität zu Köln), Uwe Ohler (MDC), Klaus Pfeffer (Uniklinik Düsseldorf), Nikolaus Rajewsky (MDC), Markus Ralser (Charité), Olaf Rieß (UK Tübingen), Stephan Ripke (Charité), Philip Rosenstiel (Universität Kiel), Joachim Schultze (Universität Bonn/DZNE), Oliver Stegle (Deutsches Krebsforschungszentrum), Fabian Theis (HMGU), Janne Vehreschild (Uni Köln), Max von Kleist (Robert Koch-Institut), Jörn Walter (Uni des Saarlandes) und Dagmar Wieczorek (Uniklinik Düsseldorf).