Theologie | Religion

Bücherschau: Das Reformationsjubiläum

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 5/2017

Der Reformation ist im Jahr 2017 kaum zu entkommen, genauer gesagt: Luther ist überall. In einer zunehmend säkularen und jedenfalls in Deutschland zunehmend kirchenfernen Gesellschaft verwundert der „Hype“ um die fünfhundertste Wiederkehr der Publizierung der Wittenberger Ablassthesen. Das Ausmaß der Öffentlichkeit des Reformationsjubiläums zeigt sich nicht nur am Geschenk eines außerordentlichen bundeseinheitlichen Feiertages, an einem dichten Aufwuchs großer Ausstellungen und wissenschaftlicher Veranstaltungen, an der Revision der Luther-Bibel, einem erstaunlichen Drive ökumenischer Aktivitäten und mancherlei, bis zum Playmobilfigur reichenden Zeichen einer gelungenen Choreographie der „Luther-Dekade“. Das Reformationsjubiläum schlägt auch auf dem Buchmarkt hohe Wellen, die sich – um im Bild zu bleiben – zu einem allein im Erscheinungsjahr 2017 hunderte von Titeln umfassenden Sturm ausweiten. Vor allem Luther als die Zentralfigur der Reformation scheint sich gut zu verkaufen. Es finden sich mancherlei Absonderlichkeiten – wie Luthersprüche in Tablettenverpackungen – Ärgerliches, Überflüssiges, Angestaubtes und aus dem Vergessen der lange lieferbaren Vorauflage Gehobenes, aber auch Klassiker und neue Referenzwerke gerade der Lutherbiografie.

Im Irrgarten der Publikationen muss letztlich jeder Leser seinen Zugang zur Reformation selbst finden, so er dies will. Die nachfolgenden kurzen Hinweise auf einige der zahlreichen Veröffentlichungen sollen mögliche Zugänge öffnen, sie erheben nicht den Anspruch wissenschaftlich fundierter Auseinandersetzung und formulieren daher auch keine solcherart legitimierte Kritik.

Bornkamm, Karin/ Ebeling, Gerhard, Hrsg.: Martin Luther, Ausgewählte Schriften in sechs Bänden, 1. Aufbruch zur Reformation, 2. Erneuerung von Frömmigkeit und Theologie, 3. Auseinandersetzung mit der römischen Kirche, 4. Christsein und weltliches Regiment, 5. Kirche, Gottesdienst, Schule, 6. Briefe. Insel Verlag Berlin,  1. Aufl. 2016, kt., Bd. I 342 S., Bd. II 297 S., Bd. III 303 S., Bd. IV 320 S., Bd. V 307 S., Bd. VI 315 S., ISBN 978-3-458-36260-9, € 49,95.

Ein guter Zugang zu Luther führt noch immer über sein Werk. Luther lesen ist oft erhellender als über Luther zu lesen. In seinen Schriften kommen die Kühnheit seiner Theologie, ihre Konsistenzen und Widersprüche, aber auch die schiere Sprachgewalt dieses Autors am unmittelbarsten zum Ausdruck. Luthers Schriften bieten ein Panoptikum einer dem Menschen des 21. Jahrhunderts oftmals ganz fremden Welt, sie ermöglichen Auseinandersetzung und Abscheu gleichermaßen. Luther als Sprachkünstler, als großer Wüterich, als geifernder Redner und als klarer Exeget, all dies findet sich in der 1982 von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling verantworteten Ausgabe von Luthers auf Deutsch verfassten zentralen Schriften. Die Zusammenstellung folgt der Weimarer Ausgabe und überträgt außerordentlich gewandt ins heutige Deutsch. Hervorzuheben ist die thematische Gliederung der Schriften. Der erste Band der Sammlung widmet sich den frühen Jahren der Reformation und der Wiederentdeckung des Evangeliums. Hier finden sich die Ablassthesen ebenso wie Luthers große Schriften aus dem Jahr 1520 „Von den guten Werken“, „An den christlichen Adel deutscher Nation“ und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Der zweite Band fokussiert Luther in seiner Rolle als Prediger, Lehrer und Bibelexeget. Im Anschluss an diese Innenperspektive widmet sich Band drei den Schriften Luthers, die die Auseinandersetzung mit der römischen Amtskirche zum Gegenstand haben. Im Zentrum des vierten Bandes steht Luther als politischer Akteur, seine Schriften zu den Bauernkriegen und seine politische Theologie. Im Zentrum des fünften Bandes stehen die Schriften zu Fragen der Kirchenorganisation und vor allem zum Aufbau und Gehalt eines evangelischen Schulwesens. Der letzte Band schließlich stellt uns Luther als Briefschreiber vor. Es ist ein Verdienst des Verlages, diese handliche Ausgabe zentraler Werke Luthers in einer äußerst preiswerten Werkausgabe einer hoffentlich breiten Leserschaft auch in Zeiten der Digitalisierung und der Onlineausgaben im wahrsten Sinne in die Hand zu geben.

 

Schilling, Heinz: Martin Luther – Rebell in einer Zeit des Umbruchs (Eine Biographie). C. H. Beck München, Akt. Sonderausgabe 2016, geb., 728 S., ISBN 978-3-40669687-9, € 29,95.

Im Zentrum der vielfachen Publikationen zum Revolutionsjubiläum steht eine eigentümlich deutsche Wahrnehmung des bunten Reformationsgeschehens als eines facettenreichen europäischen Prozesses nicht überraschend die Person Martin Luthers. Wesentliche Referenzwerke sind Biografien. Ein Klassiker erlebt eine Neuauflage, nämlich Heinz Schillings große Biografie des Reformators, und damit der Blick nicht eines Kirchenhistorikers, sondern des Historikers auf die historische Gestalt Luthers. Schillings Biografie folgt demjenigen, das über das Leben Luthers bekannt ist. Schilling arbeitet Kindheit, Zeit im Kloster, Luther als akademischer Lehrer und schließlich als Reformator nach. Den Hauptteil der Biografie machen die genauen Schilderungen des Vorfeldes der Reformation und der bis zum Bauernkrieg reichenden frühen Jahre ihrer Ausbreitung aus. Schilling wendet sich schließlich intensiv den reformatorischen Zwistigkeiten und Auseinandersetzungen zu und verschweigt auch nicht den für die nachgeborenen erschreckenden Antisemitismus Luthers. Seine Biografie dringt tief in Luthers Privatsphäre ein und zeigt den Reformator als schwierigen, widersprüchlichen Charakter, der Kraft seines immensen Willens die Welt verändert, in vielem aber auch ganz anders, als er es beabsichtigte. Hier wird Luther offenbar als Mensch im Kontext einer Umbruchzeit gezeigt. Es ist wohlfeil gewesen Luther als Nukleus dieses Umbruchs zu deuten und damit an den Beginn der Neuzeit und gleichsam als Schlussstein des Mittelalters zu setzen. In der Biografie Schillings wird Luther als Mensch des Mittelalters erkennbar und vor allem als eine, wenn auch zentrale Figur in einem gerade auch von wirtschaftlichem Umbruch geprägten zeitgenössischen Kontext. Noch immer ist Schillings Biografie die Marke und Meilenstein eines zeitgenössischen Zugangs zu Person und Wirken Martin Luthers.

 

Schilling, Heinz: 1517 – Weltgeschichte eines Jahres, C. H. Beck München, 2017, geb., 364 S., ISBN 978-3-406-70069-9, € 24,95.

Heinz Schilling hat mit „1517 –Weltgeschichte eines Jahres“ nun auch ein überaus kurzweiliges Buch vorgelegt, das den Kontext der Reformation ganz in sein Zentrum stellt. Gerade die deutsche Geschichtsschreibung ist geneigt, den Prozess der Reformation und des Reformationsgeschehen zu überhöhen und läuft damit leicht Gefahr, auch die Wirkungen und Folgen der Reformation perspektivisch zu verzeichnen. Während Luther selbst überaus bewusst war, dass Wittenberg am Rande der Zivilisation in Zentraleuropa gelegen ist, wandert mit Luther dieses kleine Territorium doch nicht für wenige in den nächsten Jahrhunderten an die Nabe der Welt. Mit diesem Missverständnis räumt Schillings überaus unterhaltsames Buch gründlich auf. Die Größe des Reformationsgeschehens und der innerkirchlichen Auseinandersetzungen verblasst vor der Ausbreitung der Weltkirche und der Anfänge der europäischen Hegemonie mit der Entdeckung der Neuen Welt. Der Blick Spaniens richtet sich nach Westen. Die Klage über den Sündenpfuhl Roms, den Luther als Reisender in Angelegenheiten seines Ordens selbst erlebt, relativiert sich im Blick auf die Dynamik der Renaissance in Italien und im Blick auf den außerordentlichen Wandel in der Legitimation und Organisation weltlicher Herrschaft sowie des frühmodernen Geld-und Wirtschaftssystems. Offenkundig werden die Gleichzeitigkeit der lebendigen Glaubensmagie, Hexen und Dämonen und der Aufbruch einer dynamischen Wirtschaftsordnung, der modernen Wissenschaft und eines über Europa hinausgreifenden Wissens-und Kulturtransfers.

 

Kaufmann, Thomas: Erlöste und Verdammte – Eine Geschichte der Reformation, C. H. Beck München, 2016, geb., 508 S., ISBN 978-3-406-69607-7, € 26,95.

Neben seiner Lutherbiografie, die im Jahr 2017 schon in fünfter Auflage erschienen ist, hat auch der Göttinger Kirchengeschichtler Thomas Kaufmann eine über die Person Luthers weit hinausgreifende und seine Kontexte ins Zentrum stellende Geschichte der Reformation vorgelegt. In Kaufmanns außerordentlich lebendigem Panorama begegnet die Reformation dem heutigen Leser als ein wahrhaft europäisches Geschehen. Kaufmann führt uns ein in die Gegenwart der europäischen Christenheit zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in die politischen und wirtschaftlichen Konfigurationen ebenso, wie in die Ordnung der ständischen Gesellschaft und die allerorts aufbrechenden Dynamisierungsfaktoren, wozu insbesondere der Aufstieg des Buchdrucks zu zählen ist, der ein wesentlicher Faktor in der Verbreitung der Reformation und ihrer Diskurse war. Kaufmann schildert anschaulich den Beginn der Reformation und ihre Transformation zu einem vor allem auch politischen Prozess, der sich der Wittenberger Steuerung recht schnell entzieht. Hervorzuheben ist die europäische Perspektive und der Blick auf die reformatorischen Bewegungen außerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, also insbesondere auf Reformation in der Schweiz, in Skandinavien und in England. Die Untersuchung verhält sich erfreulich eindeutig zur überkommenen Fixierung der Neuzeit und verabschiedet das so wirkmächtige Leitbild des dunklen Mittelalters, indem die Brüche und auch die Kontinuitäten des Reformationsgeschehens offengelegt werden. Das Buch schließt mit einer kurzen Rezeptionsgeschichte und einem Blick auf die Reformationsjubiläen der Jahrhunderte 1617 bis 2017 und damit auf die schillernde Vielzahl der Gestalten Luthers, die dem Leser hier begegnen. Das Buch ist nicht nur außerordentlich leicht sprachlich zugänglich, es ermöglicht durch zahlreiche Abbildungen auch einen neuen Blick auf die Bilder der Reformation und ihrer Rezeption. Kurz ein in wendiger Sprache gehauener, auf der Höhe der Forschung gestalteter Meilenstein in der Masse der Reformationsliteratur.

 

Leppin, Volker: Martin Luther, Philipp von Zabern (WBG) Darmstadt, 3. Aufl. 2017, geb., 427 S., ISBN 978-3-8053-5069-3, € 39,95.

In den Reigen der wissenschaftlich fundierten Biografien ist auch diejenige des Tübinger Kirchenhistorikers Volker Leppins zu zählen. Leppin legt eine gut lesbare klassische Biografie vor, die sich nicht nur durch eine klare Sprache, sondern vor allem auch durch einen dichten Bezug auf Luthers Schriften auszeichnet. Deutlich stellt Leppin weniger den weltgewandten Gestalter und Revolutionär Junker Jörg, in das Zentrum, sondern hier begegnet uns Luther als stets suchender und an sich zweifelnder Mensch, der tief im mittelalterlichen Kontext verstrickt bleibt und sich vor allem auch erst langsam aus seiner mönchischen Sozialisation befreit. Hervorzuheben ist die überaus sorgfältige Schilderung der frühen Jahre Luthers ebenso, wie das treffende Bild des Reformators am Rande der Reformation, also der seit den fünfzehnhundertdreißiger Jahren sich verstärkende Verlust der Deutungshoheit und des Einflusses Luthers im Zuge der strukturellen Politisierung der Reformation. Luther, das ist der wesentliche Verdienst des Werkes, wird von jeglichem Mythos befreit. Nicht die Katharsis eines reformatorischen Moments, sondern die Macht des beständigen Zweifels und des Wandels in Kontinuität offenbart dem Leser Luther als Treiber der Reformation.

Leppin, Volker: Die fremde Reformation – Luthers mystische Wurzeln, C. H. Beck München, 2016, geb., 247 S., ISBN 978-3-406-69081-5, € 21,95.

Jene Kontinuitäten thematisiert Leppin auch in seiner Studie zu Luthers mythischen Wurzeln, die Luther konsequent am Ende seines spätmittelalterlichen Umfelds betrachtet. Rechtfertigungslehre und Priestertum aller Gläubigen, Predigtgottesdienst, Papstkritik und landesherrliches Kirchenregiment erscheinen hier als selbstständiger Teil des spätmittelalterlichen Spektrums an Positionen und Protesten. Das Buch widmet sich insbesondere den Einflüssen der Ausbilder Luthers und der Rolle Johann von Staupitz´ für die Ausbildung und Positionierung Luthers im Kontext der spätmittelalterlichen Frömmigkeitslehre und seiner Einbindung und Distanzierung von den Positionen des zeitgenössischen Kommunismus. Luthers Opposition gegen die Scholastik erscheint so als eine Position im breiten zeitgenössischen Diskurs. Aufgedeckt werden aber nicht nur die Wurzeln Luthers in der Theologie und in der spätmittelalterlichen Mystik, sondern aufgedeckt werden auch die Folgewirkungen der mystischen Bewegungen für die innerreformatorische Auseinandersetzung. Karlstadts Radikalisierung und Thomas Müntzers weltzugewandte Visionen sind ohne diese ebenso wenig vollständig erfasst wie das Wirken der Täuferbewegung. Hierauf erneut hingewiesen zu haben ist der große Verdienst dieser leicht zugänglichen und allgemein verständlichen Studie.

 

Roper, Lyndal: Luther – Der Mensch Martin Luther – Die Biographie, S. Fischer Frankfurt, 2016, geb., 729 S., ISBN 978-3-10-066088-6, € 28,00.

Einen erfrischend neuen Blick auf Luther bietet die Biografie der Oxforder Historikerin Lyndal Roper. Sie stellt den Mensch Martin Luther in den Fokus ihres analytischen Interesses. Prägend ist einerseits eine geradezu psychohistorische und damit mikrohistorische Perspektive, bei der andererseits aber die große Erzählung der Stationen des Lebensweges Luthers und ihre Einordnung in den gesellschaftlich politischen Kontext aufrechterhalten bleiben. Immer wieder faszinierend an Ropers Biografie sind die Zusammenhänge und Parallelen die sie herstellt aus der Rolle der Leiblichkeit in der Theologie Luthers zur Person Luthers in ihrer ganzen Körperlichkeit, ihrer Sinnenfreude und auch ihrem Leid an körperlichen Gebrechen. Ob insbesondere die letztlich psychoanalytische Deutung des Verhältnisses Luthers zu seinem Vater eine Fortsetzung in der Deutung der innerreformatorischen Konflikte als Figuration des rebellischen Sohnes Luthers trägt, mag man bezweifeln. Überaus anschaulich wird aber der Mensch Luther als Streiter, als Ehemann, als Vater, Professor und Briefeschreiber, der in der Überhöhung Luthers als politische Figur ansonsten blass geblieben ist. Schon deshalb ist dieser Blick auf Luther als Mensch eine Bereicherung für jeden, der sich dem fernen Luther im Reformationsjubiläum annähern will.

 

Winkler, Willi: Luther – Ein Deutscher Rebell, Rowohlt Berlin, 1. Aufl. Sept. 2016, geb., 639 S., ISBN 978-3-87134-723-8, € 29,95.

Nicht ohne Grund schmückt das bekannte Bild Luthers als Junker Jörg mit seinem Rauschebart und seinem festen Blick den Umschlag der Luther Biografie, die Willi Winkler vorgelegt hat. Winkler deutet Luther schon im Untertitel als deutschen Rebell und gibt damit seiner Biografie eine eindeutige Diktion vor. Auch hier finden sich verlässlich die Lebensstationen Luthers abgeschritten, wenngleich eine deutliche Positionierung auf den politischen Luther und seine Rolle für die neue Reformation der politischen Architektur im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Der Journalist Winkler – das kann man sagen – beherrscht eine klare Sprache, die auch vor klaren Urteilen nicht zurückschreckt. Weniger klar ist häufig die quellenkritische Fundierung dieser Urteile. Wenn Winkler etwa sagt, dass niemand Luther näher gestanden habe als Cranach, wäre man für eine Verifizierung doch dankbar. Wer Unterhaltung sucht, der aber kann sie finden.

 

Köpf, Ulrich: Martin Luther – Der Reformator und sein Werk, Philipp Reclam jun. Stuttgart, 2015, geb., 254 S., ISBN 978-3-15-0 11042-3, € 22,95.

Auch der Tübinger Kirchengeschichtler Köpf hat eine Studie zu Luther und seinem Werk vorgelegt. Die leider etwas kleinteilig gegliederte Schrift schreitet verlässlich Luthers Lebensstationen ab. Dasjenige, das man bei Winkler vermisst, der enge Bezug zu Luthers Schriften wird durchgängig gewahrt und dem Leser so die Quellenkritik nicht verschlossen. Im Kern bleibt die Studie trotz des Anspruchs, Luther als Mensch in seinen zeitgeschichtlichen Kontext stellen zu wollen, eine letztlich stark von der Theologie geprägte, ja theologiegeschichtliche Arbeit. Der Kontext Luthers, der bei Schilling und vor allem bei Kaufmann so brillant das Phänomen Luther einhegt, bleibt zu stark im Hintergrund. Das Buch wirkt daher ein wenig aus der Zeit gefallen. Nicht immer ist eine starke Fokussierung hilfreich. Das Buch zeugt aber von der ungebrochenen Faszination die der Forschungsgegenstand Luther für den Forscher entfalten kann. Natürlich kommt auch der Antisemit und „Grobian“ Luther zu Wort und zur Bewertung, die Milde, die dieser erfährt, überrascht aber doch.

 

Reinhardt, Volker: Luther der Ketzer – Rom und die Reformation, C. H. Beck München, 2. Aufl. 2016, geb., 352 S., ISBN 978-3-406-68828-7, € 24,95.

Volker Reinhardt erschließt mit seinem lesenswerten Buch eine gerade in der deutschen Tradition ungewohnte, man ist versucht zu sagen merkwürdigerweise noch immer ungewohnte, Perspektive auf das Reformationsgeschehen und seine zentrale Gestalt Martin Luther. Luther, der Ketzer, ist in diesem Rollenbild titelgebend für das Urteil Roms über jenen Agitator, der sich am Rande des römischen Gesichtsfeldes als Grobian gegen das Papsttum stellte. Rekonstruiert werden auf Grundlage der Quellen, die die vatikanischen Archive erschließbar werden lassen, jene Perspektiven und Perspektivenwandlun-gen, die die römische Kurie in ihren Reaktionen und ihrer Verhandlung mit der Causa Lutheri bewegt haben. Reinhardt rekonstruiert nicht nur die Auseinandersetzungen Luthers mit den Vertretern Roms, sondern zeigt die weit jenseits theologischer Grundierung liegenden Gründe für die Schärfe der Auseinandersetzung und damit für die sich schnell vertiefende Glaubensspaltung auf. Deutlich wird der Zusammenprall der modernen, kultivierten, italienischen Renaissancekultur, mit einer in der Tat eher mittelalterlich anmutenden Mentalität der Deutschen. Deutlich wird die Komplexität der politischen Beziehungen und Auseinandersetzungen, in die das Papsttum verstrickt war, als Faktoren, die die Auseinandersetzungen mit Luther und seinen Auffassungen bestimmten. In der Tat liefert das kurzweilige und erfrischende Werk neue Perspektiven auf die Reformation als Auseinandersetzung nicht nur der Glaubensüberzeugungen, sondern vor allem der kulturell geprägten Mentalitäten.

 

Beutin, Wolfgang: Der radikale Doktor Martin Luther (Bremer Beiträge Bd. 66), Peter Lang Edition Frankfurt a.M., 3. Aufl. 2016, geb., 378 S., ISBN 978-3-63165787-4, € 59,95.

In den Reigen der Darstellungen von Leben und Werk Martin Luthers reiht sich auch die Streitschrift “Der radikale Doktor Martin Luther“ ein. Beutin fokussiert auf die Radikalität Luthers in Person und Werk, in seiner Argumentation gegen die Papstkirche, in seiner Auseinandersetzung mit der politischen Ordnung seinerzeit. Das Buch ist quellenkritisch und meinungsstark, oft zufällig in der Rezeption seiner Quellen, jedenfalls im Bereich der kursorischen Erfassung der Rezeption Luthers; und es ist vor allem mutig in der Deutung zu Luther als Beginn einer demokratischen Bewegung in Deutschland. Beutin zeigt ein Bild auf, das die Lutherforschung gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in nicht unwesentlichen Teilen auszeichnet: Luther und seine Theologie als Keimzelle der künftigen Demokratie, der Durchsetzung der Menschenrechtsidee und letztlich der Idee des freiheitlichen modernen Verfassungsstaates. Die Untersuchung ist zur Fünfhundertjahrfeier der Geburt des Reformators, also im Jahr 1983, erstmals erschienen. Es ist ein wunderbares Beispiel für die Kontingenz und Vorläufigkeit der Beschäftigung mit dem Reformationsgeschehen und seiner vielgestaltigen Zentralfigur. Schon deshalb ist es lesenswert.

 

Türcke, Christoph: Luther – Steckbrief eines Überzeugungstäters, Zu Klampen Verlag Springe, Okt. 2016, geb., 118 S., ISBN 978-3-86674-543-8, € 9,50.

In den Reigen der Streitschriften reiht sich auch jenes kurze Essay ein, das in seinem Titel, „Steckbrief eines Überzeugungstäters“, schon seine wesentliche Aussage vorwegnimmt. Hier erscheint Luther als der große Trotzkopf, als von Überzeugung geleitetes Ungeheuer, das gegen seine Mitmenschen, seien es Juden oder Bauern, wütet. Gnade findet nur das Werk in seiner Übersetzungsleistung, Verständnis findet es nicht mehr in seiner Theologie, die insgesamt ein wenig kurz kommt, und ein klares Urteil findet der Autor auch für Luther in seiner politischen Wirkkraft. Hier erscheint Luther nicht als Vorkämpfer moderner Gewissensfreiheit, sondern als, wie es im Klappentext heißt, Pionier instrumenteller Vernunft und neuzeitlicher Unterwerfungsmentalität. „Als Privatperson rechtlos, als Amtsperson gnadenlos, und in beidem selbstlos: so läßt der Glaubende das Reich Christi und das Reich der Welt reibungslos zusammenwirken zu einer von aller Eigensucht gereinigte Herrschaft – ohne jede persönliche Vorteilsnahme, aber auch ohne jeden höheren Zweck.“ (S. 88). Wenn ein solcher Satz als Quintessenz der lutherischen Vorstellungen über die Gesellschaftsordnung und ihre religiöse Fundierung steht, dann lädt das Buch ganz sicher zu Streit und Widerspruch ein. Ein Text, an dem man sich reiben kann.

 

Pettegree, Andrew: Die Marke Luther, Wie ein unbekannter Mönch eine deutsche Kleinstadt zum Zentrum der Druckindustrie und sich selbst zum berühmtesten Mann Europas machte – und die protestantische Reformation lostrat. Insel Verlag Berlin, 1. Aufl. 2016, geb., 407 S., ISBN 978-3-458-17691-6, € 26,00.

Wie vielgestaltig die Perspektiven auf das Reformationsgeschehen und Martin Luther auch sein mögen, die Beiträge der anglo-amerikanischen Lutherforschung vermögen mit ihren frischen Perspektiven die eingefahrenen Gleise der kontinentaleuropäischen Diskursarenen gerade in ihrer Breitenwirkung zu bereichern. Ein gutes Beispiel ist die Untersuchung des Professors für Moderne Geschichte Andrew Pettegree, dessen Werk natürlich eine Nacherzählung des Reformationsgeschehens darstellt, aber auf die publizistische Wirkung als Erfolgsfaktor der Reformation fokussiert. Luther erscheint hier nicht nur als Gelehrter und Theologe, sondern als Stratege, der die Wirkung seiner Argumente in Abhängigkeit zu den Arenen ihrer Platzierung deutlich vor Augen hatte. In moderner Übersetzung rekonstruiert die Studie Luthers Gespür für Imagepflege und Marketing, ins Zentrum rückt der moderne Buchdruck als wesentliches Moment der Verbreitung reformatorischer Ideen und überdies die Herausbildung von Kommunikationsnetzwerken, deren sich die Reformatoren bedienten. „Die Marke Luther“ ist urheberrechtlich gesprochen nicht nur eine Wortmarke. Sie bedient sich nicht nur der Urgewalt der sich herausbildenden modernen deutschen Sprache, sondern vor allem auch einer reformatorischen Ikonographie. Neben dem Wort steht in der Wirkung mindestens gleichrangig das Bild. Dies in zweierlei Hinsicht, nämlich einerseits als Bild der Reformatoren. Hier rekonstruiert der Autor das Zusammenwirken Luthers mit Lucas Cranach als einen Prozess der Herausbildung einer reformatorischen Kernmarke. Andererseits wird deutlich, wie sehr die Übersetzung kontroverser Positionen in der Auseinandersetzung mit dem Papsttum sich von beiden Seiten des Einblattdruckes und des Flugblattes bediente. Die Reformation erscheint hier als Medienrevolution.

 

 

Schäfer, Bernd/ Eydinger, Ulrike/ Rekow, Matthias: Fliegende Blätter: Die Sammlung der Einblattholzschnitte des 15. und 16. Jahrhunderts der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Arnoldsche Art Publisher Gotha, 2016, geb., Bd. I 447 S., Bd. II 597 S., ISBN 978-3-89790-413-2, € 198,00.

Der Beitrag „Fliegende Blätter“ zum Gelingen der Reformation und die Deutung der Reformation als ein medienvermittelter Prozess machen eine epochale Publikation und eine auch verlegerische Großtat deutlich. Die Herausgeber stellen in zwei Bänden die Sammlung von Einblattholzschnitten des 15. und 16. Jahrhunderts in ihrem gesamten Umfang dar. Thematisch erschließen die Drucke ein breites Spektrum und ermöglichen damit zeitgenössische Einblicke in die Glaubens- und Lebenswelt der frühen Neuzeit. Die Einblicke fallen bunt aus. Die Drucke werden in hervorragender Reproduktion wiedergegeben. Die Abdrucke zeichnen sich insbesondere durch ein durchweg angenehmes Format aus. Die Zugänglichkeit der Bilderwelt der frühen Neuzeit beschließt der korrespondierende ausführliche Katalog, der insbesondere die Texte der Drucke transkribiert und die Drucke insgesamt beschreibt und einordnet. Die Buchgestaltung ist durchweg von hervorragender Qualität. Wir stehen vor einem Juwel, dem, gerade in Hochzeiten der Auseinandersetzung mit der Reformation, eine breite Aufmerksamkeit gebührt. Ein Meisterwerk, das weit über übliche Ausstellungsdokumentationen hinausreicht.

 

Mecklenburg, Norbert: Der Prophet der Deutschen – Martin Luther im Spiegel der Literatur, J. B. Metzler Stuttgart, 2016, geb., 313 S., ISBN 978-3-476-02684-2, € 59,95.

Die Rezeption Luthers Reformation bildet auch den Gegenstand der von Norbert Mecklenburg vorgelegten kritischen Literaturgeschichte. Im Spiegel der deutschen Literatur verfolgt Mecklenburg den Wandel der Lutherbilder, dass sich Abarbeiten der Autoren an der Figur Luthers und die mannigfachen Bilder, die sie hier mit den Instrumenten und Effekten der Literatur erreichen konnten. Titelgebend ist in gewisser Weise der Befund, der sich in der Langzeitperspektive einstellt: In der deutschsprachigen Literatur anverwandelt sich die Sprachgemeinschaft Luther als Prophet der Deutschen. Der Untersuchungszeitraum und das Spektrum der Quellen reichen weit. Mecklenburg befasst sich mit der Behandlung Luthers durch Hans Sachs, Lessing, Herder, Goethe, Schiller, Kleist, Hölderlin, Heine, Strindberg, Thomas Mann, Johannes Becher, Jochen Klepper, Dieter Forte, Stefan Heym und Rolf Hochhuth. Nachverfolgbar wird in der literarischen Auseinandersetzung und ihrer Analyse die frühe Heroisierung Luthers und vor allem auch die nationale und nationalistische Vereinnahmung seiner Person mit literarischen Ausdrucksformen. Mecklenburg legt eine Literaturgeschichte vor, die vor allem auch einlädt, die analysierten Werke selbst lesend zu entdecken.

 

Delgado, Mariano/ Leppin, Volker, Hrsg.: Luther: Zankapfel zwischen den Konfessionen und „Vater im Glauben“?, Kohlhammer Stuttgart, 2016, geb., 422 S., ISBN 978-3-17-031527-3, € 69,00.

Die Beiträge des hier vorgestellten Sammelbandes kreisen im Kern ebenfalls um die Rezeption Luthers und des Reformationsgeschehens. Sie versammeln Beiträge in historischer, systematischer und ökumenischer Perspektive und liefern einen Beitrag zur gerade in den letzten Jahren durchaus kontroversen Debattenlage um das Lutherbild und um die Frage der Angemessenheit der Rezeption des Reformationsgeschehens unter dem unmittelbaren Eindruck des Reformationsjubiläums. Deutlich machen die Beiträge, dass weit zurückreichende konfessionelle Traditionen und nationale Konstellationen das Bild Luthers und der Reformation mitgestalten und ein gemeinsames Gedenken evangelisch und konfessionsübergreifend erschweren. Die Beiträge reichen weit – vom Lutherbild der lutherischen Orthodoxie, über Luther in der Aufklärung bis hin zu einem lesenswerten Beitrag über die Lutherrezeption in der orthodoxen Kirche. Neben diesen vor allem konfessionellen Divergenzen der Lutherrezeption widmet sich der Band in klarer Differenzierung den unterschiedlichen Erinnerungskulturen, die sich in den Nationalstaaten herausgebildet haben. Der deutsche Luther kontrastiert merkwürdig mit dem Luther der Niederlande, dem Luther Polens, der Lutherrezeption in Frankreich und vor allem mit dem bunten Feld des lutherischen Nordens, also der skandinavischen Länder. In einem dritten Abschnitt erschließen Beiträge neuzeitliche Kontroversen und Annäherungen an Luther, wobei insbesondere die subkutane Rezeption im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils hervorgehoben werden soll. Der Sammelband sticht in seiner Buntheit aus der Masse der Publikationen im Jubiläumsjahr deutlich hervor und wird seiner angestrebten Funktion mehr als gerecht. Der Leser gewinnt in der Tat verlässliche und meinungsstarke Orientierung über die historisch bedingten Unterschiede in der Wahrnehmung Martin Luthers und damit zugleich über systematisch theologische Verständigungsmöglichkeiten, die trotz oder gerade wegen dieser Heterogenität bleiben.

 

Leppin, Volker: Reformatorische Gestaltungen – Theologie und Kirchenpolitik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte Bd. 43), Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2016, geb., 392 S., ISBN 978-3-374-04131-1, € 68,00.

Die vielfältigen gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Änderungen im Zuge der Reformation erschließen die Beiträge Volker Leppins unter ganz unterschiedlichen Facetten. Der Sammelband vereint Einzelstudien aus einem Zeitraum von gut zwei Jahrzehnten, die jene Auswirkungen der Reformation theologisch und politisch nachzeichnen. Im Zentrum der Beiträge stehen immer wieder die theologischen Themen der Freiheit und des allgemeinen Priestertums. Leppin widmet sich überdies in überaus lesenswerten Einzelstudien den politischen Figuren aus der Zeit von Johann Friedrich von Sachsen, Philipp von Hessen und Ulrich von Württemberg. Hier werden wichtige Facetten der Territorialgeschichte der Reformation offenbar. Natürlich sind die Einzelstudien auch andernorts greifbar gewesen. Der besondere Reiz der Sammlung liegt in ihrer Zusammenstellung und darin, sie so für den interessierten Leser leicht zugänglich gemacht zu haben. Es ist über die Einzelstudien hinaus ein wissenschaftliches Profil in dem Band erkennbar geworden. Die Arbeit mit dem Buch erleichtert ein Personen- und Ortsregister erheblich.

 

Beutel, Albrecht, Hrsg.: Luther Handbuch, Mohr Siebeck Tübingen, 3. Aufl. 2017, kt., 611 S., ISBN 978-3-16153892-6, € 49,00.

In dritter Auflage erscheint nun auch das von Albrecht Beutel herausgegebene Luther-Handbuch. In bester Manier dieses Publikationstyps schafft das Handbuch Übersicht und Orientierung in einem auch theologiegeschichtlich zunehmend ausdifferenzierten, unübersichtlichen Feld. Das Handbuch bietet Orientierung zunächst durch hoch kondensierte Beiträge zum Forschungsstand zu Person und Werk Luthers in den unterschiedlichen Wissenschaftskulturen. Schließlich beleuchten die Autoren die Ordnungsmuster der Tradition, der Aneignung, der Beziehung und der Prägung der Person Luthers und tragen hier den Forschungsstand verlässlich zusammen. Ein weiterer großer Abschnitt ist dem Werke Luthers gewidmet. Hierbei unterscheidet das Handbuch einerseits Werkgattungen und andererseits Themen der Werke Luthers. Durch diese Differenzierung wird insbesondere der Einfluss der Gattung überaus deutlich. Schließlich widmet sich das Handbuch der Wirkung und der Rezeption Luthers und seiner Theologie. Das Handbuch vereint einen Kreis herausragender Kirchenhistoriker als Autoren. Die Beiträge befinden sich noch immer auf aktuellem Forschungsstand. Sie sind hoch kondensiert und dennoch gut zugänglich. Hilfreich sind jeweilige Angaben zur vertieften Auseinandersetzung. Nicht nur die Lutherforschung hat ein verlässliches Kompendium gewonnen, sondern vor allem in der Lehre ist das Handbuch ein nicht mehr hinwegzudenkendes Standardwerk.

 

Scheible, Heinz: Melanchthon – Vermittler der Reformation, Eine Biographie, C.H. Beck München, 2016, geb., 448 S., ISBN 978-3-406-68673-3, € 28,00.

Luther überdeckt als Zentralfigur oftmals andere Gestalter der Reformation und es ist in gewisser Weise bedauerlich, dass die öffentliche Perspektive auf das Reformationsgeschehen im Jubiläumsjahr nicht in gleicher Weise andere Reformatoren in den Blick nimmt. Aus dem Schatten Luthers ist Philipp Melanchthon in vielfacher Weise hervorgetreten. Dies gilt im wahrsten Sinne schon zu Lebzeiten, indem Doppelbildnisse Luthers und Melanchthons auf den prägenden Einfluss beider hindeuteten. Die Wittenberger Reformation ist eben vor allem auch geprägt von Melanchthon. Dessen Wirken als Reformator, Philosoph und Theologe offenbart sich nicht nur in seiner Arbeit an der Konsolidierung der lutherischen Bekenntnisschriften, allem voran an der Formulierung der Confessio Augustana, sondern vor allem auch in der Vermittlung und Verbreitung der Reformation. Melanchthon ist Gegenpol zu Luthers Grobianismus und zeichnet sich im Gegensatz zu diesem durch realpolitische Klugheit aus. Heinz Scheible hat mit seiner Melanchthon Biografie ein Standardwerk vorgelegt, das Leben und Werk Melanchthons ausgewogen und mit treffsicherem historischen Urteil schildert. Hervorzuheben ist die herausragende Quellenarbeit des Buches, die ein umfangreiches Sachregister und Personenregister gut erschließt. Der Nachweisapparat wird nachgelagert, was die Lesbarkeit des Textes erheblich erhöht. Schließlich stellt eine Zeittafel Ereignisse im Leben Melanchthons allgemeingeschichtlichen Daten und Ereignissen gegenüber und erleichtert so die Kontextualisierung. Scheibles Biografie ist das moderne Standardwerk und in mancherlei Hinsicht das Pendant zu Schillings Lutherbiografie. Es ist ein Gewinn, dass dieses Buch in der Neuausgabe bearbeitet und erweitert, zum Lektürekanon im Jubiläumsjahr beiträgt.

 

Rhein, Stefan/ Treu, Martin, Hrsg.: Philipp Melanchthon – Zur populären Rezeption des Reformators (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Bd. 19), Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2016, geb., 313 S., ISBN 978-3-374-04057-5, € 68,00.

Die Beiträge des hier zu besprechenden Buches fokussieren die Rezeption Melanchthons. Sie wählen hierzu einen medienbezogenen Ansatz. In einem ersten Teil stehen die Melanchthonbilder der Literatur und die literarischen Stilmittel, sich der historischen Figur Melanchthons zu nähern, im Vordergrund. Sodann wechselt die Perspektive auf die darstellende Kunst. Hier ist insbesondere der Beitrag von Maria Lucia Weigel zu den Grafiken des 17. und 18. Jahrhunderts hervorzuheben. Rekonstruiert wird die Melanchthonrezeption der Bildhauer zwischen Kunst und Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Schließlich stehen Erinnerungsorte und Erinnerungsmittel gerade in Bezug auf Wittenberg und in Bezug auf seine oft verdrängte Geburtsstadt, dem kurpfälzischen Bretten, auf der Agenda. Das Buch ist reich bebildert und ermöglicht einen neuen Blick auf Melanchthon und seine Rezeption; die Perspektive ist neu, weil traditionell die Rezensionsgeschichte doch stark vom Medium der Schriftsprache getragen ist. Schon wegen der Perspektivenerweiterung ist die Lektüre gehaltvoll gewinnbringend.

 

Goertz, Hans-Jürgen: Thomas Müntzer – Revolutionär am Ende der Zeiten, C. H. Beck München, Neuausgabe 2015, geb., 352 S., ISBN 978-3-406-68163-9, € 24,95.

Dies gilt auch für die von Hans-Jürgen Goertz verfasste Biografie Thomas Müntzers, die gewissermaßen die andere zentrale Gestalt am entgegengesetzten Ende des Spektrums der Reformation erfahrbar macht. Wohl wenige Reformatoren sind so kontrovers rezipiert worden wie Müntzer. Er steht für das Revolutionäre der Reformation, für die soziale Reformation aus der Perspektive der Endzeit. Thomas Müntzer erscheint als großer Gegenspieler Luthers, als Abgefallener, dessen Schicksal sich im Bauernkrieg nicht verwirklicht. Anhand der Biografie wird auch die gespaltene Rezeptionsgeschichte deutlich, hatte doch vor allem die sozialistische Rezeption Müntzers gerade im geteilten Deutschland für einige Verzerrungen gesorgt. Die Biografie erinnert an Person und Werk, an die mystisch apokalyptische Theologie und damit an eine auch in Luthers Werk angelegte Facette der Reformation. Das Reformationsjubiläum ist ein guter Zeitpunkt, sich auch an Thomas Müntzers Freiheitspotenzial seiner Theologie und mit ihr an die politische Dimension der Reformation zu erinnern. Goertz´ Buch ist ein Referenzwerk, dass sich durch eine Dichte an Quellen näher auszeichnet.

 

Bräuer, Siegfried/ Vogler, Günter: Thomas Müntzer – Neu Ordnung machen in der Welt, Gütersloher Verlagshaus München, 1. Aufl. 2016, geb., 542 S., ISBN 978-3-579-08229-5, € 58,00.

Dies gilt auch für die wohl wichtigste Neuerscheinung zu Leben und Werk Müntzers im Vorfeld des Reformationsjubiläums, nämlich die umfassende Biografie von Siegfried Bräuer und Günter Vogler. Das Buch legt einen Schwerpunkt schon in der Rekonstruktion der Frühphase Müntzers, seiner Herkunft, seiner Ausbildung und sein frühes Wirken im Dienst der Kirche. Hier liegt ein besonderer Verdienst der Autoren, weil die Quellenlage einiges im Dunkeln lässt. Ausführlich gewürdigt wird das reformatorische Wirken Müntzers in Böhmen, im Südwesten und schließlich die Rolle Müntzers im Bauernkrieg gipfelnd in seiner Rolle in Frankenhausen. Das Werk zeichnet sich durch eine dichte Quellenrezeption aus. Es findet sich eine umfangreiche Bibliografie und ein verlässliches Personen- und Ortsregister. Anschaulich wird es durch in den Text eingestreute Abbildungen. Die besondere Qualität des Werkes gewinnt es aber vermutlich dadurch, dass seine Autoren unterschiedlichen Disziplinen angehören. So entsteht ein zeitgemäßes und im besten Sinne populärwissenschaftliches Bild Müntzers sowohl aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft, wie auch aus derjenigen der Theologie.

 

Dingel, Irene: Reformation, Zentren-Akteure-Ereignisse, Neukirchener Theologie, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 2016, geb., 308 S., ISBN 978-3-7887-3032-1, € 34,00.

Irene Dingel gelingt ein kleines Wunder: auf ungefähr 300 Seiten rekonstruiert sie die Reformation als einen gesamteuropäischen Prozess. Das Buch „zeichnet die Prozesse der Etablierung und Entfaltung der Reformation im Spannungsfeld der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Europa nach und stellt dazu die reformatorischen Zentren, ihre Akteure und herausragenden Ereignisse in den Mittelpunkt“. So klingt der hierin noch bescheidene, aber treffend formulierte Klappentext. Das Buch ordnet die Reformation nicht nur in ihre politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Strukturen und Bedingungen ein. In der Unterscheidung nach Zentren, Akteuren und Ereignissen nutzt die Untersuchung ein analytisches Raster, das die unterschiedlichen Phasen der Reformation und ihre territorial ganz unterschiedlichen Ausprägungen deutlich werden lässt. Den Ausgang lenkt die Untersuchung zur Wittenberger Reformation, sie vermeidet aber Einseitigkeiten dadurch, dass die Reformation in Zürich, Straßburg und Genf gleichrangig und gleichermaßen Berücksichtigung findet. Kenntnisreich werden der reformatorische Dissens und die Auseinandersetzung mit dem Täufertum und dem Spiritualismus aufgearbeitet. Erfrischend scharfsinnig werden die Implikationen der reformatorischen Bewegung mit den Bedingtheiten und Bedingungen der Reichspolitik entfaltet. Ein besonderes Augenmerk legt die Untersuchung auf eine prägnante Analyse der Ausstrahlung der Reformation in gesamteuropäischer Perspektive. In der Tat liefert die Arbeit einen „kleinen Überblick über ein großes Thema“ (Einleitung) – mag das Wunder dem Protestantismus ansonsten auch suspekt sein, dieses Buch ist ganz unzweifelhaft ein solches.

 

 

 

Kaufmann, Thomas: Luthers Juden, Reclam Stuttgart,  2. Aufl. 2015, geb., 203 S., ISBN 978-3-15-010998-4, € 22,95;  Morgenstern, Matthias: Martin Luther – Von den Juden und Ihren Lügen, Berlin University Press, Verlagshaus Römerweg Wiesbaden, 3. Aufl. 2016, geb., 328 S., ISBN 978-3-7374-1320-6, € 19,90;  Morgenstern, Matthias: Martin Luther und die Kabbala – Vom Schem Hamephorasch und vom Geschlecht Christi, Berlin University Press, Verlagshaus Römerweg Wiesbaden, 2017, 298 S., ISBN 978-3-7374-1327-5, € 19,90.

Martin Luther weckt nicht nur angenehme Assoziationen. Die Feiern zum Reformationsjubiläum dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Luther als Vorbild für den gegenwärtigen Menschen schlicht unerträglich ist. Dies gilt jedenfalls im Hinblick auf seine Beziehung zu den Juden und in Bezug auf die Rezeptionsgeschichte des Antisemiten Luther. Natürlich finden sich in all den besprochenen Biografien ausgewogene Darstellungen Luthers Beziehung zu den Juden und seine in Duktus und Stoßrichtung zumindest unterschiedlich zum Ausdruck gekommenen Positionen. Thomas Kaufmann hat hierzu seine große Lutherbiografie und seine Darstellung der Reformationsgeschichte um eine kleine Studie angereichert. „Luthers Juden“ rekonstruiert Luthers Antisemitismus vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrung. Die Studie kontrastiert dies mit seiner theologischen Wahrnehmung der Juden und seiner reformatorischen Wende in der Judenpolitik, die sich letztlich mit einem Missionsgedanken begründen lassen. Schließlich wendet sich Kaufmann dem späten Luther zu und seinen bösartigen antisemitischen Ausfällen in seinen späten Schriften. Es ist ein weiter Weg von Luthers Schrift, „dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ aus dem Jahr 1523 zu seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ 20 Jahre später. Kaufmanns Untersuchung leistet die Nachvollziehbarkeit dieses Weges, leistet die Historisierung Luthers Antisemitismus ebenso wie die ausgewogene Bewertung biografischer Einflussfaktoren. Verständnis vermag sie für diesen Luther kaum zu wecken. Es ist hoch verdienstvoll, dass Matthias Morgenstern gerade zum Reformationsjubiläum einen hervorragend editierten Zugang zu den Quellen öffnet. „Ad fontes“ ist eben nicht nur ein humanistisches Ideal, sondern auch zu einer durch das eigene Urteil gestützten Annäherung an den Antisemiten Luther hilfreich. Morgenstern legt vorsichtig eine in das heutige Deutsch übertragene und im Vergleich mit der Weimarer Ausgabe kommentierte Ausgabe der Schrift Luthers „Von den Juden und Ihren Lügen“ und „Vom Schem Hamephorasch und vom Geschlecht Christi“ ebenfalls aus dem Jahr 1543 vor. „Wenn sie auch so grausam bestraft würden, dass die Gassen voller Blut rennen, dass man ihre Toten nicht in Hunderttausenden, sondern in Millionen berechnen müsste, wie es in Jerusalem unter Vespasian und unter Hadrian in Bethar geschehen ist, würden sie dann Recht behalten, wenn sie auch nach diesen 15 Jahrhunderten noch 15 Jahrhunderte dem Elend sein sollten. Dennoch würden sie Gott für einen Lügner, sich selbst aber für wahrhaftig halten. Alles im allem, es sind junge Teufel, die zur Hölle verdammt sind“. Worte Luthers in der Tat in einem Dokument der Schande. Dieses Lutherbild kommt in der diesjährigen veröffentlichten Rezeption deutlich zu kurz und umso wichtiger sind Publikationen wie die vorgestellten.

 

Di Fabio, Udo/ Schilling, Johannes, Hrsg.: Die Weltwirkung der Reformation – Wie der Protestantismus unsere Welt verändert hat, C. H. Beck München, 2017, 212 S., ISBN 978-3-406-70078-1, € 16,95.

Die Prägung der modernen Kultur, der Theologie, des Rechts, der Wirtschaftsethik, Geistesgeschichte und Künste durch die Reformation ist unbestreitbar. Das Reformationsjubiläum ist deshalb eine Erinnerung an einen politischen Akt, der gesamtgesellschaftlicher Steuerung nicht unzugänglich ist. Dem hat schon seit Beginn der Lutherdekade der wissenschaftliche Beirat des Reformationsjubiläums Rechnung zu tragen versucht. Der Sammelband trägt Beiträge von Mitgliedern des Beirates zusammen, die einen Überblick über die Wirkungen des Reformationsgeschehens in einigen Facetten erlauben und die leicht zugänglich ein hoch differenziertes Bild auch des Reformationsjubiläums zeichnen. Das Spektrum reicht weit, vom Überblick über das Reformationsjubiläum, den Thomas Kaufmann beisteuert, über die Würdigung Luthers Bibelübersetzung durch Thomas Söding, der Untersuchung des Verhältnisses von Protestantismus und Moderne durch Detlef Pollack und der Dekoration der weltweiten Verbreitung des Protestantismus durch Dorothea Wendebourg. Udo di Fabio und Christoph Strohm steuern rechtsphilosophische und rechtliche Verordnungen bei. Hoch erfrischend schließt der Band mit Ulrike Jureits Bemerkungen zur Reformation als Konfliktgeschichte, ein Pamphlet über die Kommerzialisierung der Gedenkkultur. Luther hätte es sicher gefallen.

 

Ebeling, Gerhard: Luther – Einführung in sein Denken, Mohr Siebeck Tübingen, 6. Aufl. 2017, kt., 347 S., ISBN 978-3-16-154742-3, € 24,00.

In Auseinandersetzung mit der Person und Theologie Luthers ist für die moderne Lutherforschung kaum ein anderes Werk so wirkmächtig gewesen, wie die Untersuchung Gerhard Ebelings aus dem Jahr 1964. Es ist ein Verdienst des Verlages und ihm zu verdanken, dass diese meisterhafte Darstellung von Luthers Denken in einer handlichen Reihe für kleines Geld einem breiten Publikum im Reformationsjubiläum wieder zur Verfügung steht. Ebelings Untersuchung macht klar, von wo die Lutherforschung kommt und woran sich die gegenwärtigen Untersuchungen messen lassen müssen. Ein im Format kleiner Band eines großen Geistes.

 

Bayer, Oswald: Martin Luthers Theologie, Mohr Siebeck Tübingen, 4. Aufl. 2016, kt., 354 S., ISBN 978-3-16155094-2, € 29,00.

Die unveränderte vierte Auflage der Untersuchung Oswald Bayers zur Theologie Luthers erlaubte einen eigenständigen, durch Textexegese geprägten Zugang zum Werk Luthers. Erschlossen werden auf letztlich philologischer Grundlage Luthers Theologieverständnis, die reformatorische Wende in Luthers Theologie, Grundfragen der Bibelexegeten und unterschiedlichste Felder der Dogmatik und Ethik. Bayer kreist hier um Zentralbegriffe der Schöpfung, der Ordnung der Welt mit der Verortung von Kirche, Wirtschaft und Staat, und der Stellung des Menschen, der Gegenwart Gottes in der Welt. Er widmet sich Luthers Vorstellungen zu Begriff und Kennzeichen der Kirche, zur Rolle von Glauben und Gerechtigkeit, sowie dem Dauerbrenner der zwei Regimente Gottes und der Zuordnung von weltlicher und geistlicher Herrschaft. Die Zugänge zu Luthers Werk jenseits der populärwissenschaftlichen Vermittlung werden nicht immer durch den Duktus der systematischen Theologie erleichtert. Es ist der bleibende Verdienst der hier vorgelegten Studie, diese Sprachbarrieren eingerissen zu haben. Auch für den Laien öffnet sich so Luthers Werk in zentralen Aussagen und Strukturen. In der Werkexegetik liegt der Wert des Buches, seine Schwächen treten dann zu Tage, wenn der Autor aus seinem Fach heraustritt und insbesondere die Anbindung Luthers Freiheitsverständnisses an den neuzeitlichen philosophischen Diskurs sucht. Was Luther in der Gegenwart leisten kann und welche Grenzen seiner zeitgenössischen Wiederaneignung gezogen werden, macht die Studie gleichermaßen deutlich. Es ist erfreulich, dass sie eine Neuauflage erlebt hat.

 

Michel, Stefan: Die Kanonisierung der Werke Martin Luthers im 16. Jahrhundert (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, Bd. 92), Mohr Siebeck Tübingen, 2016, geb., 386 S., ISBN 978-3-16-154453-8, € 119,00.

Die Historisierung des Werkes Luthers und seine Rezeption beginnen mit dem Tod des Reformators. Sowohl die Bibelübersetzung Luthers als auch die Kompilation seiner Werke ist das Ergebnis der Kanonisierung der Werke Luthers, die unmittelbar nach seinem Tod einsetzte. Dabei sind Luthers Werke nicht nur eine Fundgrube für die Theologie seiner Schüler sondern natürlich auch steter Quell der Auseinandersetzung seiner Schüler um die Deutungshoheit über Luthers Werk. Die Werkedition war schon von Beginn an auch von wissenschaftlichem, theologischem und strategischem Interesse geleitet. Die hervorragend recherchierte und in der Quellenarbeit dichte Habilitationsschrift von Stefan Michel unterzieht diese Kanonisierungsprozesse erstmals einer grundlegenden monographischen Untersuchung. Überaus deutlich wird die Heterogenität gerade innerhalb der Wittenberger Theologengruppe. Einig war man in der Beschreibung der Aufgabe, nach Luthers Tod seine reformatorische Arbeit zu bewahren und an die nächste Generation weiterzugeben, diese Einigkeit setzte sich aber nicht in der Deutung Luthers und seines Werkes fort. Stellvertretend seien hier die Zentralfiguren Nikolaus von Amsdorf und Philipp Melanchthon zu nennen. Michels Untersuchung ist eine Fokussierung auf die Medien der Lutherbibel, der Werksausgabe und der Arbeiten an den Bekenntnisschriften im 16. Jahrhundert. Der Gang in die Archive eröffnet dem Verfasser die Rekonstruktion der Entstehung und Wirkung der kursächsischen Normbibel des Jahres 1581 sowie der konkurrierenden Wittenberger und Jenaer Lutherausgaben. Michels Untersuchung offenbart damit Zentren der Kanonisierung in personaler und territorialer Hinsicht mit variierenden theologischen Anliegen. Offenbart wird so ein Kanonisierungsprozess, der das Material der Werkrezeption gestaltet und so einen Blick beiträgt, der das Lutherbild bis weit in die Gegenwart hinein bestimmt. Eine wichtige Untersuchung an den Grundlagen der Reformation.

 

Witt, Christian Volkmar: Martin Luthers Reformation der Ehe (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, Bd. 95), Mohr Siebeck Tübingen, 2017, geb., 346 S., ISBN 97816-154767-6, € 99,00.

Die Grenzen der Ökumene werden an wenigen Punkten so deutlich und für den Einzelnen auch so schmerzhaft wie im Zusammenprall des katholischen und des evangelischen Verständnisses der Ehe. Hier Sakrament, dort in Luthers Worten „ein weltlich Ding“. Hier die Rabulistik und Detailverliebtheit eines kirchlichen Eherechts und einer übergriffigen kirchlichen Ehegerichtsbarkeit und dort: mehr als eine Leerstelle? Witts Wuppertaler kirchengeschichtliche Habilitationsschrift beleuchtet Luthers Eheverständnis und füllt damit diese Leerstelle. Deutlich wird hier einerseits der Fokus darauf gelegt, dass Luther mit den theologischen Vorgaben und Prägungen der Papstkirche grundlegend bricht. Die Untersuchung kontrastiert hier stark jene Wurzeln mittelalterlicher Ehetheologie. Einander gegenübergestellt werden Luthers Darlegungen in seinem Sermon „Vom ehelichen Leben“ und seiner mittelalterlichen Rezeption und kirchenrechtlichen Fundierung im Corpus Iuris Canonici. Die Untersuchung wendet sich sodann der Vertiefung von Luthers Theologie in dem späteren Werk des Reformators zu. Deutlich wird die Verbindung der Theologie mit Luthers grundlegenden reformatorischen Anliegen der Rekonstruktion und der Neubestimmung des Verhältnisses von Gott zum Menschen. In klarer Sprache hat Witt eine grundlegende Untersuchung vorgelegt, die das Revolutionäre und damit auch das Eigenartige evangelischer und lutherischer Theologie gerade in Kommunikation mit dem großen Gegenüber deutlich werden lässt.

 

Wolgast, Eike: Aufsätze zur Reformations- und Reichsgeschichte (Jus Ecclesiasticum Bd. 113), Mohr Siebeck Tübingen, 2016, geb., 583 S., ISBN 978-3-16-154198-8, € 99,00.

Die Aufsatzsammlung enthält einen Wiederabdruck von bislang verstreuten Arbeiten des Heidelberger Historikers Eike Wolgast und führt so die Erträge eines Forscherlebens an einem Ort zusammen. Im Band zeichnet sich ein Panorama ab mit einem zeitlichen Schwerpunkt im 16. Jahrhundert. Die Arbeiten kreisen um wichtige Themen der Geschichte der Reformation und insbesondere ihre Auswirkungen auf die Verfassung und Strukturen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Untersucht wird die Einführung der Reformation in den deutschen Territorialstaaten, die Behandlung der Religionsfrage auf den Reichstagen, die Friedensschlüsse und die Reaktionen der Reichskirche auf die neuen Herausforderungen sowie das Schicksal von Minderheiten und konfessionellen Gegnern im Diskurs des 16. Jahrhunderts. Die Beiträge gehen in Bezug auf die Friedensschlüsse hierüber in zeitlicher Hinsicht hinaus und erreichen das 20. Jahrhundert.

Beschlossen wird die Aufsatzsammlung mit einer luziden Studie zur Vermögenssäkularisation und Herrschaftssäkularisation im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses des Jahres 1803. Hervorzuheben sind Kleinodien der Rechtsgeschichte und insbesondere der Reichsrechtsgeschichte, die sich ohne die Kompilation kaum zu einem solcherart gewinnbringenden Lesereindruck verdichten ließen.

 

Rehberg, Andreas, Hrsg.: Ablasskampagnen des S pätmittelalters – Luthers Thesen von 1517 im Kontext, De Gruyter, Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Bd. 132, 2017, 730 S., ISBN 978-3110501629, € 129,95.

Die Beiträge des Sammelbandes widmen sich dem Ablass und damit dem Instrument, dem Luthers Thesen und Widerstand galten und den unmittelbaren Anlass des Reformationsgeschehens bildeten. Das Jahr 1517 ist eben Markstein wegen des Beginns der Auseinandersetzungen um Luthers Ablassthesen. Es ist erstaunlich, dass der Ablass in den vielfältigen Publikationen zum Reformationsjubiläum oftmals in den Hintergrund rückt. Diesem Befund hilft der Sammelband grundlegend und grundsätzlich ab. Der Ablass wird zunächst in seiner theologischen und kulturgeschichtlichen Bedeutung erörtert. Hervorzuheben ist der sehr lesenswerter Beitrag Kurt Kardinal Kochs zur Einführung in die Ablasstheologie. Weitere Beiträge widmen sich dem Hintergrund und der Praxis des Ablasswesens und beleuchten hier insbesondere die auch im 15. Jahrhundert schon weit zurückreichende Geschichte der Ablasspraxis und der Ablasstheologie. Einen besonderen Gewinn bedeutet das Werk schließlich in Bezug auf die sorgfältige Analyse der unterschiedlichen Träger der Ablasskampagne. Protagonisten der Ablassverkündigung sind nicht nur die den Ablass ausstellenden Päpste und Bischöfe, sondern auch die Orden und diverse Laiengruppen, die die Erträgnisse in verschiedensten Bereichen investierten. Der berüchtigte Ablass zur Aufbringung der notwendigen Kapitalien zur Errichtung des Petersdoms findet eben seine Entsprechung in ganz unspektakulären Bereichen wie dem Brückenbau und der Versorgung von Notleidenden in Hospitälern. Der Ablass erscheint so als ausgesprochen vielgestaltiges Finanzierungsinstrument mit oftmals verkannter historischer Tiefendimension. Der Band fokussiert hierzu dann auf den Ablass als territorial unterschiedlich ausgeprägtes Instrument und zieht hier unter anderem das Bistum Meißen als Referenz heran. Schließlich und zu guter Letzt wendet er sich Luthers Ablassthesen und der sich hieran anschließenden kontrovers theologischen Auseinandersetzung zu. Der Sammelband bietet ein Panoptikum der kirchenrechtlichen und theologischen Forschung zum Ablass und bereichert damit die Gegenwart um die Rekonstruktion des Reformationsgeschehens. Der Band lotet damit auch die Relevanz des Ablassthemas für den heutigen interkonfessionellen Dialog aus und ist deshalb eine wichtige Publikation.

 

Germann, Michael/ Decock, Wim, Hrsg.: Das Gewissen in den Rechtslehren der protestantischen und katholischen Reformationen, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2017, 345 S., ISBN 978-3-374-04548-8, € 68,00.

Die Beiträge des Bandes dokumentieren eine Tagung, die im April 2014 an der Leucorea in Wittenberg stattgefunden hat und sich dem Rechtsstatus des Gewissens gewidmet hat. Untersucht werden die Auswirkungen der religiösen Reformbewegungen ab dem 16. Jahrhundert für die Formierung und rechtliche Konturierung der Gewissensfreiheit. Mit der grundlegenden Neubestimmung des Verhältnisses des Einzelnen zum Gemeinwesen und seines Gottesverhältnisses gewinnt für reformatorische Leitbilder das Gewissen als handlungsleitende Instanz maßgebliche Bedeutung. Deutlich und schon früh bewusst wird auch die Sprengkraft der Gewissensfreiheit gegenüber dem Geltungsanspruch allgemeiner Gesetze. Es verwundert deshalb nicht, dass das Gewissen Gegenstand nicht nur des Religionsrechts, sondern vor allem auch der Rechtsphilosophie und Rechtstheorie ist. Das Gewissen findet sich so in der politischen Theologie wie in der politischen Ethik, in ihrem Fokus zieren sich frühe Rekonstruktionen des Völkerrechts wie auch des Naturrechtsdenkens. Schließlich ist die Gewissensfreiheit auch Diskursgegenstand der protestantischen Kirchenrechtslehre. Der Band führt in vergleichender Perspektive oft separat betriebene Forschungen über die Traditionsbildungen und Lehren lutherischer, calvinistischer und römisch-katholischer Theologen und Juristen des 16., 17. und frühen 18. Jahrhunderts zusammen. Das übergreifende Erkenntnisinteresse der Beiträge lässt sich damit beschreiben, den Wechselwirkungen nachzuspüren, die zwischen diesen konfessionell geprägten Rechtslehren bestanden. Die Beiträge umfassen Themen zu Rechtskonzepten des Gewissens und ihrer Umsetzung in den Lehren vom öffentlichen Recht, vom Kirchenrecht aus theologie-, rechts- und philosophiegeschichtlichen Perspektiven. Die Lektüre lässt den Leser bereichert zurück.

Univ.-Prof. Dr. Michael Droege (md) war von 2010 bis 2014 Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht zunächst an der Universität Osnabrück und dann an der Universität Mainz. Seit 2015 hat er einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Verwaltungsrecht, Religionsverfassungsrecht und Kirchenrecht sowie Steuerrecht an der Eberhard Karls Universität Tübingen inne.

sekretariat.droege@jura.uni-tuebingen.de

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