Buch- und Bibliothekswissenschaften

Bücher. Bibliotheken. Verlage. Buchhandel. Autoren. Leser.

Bücher

Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte. Band 24. 2016 / Hrsg. im Auftrag der Universitätsbibliothek Leipzig von Thomas Fuchs, Katrin Löffler und Christine Haug. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2016. 402 S. ISBN 978-3447-10546-0. ISSN 0940-1954. € 69.00

Auch der 24. Band des erfolgreichen Leipziger Jahrbuches umfasst wieder ein thematisch, zeitlich und methodisch weit gespanntes Spektrum neuer Forschungen zur Geschichte des Buchwesens. Dazu gehören u.a. Beiträge zu der fast vergessenen „Bibliothek August Scherl“ des Berliner Verlegers gleichen Namens aus den Jahren 1908 bis 1914, mit der sich die Menschen von der immer mehr um sich greifenden Schundliteratur zur Ästhetik „emporlesen“ sollten sowie die Widerspiegelung Ungarns in der Leipziger Zeitschrift „Blätter für literarische Unterhaltung“ in den Jahren 1848 bis 1853. Zu einem Workshop über die Entwicklung Leipzigs zur Metropole des Buches findet sich eine umfangreiche Dokumentation, so mit den Vorträgen über den Leipziger Buchdruck in der Mitte des 16. Jahrhunderts, das Leipziger „Pfennig-Magazin“ (1833–1855) als Beispiel zu den Anfängen der illustrierten Presse in Deutschland, die Anfänge des erotischen Privatdrucks um 1900 in Leipzig sowie den Felix Meiner Verlag in Leipzig nach 1945.

Christian Adam: Der Traum vom Jahre Null. Autoren, Bestseller, Leser: Die Neuordnung der Bücherwelt in Ost und West nach 1945. Berlin: Verlag Galiani, 2016. 441 S. ISBN 978-3-86971-122-5. € 28.00 

Nach dem 2010 erschienenen großartigen Überblick Lesen unter Hitler: Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich (vgl. fachbuchjournal 2(2010) 6, S. 48-49) legt Christian Adam mit Der Traum vom Jahre Null. Autoren, Bestseller, Leser eine Folgestudie zur Neuordnung der Bücherwelt in Ost- und Westdeutschland vor. Er untersucht dies anhand einer „virtuellen Bestsellerliste“ von 400 Titeln belletristischer und Sachbuchliteratur, die in Auflagenhöhen von insgesamt 10.000 oder mehr Exemplaren bis Anfang der 1960er Jahre erscheinen; davon stellt er ein Zehntel vor. Die vollständige Liste fehlt – leider. Der Autor konzentriert sich auf bemerkenswerte Beispiele und erzählt mit und an ihnen Geschichte und Geschichten in elf Kapiteln. Die Struktur ermöglicht einen Vergleich zwischen der Buchproduktion in West und Ost. „Pointiert lässt sich sagen, dass … der Westen das personelle Erbe des >Dritten Reichs< annahm, der Osten das strukturelle.“ (S. 358) Ergo: 1945 gibt es im Verlagswesen keinen eindeutigen Bruch mit den Traditionen des Nationalsozialismus. Die Kontinuitäten dominieren gegenüber einem Neuanfang. Der Traum vom Jahre Null ist zerplatzt, wenn auch im Osten einiges besser oder anders läuft. So kommen, den vergebenen Literaturpreisen nach zu urteilen, im Osten 77% der Bestseller-Autoren aus der Emigration oder gehören der Nachkriegsgeneration an. Im Westen kommen 57% aus der inneren Emigration oder waren Mitglieder der NSDAP, ein großer Anteil der Verleger und der Autoren sind zwar offiziell entnazifiziert, beschönigen oder verschleiern aber ihre Rolle im Nationalsozialismus.

Es gibt nach dem Zweiten Weltkrieg zwei neue deutsche Staaten, aber keine neuen Leser und kaum neue Autoren: „Die Nachkriegsgesellschaft bekam die Literatur, nach der sie verlangte.“ (S. 362)

Wieder ein großartiger lehrreicher Überblick, wenn man so will, eine Literaturgeschichte ohne „Blick auf die kanonisierte Höhenkammliteratur“ (S. 16) Der Autor zeigt die Geisteshaltung der Deutschen anhand ihrer populären Lesestoffe.

Elke Lang: Den Trümmern abgetrotzt – Bücher der Stunde Null. Mit einem Geleitwort von Ferdinand Puhe und Carsten Wurm sowie drei Originalgrafiken von Felix M. Furtwängler zu Gedichten von Wulf Kirsten. Wiesbaden: Harrassowitz Verl. in Kommunikation., 2015. 57 S. (Jahresgabe 2015 der Pirckheimer-Gesellschaft) ISBN 9783-447-10463-0. € 68.00

Dies ist eine kleine Ergänzung zu dem Buch von Christian Adam, gewidmet dem Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Bibliophilen Lothar Lang (1928–2013). Im Mittelpunkt steht die Beschreibung seiner kleinen Sammlung: „Die Bücher dieser Zeit sind wichtige Zeugnisse des Neubeginns nach 1945, der bald schon andere Bahnen nahm, als die Intellektuellen und Schriftsteller angestrebt hatten.“ (Geleitwort S. 1) Herausgeber und Autoren sind sich der umstrittenen Bezeichnung Stunde Null durchaus bewusst, halten an ihr aber fest, weil der Sammler Lang „nicht den Fokus auf die materielle Wiederaufnahme, nachdem alles in Trümmern lag, richten wollte, sondern auf den geistigen Neuanfang, und zwar auf einer höheren Ebene … Wie nutzte Deutschland diese Chance?

Das war es, was ihn an den Büchern dieser Zeit interessierte, nach denen er in den Antiquariaten suchte“ (S. 6-7) Das will der Rezensent, der auch eine kleine Auswahl zu diesem Thema sein eigen nennen kann, so stehen lassen und sich an den Erkundungen und interessanten Beispielen von Lea Grundig über Victor Klemperer bis Friedrich Wolf erfreuen. Als Begleitpublikation zu einer Ausstellung ein bibliophiler Genuss!

Zu Leben und Werk von Lang siehe auch seine Memoiren Ein Leben für die Kunst (Rezension im fachbuchjournal 2 (2010) 3, S. 93)

Alexandra Stender: Die Entwicklung der Buchherstellung in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel der prämierten Bücher der Stiftung Buchkunst. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2016. IX, 188 S. (Buchwissenschaftliche Beiträge. 92) ISBN 978-3-447-10566-8. € 48.00 

Die Autorin unternimmt in ihrer Dissertation den Versuch, „die Entwicklungstendenzen in der Buchherstellung in der Bundesrepublik Deutschland von 1951 bis zur Gegenwart nachzuzeichnen“ (S. 2), ausgegrenzt wird wegen anderer politischer Strukturen und angesichts des Mangels an Ressourcen ein ähnlicher in der DDR durchgeführter Wettbewerb. Sie arbeitet die wesentlichen Ursachen und Treiber heraus, behandelt Papier und Papierauswahl, Buchformate, Satztechnik, Typografie, Druck, Bindung und Ausstattung. Als Sample der Untersuchung dienen die Prämierungen des Wettbewerbs der schönsten Bücher der Stiftung Buchkunst. Der eigentliche Sinn dieses Wettbewerbs ist es, die Buchgestaltung zur Diskussion zu stellen, vor allem auch deshalb, weil sie immer wieder technischen Änderungen unterliegt und seit einigen Jahren auch vor dem Hintergrund der digitalen Konkurrenz. Damit dient die Untersuchung der Autorin einem vertieften Verständnis des Wandels in der deutschen Buchkultur. Besonders hervorzuheben sind die umfangreichen Darlegungen der wissenschaftshistorischen, theoretischen und methodischen Grundlagen und die Geschichte des Wettbewerbs der schönsten Bücher. Im Mittelpunkt stehen die Tendenzen in der Buchherstellung und die Treiber des Wandels. Das Fazit enthält fünf Entwicklungstreiber der Buchherstellung. Die Buch- und Bibliothekswissenschaft und die Bibliophilie profitieren von der ausgezeichneten Studie. Schade, dass die Arbeit gestalterisch nicht den Erfordernissen des Themas im Hinblick auf Papier, Satztechnik, Typografie, Bindung und Ausstattung entspricht, und dann fehlen auch noch die Hinweise auf verwendete Type und Papier.

Bibliotheken

Bibliothekare zwischen Verwaltung und Wissenschaft. 200 Jahre Berufsdebatte / Hrsg. Irmgard Siebert und Thorsten Lemanski. Frankfurt am Main: Klostermann, 2014. 277 S. (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderband 111) ISBN 978-3-465-04208-2. € 69.00

In diesem Sammelband geht es um eine seit der Veröffentlichung der „Bildung des Bibliothekars“ von Friedrich Adolf Ebert im Jahr 1820 geführte Debatte zu den Aufgaben des wissenschaftlichen Bibliothekars. Eigentlich ist dies ein internes Streitgespräch, der Verlauf und die Beweisführung sind aber auch für andere Berufe und die Wissenschaftsgeschichte von Interesse. In 13 aktuellen Beiträgen und Nachdrucken aus vergangenen Zeiten wird ausgiebig und auf hohem Niveau diskutiert. Von besonderem Belang sind die Beiträge aus der bibliothekarischen Praxis an den Universitäten Marburg und Mannheim und den nordrhein-westfälischen Gesamthochschulbibliotheken.

Schwerpunkte sind zwei Komplexe: Verwaltungsaufgaben versus wissenschaftliche Tätigkeit der wissenschaftlichen Bibliothekare (insbesondere der Fachreferenten, die für die Auswahl und Sacherschließung der Neuerwerbungen einzelner Wissenschaftsgebiete und für die entsprechende Informationstätigkeit verantwortlich sind) sowie der Einzug der Informationstechnik in die Bibliotheken und die Ökonomisierung der Bibliotheken.

Im letzten Beitrag glaubt der Autor Klaus-Rainer Brintzinger an „das Ende einer jahrzehntelangen Debatte“ (S. 237) Dies erwartet der Rezensent nicht, der Band ist für ihn nur eine Bestandsaufnahme, allerdings eine zukunftsorientierte.

Gaston Mannes: Der Abschied des Hofbibliothekars. Kulturhistorische Tableaus. Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms Verl., 2017. 348 S. ISBN 978-3-487-08593-7. € 39.80

Hofbibliothekar, was muss das für ein schöner Beruf sein, oder? In acht literarischen, unterschiedlich konzipierten Essays berichtet Gaston Mannes über das Verhältnis bedeutender Hofbibliothekare zu den regierenden Herrschern. Dabei werden auch die Schattenseiten dieser Position sichtbar. Im Mittelpunkt stehen die Spannungen zwischen dem Amtsträger und dem Regenten – und das Ende des Dienstverhältnisses. Bei den Hofbibliothekaren handelt es sich um keine geringeren als um Leibniz, Kant, Lessing, Heinse, Hölderlin, die Brüder Grimm, Grillparzer und Hoffmann von Fallersleben. Und in einem neunten Essay geht es um einen nicht namentlich genannten Bibliothekar aus Luxemburg, dem Autor dieses Buches. Das Amt als Hofbibliothekar der Großherzoglichen Bibliothek in Colmar-Berg wird ihm 1998 angetragen, er hat es mit Erfolg bewältigt, bis die Idylle endet, „über die Jahre problemlos, unbehelligt, fast wunschlos glücklich, losgelöst von allzu irdischen Fragen“, (S. 307) als er sich mit der Rolle der damaligen Regentin im Ersten Weltkrieg beschäftigt.

Die Essays sind eine Mischung von in Quellen belegten Zitaten der Hofbibliothekare und fiktionalen Ergänzungen von Gaston Mannes, und dem Leser obliegt es, die feinen Unterschiede zu erkennen und die brillant geschriebenen Texte zu genießen. Es ist eine anspruchsvolle Lektüre, eine wunderbare Ergänzung der Bibliotheks-, Literatur- und Philosophiegeschichte.

Martina Bork: Im Labyrinth der Bibliothek. Metaphorische Bibliotheksentwürfe in zeitgenössischer Literatur und bildender Kunst. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2015. X, 269 S. (culturæ 14) ISBN 978-3-447-10471-5. € 54.00

Die facettenreiche Vielgestaltigkeit imaginärer Bibliotheken dokumentiert „eine Faszination, die auch und vielleicht gerade im Zeitalter der ubiquitär verfügbaren elektronischen Informationen als räumlich-konkreter Bücherhort noch immer von ihnen ausgeht – eine Faszination übrigens, der ich während meiner Beschäftigung mit ihnen immer wieder gerne erlegen bin.“ (S. IX) Die Autorin untersucht in ihrem fabelhaften Buch, dem eine weite Verbreitung unter Literatur- und Wissenschaftshistorikern, Bibliothekaren, Buchhändlern und Bibliophilen zu wünschen ist, die Bibliotheksmetaphorik in der zeitgenössischer Literatur und bildenden Kunst, „was die Bibliothek und ihre Metaphern zu einem wichtigen literarischen und bildkünstlerischen Sujet macht und welche Eigenschaften sowie Funktionen ihr mittels dieser zugeschrieben werden können.“ (S. 2) Ausführlichen Darlegungen über die Metapherntheorie folgen wunderbare Beispiele für Bibliotheken im fiktiven literarischen, bildkünstlerischen und ästhetischen Kontext wie in dem Kapitel „Erinnern und Vergessen in der Bibliothek“ mit Micha Ullmans Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung in Berlin, Rachel Whitereads Holocaust-Mahnmal in Wien und Bücher und Bibliotheken im Werk von Anselm Kiefer oder in dem Kapitel „Von Labyrinthen und Bücherbauten“ mit Jean Libis` Roman „La Bibliothèque“ und Carlos Ruiz Zafóns „La Sombra del viento“ mit dem geheimen Friedhof der vergessenen Bücher.

Die Zukunft des Sammelns an wissenschaftlichen Bibliotheken / Hrsg. Michael Knoche. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2017. 170 S. (Bibliothek und Wissenschaft. 50. 1017) ISBN 978-3-447-10836-2 ISSN 0067-8236. € 99.00

Der Einzug moderner Informations- und Kommunikationstechnologien hat das Gesicht der Bibliothek wesentlich verändert. Über das Internet erhält der Bibliotheksbenutzer – auch ohne die Bibliothek aufzusuchen – unkompliziert und schnell Zugang zu Informationen in einer Mannigfaltigkeit und Differenziertheit und in einem Umfang, die die analoge Welt der gedruckten Informationen so nicht bieten kann. Das verändert auch den Sammelauftrag der Bibliothek. Mitten in diesem Wandlungsprozess findet eine bemerkenswerte und weit über die Bibliothekswissenschaft hinaus interessante Podiumsdiskussion zur Zukunft des Sammelns an wissenschaftlichen Bibliotheken statt, deren Ergebnisse präsentiert und von mehreren Beiträgen zu diesem Thema aus zwei verschiedenen Perspektiven – der Buchwissenschaft und verschiedenen Bibliothekstypen – flankiert werden.

Einen bemerkenswerten Blick von außen liefern Aleida Assmann, em. Prof. für Anglistische und allgemeine Literaturwissenschaft mit „Das kulturelle Gedächtnis zwischen materiellem Speicher und digitaler Diffusion“ und Bernhard Fabian, em. Prof. der Englischen Philologie und der Buchwissenschaft, mit „Die kulturelle Überlieferung als Sammlung“. Das Fazit findet sich in der Podiumsdiskussion als Wortmeldung von Thomas Bürger auf Seite 127: „Die Überlappung der verschiedenen Medien ist eine geschichtliche Tatsache … Sind wir Bibliothekare den neuen Herausforderungen gewachsen? Haben wir eine digitale Kompetenz, so dass uns die junge Forschergeneration ernst nimmt? Das entscheidet über unsere Zukunft.“ Der Band gibt wichtige Auskünfte und Vorgehensweisen zum Sammelauftrag wissenschaftlicher Bibliotheken im Medienumbruch.

Arznei für die Seele. Mit der Stiftsbibliothek St. Gallen durch die Jahrhunderte . Sommerausstellung 14. März bis 12. November 2017 / Hrsg. Cornel Dora. St. Gallen: Verlag am Klosterhof, 2017. 139 S. ISBN 978-3906819-20-4. € 25.00

Die aktuelle Ausstellung ist der Geschichte der Stiftsbibliothek des ehemaligen Benediktinerstifts St. Gallen gewidmet. Die um 700 gegründete Bibliothek gehört zu den bedeutendsten historischen Bibliotheken der Welt. Sie besitzt 2100 Handschriften, 1650 Inkunabeln und Frühdrucke und 160.000 Bücher. Sie ist das Herzstück des UNESCO-Weltkulturerbes Stiftsbezirk St. Gallen.

Über dem Portal des Barocksaals befindet sich die Inschrift ΨΥΧΗΣ ΙΑΤΡΕΙΟΝ – Heilstätte der Seele. „Die Bibliothek ist der Ort einer Passage, die uns dorthin führt, wo unser Unsterbliches zu Hause ist.“ (S. 20, in der wunderbaren Einführung von Uwe Jochum). Die Ausstellung erzählt von der langen Geschichte dieser einzigartigen Bibliothek und führt den Betrachter immer wieder zum Seelenheil der Bibliothek und ihrer Bestände. In dem sehr schön gestalteten und gedruckten Büchlein finden sich neun Kapitel, die Denk- und Merkwürdiges aus der Geschichte der Bibliothek vermitteln, flüssig, gekonnt und leicht verständlich geschrieben und sinnvoll mit Fotos ergänzt, im Anhang ein Register der Handschriften, Drucke und Objekte.

Es ist so: In der Welt der Bücher wird Heilung versprochen. Dieser Führer ist eine Ergänzung und zum Teil auch Aktualisierung der Veröffentlichungen von Johannes Duft (Stiftsbibliothek Sankt Gallen. Geschichte, Barocksal, Manuskripte.

9. Aufl. 1992) und Ernst Tremp et al. (Stiftsbibliothek Sankt Gallen. Ein Rundgang durch Geschichte, Räumlichkeiten und Sammlungen. 2003) Übrigens: Der Schriftsteller Thomas Hürlimann verarbeitet in seiner Novelle „Fräulein Stark“ jenen Sommer, den er als Junge bei seinem Onkel, dem Stiftsbibliothekar Johann Duft, verbringt.

Lesen. Sammeln. Bewahren. Die Bibliothek Joachims von Alvensleben (1514–1588) und die Erforschung frühneuzeitlicher Büchersammlungen. Tagung auf Schloss Hundisburg vom 11.9. bis 13.9.2014 / Hrsg. Berthold Heinecke und Reimar von Alvensleben. Frankfurt am Main: Klostermann, 2016. 382 S. (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderband 119) ISBN 978-3465-04266-2. € 98.00

2012 kann die historische Bibliothek, die von dem Humanisten und Reformator Joachim von Alvensleben im 16. Jahrhundert begründet wird, wieder in ihre Heimatregion zurückgeführt und erstmals geschlossen aufgestellt werden. Sie ist einige der wenigen Renaissancebibliotheken, die noch zu substanziellen Teilen erhalten ist und nicht aus Dokumenten rekonstruiert werden muss. Dies und viele andere Informationen, insbesondere zum Stand der Forschung, sind in einer umfangreichen Einführung aufnotiert. 7 von 15 Beiträgen beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten der Alvenslebenschen Bibliothek und bilden den Rahmen und Ausgangspunkt für die weitere Themen zur Erforschung frühneuzeitlicher Bibliotheken wie die Arbeitsbibliothek von Gottfried Wilhelm Leibniz und dessen Bibliothekskonzeptionen, die historischen Bibliotheksund Archivbestände der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatsstifts Zeitz, die Fürstlich Waldecksche Hofbibliothek in Arolsen, die Rekonstruktion der 1655 nach Wien verkauften Fuggerbibliothek sowie die verlorene Bibliothek Otto von Guerickes, die 1759 verkauft wird. Der Band enthält wertvolle Darstellungen und Informationen über Bibliotheken als integraler Bestandteil der frühneuzeitlichen Wissenschaft und Kultur und ist für die Buchwissenschaft und die Bibliotheks-, Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte gleichermaßen von Interesse.

„Das Paradeis fanden wir …“ Streifzüge durch die Bücherwelten der ULB Düsseldorf / Hrsg. Irmgard Siebert. Frankfurt am Main: Klostermann, 2017. 313 S. (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderband 121) ISBN 978-3-465-04290-7. € 79.00 

Aufzuklären sind der Titel „Das Paradeis fanden wir …“ = ein Zitat aus Grimmelshausens Simplicissimus (zu finden in vielen Zitatsammlungen), ULB = Universitäts- und Landesbibliothek (eine Abkürzung im Titel ist nie gut, wenn mehr als nur Bibliothekare erreicht werden sollen) und die Quelle einer Initiale auf dem Vorderdeckel = im Buch auf Seite 258 zu finden, stammt aus dem Jahr 1514 und heißt Minerva und das Schwein, Bezug zu diesem Buch? Der Aufklärung ist Genüge getan. Die Düsseldorfer Bibliothek ist nicht die erste und wird auch nicht die letzte Bibliothek sein, die ihre Sammlungen vorstellt, aber als Besonderheit sei angemerkt, dass die erst 1965 samt Bibliothek gegründete Universität über einen umfangreichen Altbestand verfügt, der kaum durch planmäßige Sammlung, eher durch die Übernahme aus privater Hand gewachsen ist. Das Ziel: „gut erschlossene und bewahrte Sammlungen in analoger, digitaler und hybrider Form“ bereitzustellen, denn diese besitzen „ein außerordentlich vitales, inspirierendes, kreativitäts- sowie forschungs- und erkenntnisförderndes Potenzial“, und das im „Dialog mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die über ihre Bestände forschen.“ (S. 8) Dazu gehören u.a. Sammlungen verschiedener Vorgängereinrichtungen wie die der Düsseldorfer Hofbibliothek, die Schulprogramm-Sammlung (die bundesweit größte erschlossene und digitalisierte Sammlung, bisher 38.000 Exemplare von 1802–1920), die Sammlung des Düsseldorfer Künstlerfotografen Erwin Quedefeldt, die Sammlung des Kunsthändlers und Kunstsammlers Alfred Flechtheim, die Thomas-Mann-Sammlung und das Janus-Korczak-Archiv. Über die Sammlungen wird in ausgezeichneten Beiträgen referiert. Eine wichtige Publikation für die wissenschaftshistorische Forschung.

Ulrich Hohoff: Wissenschaftliche Bibliothekare als Opfer in der NS-Diktatur. Ein Personenlexikon. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2017. XIII, 415 S. (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen. Bad 62) ISBN 978-3-44710842-3. € 72.00

Ein großartiges Lexikon, das personelle Verluste des europäischen Bibliothekswesens dokumentiert, die durch die nationalsozialistische Herrschaft zuerst in Deutschland und später in allen von Deutschland okkupierten Ländern entstanden sind. In dieses Personenlexikon wurden 281 Personen aufgenommen, in der Regel wissenschaftliche Bibliothekare. Die Einträge folgen einem vorgegebenen Raster. Den biographischen Eckdaten (Name, Vorname, Beruf, Geburtsdatum und -ort, Sterbedatum und -ort) folgen die Lebensläufe mit dem Hauptaugenmerk auf die Zeit nach 1933, am Schluss befinden sich Quellen und eine Personalbibliographie. Zahlreiche deutsche Personen sind zwar durch Einzeluntersuchungen bekannt, aber in dieser beeindruckenden Zusammenschau und mit dieser internationalen Vielfalt hat jeder Leser beim Nachschlagen einen großen Gewinn.

Sehr wichtig sind die Ergänzungen zu den Einträgen: ein umfangreiches Vorwort, eine über 90seitige Einleitung (mit den Entlassungen der Bibliothekare nach Ländern, mit einer Liste der Emigranten nach Zielländern, mit Bemerkungen zur Teilnahme am Widerstand in den verschiedenen Ländern, dem Leben verfolgter Bibliothekare nach 1945, den Arbeitsschwerpunkten der Opfer nach Wissenschaftsfächern) und eine optimalen Erschließung der einzelnen Beiträge (durch ein Verzeichnis des letzten Dienstorts vor der Entlassung oder Verfolgung, ein Verzeichnis der Wissenschaftsfächer und Berufe, ein Literaturverzeichnis und ein Register der Personen, Körperschaften und Orte). Das Lexikon „stellt grundlegende Informationen bereit, auf denen Forschungen über verfolgte Bibliothekarinnen und Bibliothekare während der NS-Diktatur aufbauen können.“ (S. 92) Chapeau!

»Darf ich Ihnen meinen Wunschzettel mitteilen?« Die Bayerische Staatsbibliothek in der Literatur / Hrsg. Waldemar Fromm und Stephan Keller unter Mitarbeit von Laura Mokrohs. München: Allitera Verl., 2014. 142 S. ISBN 978-3-86906-691-2. € 14.90

Das Buch „versammelt literarische Einblicke auf die Bayerische Staatsbibliothek aus mehr als 200 Jahren, die prägnant und pointiert ihre Rolle im kulturellen Leben Münchens beschreiben.“ (S.9) Es dokumentiert eine kleine Auswahl aus den Geschichten über die Verortung dieser Bibliothek, chronologisch geordnet von Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute. Es geht immer um das Verhältnis zwischen dem Nutzer (Dichter, Schriftsteller, Gelehrter, Komponist) und der Bibliothek (Stellung der Bibliothek und ihre Aufgaben, Öffnungszeiten, Bestand, Gebäude, Arbeitsplätze), das zu unterschiedlichen Zeiten bei den sehr unterschiedlichen 50 Personen (Paul Heyse, Ludwig Ganghofer, Annette Kolb, Oskar Maria Graf, Werner Fassbinder) sehr unterschiedlich sein kann und sich in verschiedenen Formen der Kommunikation (Brief, Tagebuch, Gedicht, Roman, Erzählung, Essay) widerspiegelt, ergänzt um eine treffliche Einleitung „Von Bibliothekaren und Bibliotheken“. Ein fabelhaftes Kaleidoskop in sehr guter Gestaltung und Form (quadratisch – praktisch – gut) und mit Gewinn zu lesen.

Thomas Huber-Frischeis, Nina Knieling, Rainer Valenta: Die Privatbibliothek Kaiser Franz` I. von Österreich 1784–1835. Bibliotheks- und Kulturgeschichte einer fürstlichen Sammlung zwischen Aufklärung und Vormärz. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verl., 2015. 638 S. (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs. Band 111,1) ISBN 978-3-20579672-5. € 90.00

Eine neuere, aus den Quellen erarbeitete Biographie über Kaiser Franz I. von Österreich gibt es m.E. nicht, aber die vorliegende außerordentlich anspruchsvolle Studie über seine Bibliothek ist eine glänzende Voraussetzung dafür. Zum Unterschied von der durch Karl VI. als öffentliche Institution bestimmten kaiserlichen Hofbibliothek ist die von Franz I. Stephan angelegte Bibliothek ein Teil des habsburgischen Familienvermögens. Und das kam so. Franz` Vater Leopold II. stirbt 1792, der 24jährige wird Kaiser, ohne dass er sich nun weiter um seine seit frühester Jugend existierende Büchersammlung kümmern kann, dies tun fortan Bibliothekare. Der Fundus enthält neben Büchern auch Zeichnungen, Landkarten, Porträts, Kupferstiche, Münzen und einverleibte andere Sammlungen. Einen Tag vor seinem Tod am 1. März 1835 verfügt er, dass seine Bibliothek in die Rechtsform einer Primogenitur-Fideikommiss zu überführen sei: Die Bibliothek ist als Ganzes in der Familie zu erhalten und in die Verantwortlichkeit des regierenden Familienoberhauptes zu geben. Dieser Verfügung verdanken wir den Erhalt und die Pflege einer bedeutenden Sammlung, und nunmehr bei exzellenter Quellenlage auch deren Erschließung. 1920 wird sie mit 116 000 Bänden in die aus der kaiserlichen Hofbibliothek hervorgegangene Österreichische Nationalbibliothek einverleibt. Untersucht werden u.a. die Anfänge der Sammlungen, das Personal der Bibliothek, die Bibliothek als architektonischer Ort, finanzpolitische Aspekte, die Erwerbungsmechanismen und der Bestandsaufbau und die Kataloge und abschließend die Sammlungsbestände im historischen Kontext mit einem Vergleich von Buchbesitz und Lektüre an anderen europäischen Höfen. Der Erschließung des Textes dienen umfangreiche Anhänge und ein Register.

Es ist die Geschichte einer fürstlichen Privatbibliothek, eingebettet in die europäische politische, kulturelle, wissenschaftliche und wirtschaftliche Geschichte zwischen Aufklärung und Vormärz. Eine fabelhafte beispielgebende Leistung.

Verlage und Buchhandel

Angelika Königseder, Walter de Gruyter. Ein Wissenschaftsverlag im Nationalsozialismus. Tübingen: Mohr Siebeck, 2016. XI, 321 S. ISBN 978-3-16-154393-7. € 59.00 

Zu den Traditionsverlagen, die sich ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus stellen, gehört nun auch der Verlag Walter de Gruyter. Er veröffentlicht während dieser Zeit mehr als 2000 Titel in einer Gesamtauflage von 1,48 Millionen und Zeitschriften in 272.000 Exemplaren und gehört damit zu den großen Wissenschaftsverlagen Deutschlands. Er stellt den Betrieb erst im April 1945 ein, lässt sich schon am 14. Mai wieder registrieren und erhält am 3. Oktober als erster deutscher Wissenschaftsverlag eine Verlagslizenz der britischen Militärregierung. Erst in einem Abstand von 70 Jahren legt Angelika Königseder im Auftrag der Walter de Gruyter Stiftung diese interessante, umfangreiche und aussagekräftige Studie vor. Sie nutzt dazu ausschließlich das umfangreiche Verlagsarchiv, sie recherchiert sehr solide und belegt ihre Darlegungen mit vielen Quellen. Den Schwerpunkt bilden die Kapitel über den Verlag in den Jahren 1933 bis 1939 und 1939 bis 1945 sowie über wichtige Programmbereiche, diese leider ohne den Gesamtbereich der Naturwissenschaften, und flankiert von Kapiteln über die Gründungsgeschichte des Verlags und die Neuausrichtung der Literaturpolitik nach 1933. Verlagsleiter Herbert Cram ordnet alles dem Ziel unter, das schwiegerväterliche Erbe zu sichern und die Gewinne zu steigern, er stellt sich schnell und unbürokratisch auf die neuen Marktbedingungen und politischen Voraussetzungen ein, führt also strikt einen Kurs der Anpassung, der schließlich dazu führt, dass der Verlag als wehrwirtschaftlich wichtig eingestuft wird. Trotzdem ist Crams Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus ambivalent: er steht der Bekennenden Kirche nahe, hat eine gewisse Abneigung gegen den Antisemitismus, hilft sogar zwei politisch Verfolgten zu Honoraraufträgen (dem ehemaligen preußischen Kultusminister Adolf Grimme und dem ehemaligen Reichstagspräsidenten Paul Löbe), andererseits werden jüdische Namen aus vielen Verlagsprodukten in vorauseilendem Gehorsam gestrichen. Da andere Quellen von der Autorin nicht berücksichtigt werden und zu betriebswirtschaftlichen Daten und Fragen der Verlagswerbung keine Stellung bezogen wird, sind weitere Untersuchungen erforderlich. Fazit: Der Verlag „unterscheidet sich nicht vom Großteil der mittelständischen Unternehmen, die sich im nationalsozialistischen Deutschland einrichteten und opportunistisch vom Aufschwung profitierten.“ (S. 320)

Frank Möller: Dem Glücksrad in die Speichen greifen. Joseph Kaspar Witsch, seine Autoren, sein Verlagsprogramm und der Literaturbetrieb der frühen Bundesrepublik. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2015. 605 S. ISBN 978-3-462-04739-94. € 29.99

Das ist die Fortsetzung Das Buch Witsch. Das schwindelerregende Leben des Verlegers Joseph Caspar Witsch (s. fachbuchjournal 7 (2015) 3, S. 53-54), in dem Möller den politischen Menschen und den Geschäftsmann Joseph Caspar Witsch (1906–1967) beschreibt, Das Buch Witsch I. Nun liegt mit Dem Glücksrad in die Speichen greifen ein … um den Verleger Witsch vor, Das Buch Witsch II. Das Leben Witschs, so Möller in einem Fazit zum ersten Band, „sollte sich als ein Parcours mit hohen Hürden und einer schier unglaublichen Fülle an Überraschungen, Wendungen, Konflikten und offenen Fragen erweisen,“ (S. 13) deshalb versteht sich der erste Teil „eher als eine von Neugier getriebene Annäherung an eine Person als eine abschließende Be- oder gar Verurteilung.“ (S. 17)

Das Buch Witsch II. zeigt die ungewöhnlichen Fähigkeiten des Verlegers Witsch, sich den Bedrohungen und Stolperfallen des Verlagswesens zu widersetzen, Autoren aus allen Bereichen (deutschsprachige Exilanten, Vertreter der inneren Emigration, fremdsprachige Vertreter, Nachkriegsautoren) unter Vertrag zu nehmen und ein breit gefächertes Verlagsprogramm (Belletristik, Sachbuchprogramm, Wissenschaftsprogramm) zu erstellen, um schließlich daraus Pläne zu entwickeln, die dem Verlag den Fortbestand über Jahrzehnte sichern sollen: „Bücher, Bücher, Bücher – mehr als 600 waren es unter Witschs Ägide. Und selbst wenn man sie kategorisiert, einsortiert, bewertet hat, ist man immer noch ein ganzes Stück davon entfernt, Verlag und Verleger in wesentlichen Zügen erfasst zu haben.“ (S. 15) Nicht zu vergessen sein patriarchalischautoritärer Führungsstil, sein unermüdlicher Kampf gegen die kommunistische Ideologie und gegen die DDR, der sich auch im Verlagsprogramm niederschlägt und vieles andere mehr. Jedenfalls sind beide Bücher zu Witsch spannend wie ein Krimi. Der Rezensent hat sich zwar manchmal im Dickicht der Fakten und Interpretationen verloren, aber: „Der Möller“ ist das Quellenwerk zu Joseph Caspar Witsch, zur Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch bis 1967, eine faszinierende deutsche Buch- und Verlagsgeschichte in Nachkriegszeiten und eine deutsche (und Kölner!) Zeitgeschichte aus dem 20. Jahrhundert.

Carsten Wurm: Gestern. Heute. Aufbau. 70 Jahre Aufbau Verlag 1945 – 2015. Berlin: Aufbau Verl., 2015. 255 S. ISBN 978-3-351-03608-9. € 12,00

Betrachtet man die deutsche Geschichte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, so war nicht davon auszugehen, dass dieser am 16. April 1945 im Auftrag des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands gegründete Ostberliner Verlag seinen 70. Geburtstag feiern kann. Der Verlag gerät immer wieder in den Strudel der Politik, bis 1989 spiegelt er die kulturelle Entwicklung der DDR wider. Bei Ausschaltung privater Konkurrenz wird er zu einem der größten belletristischen Verlage, wird neben dem Verlegen von DDR-Literatur zum Verlag für Klassiker (neben der „Bibliothek der Klassiker“ große Werkausgaben u.a. von Goethe, Heine, Mark Twain, Feuchtwanger, Heinrich Mann, Dostojewski) und internationaler Weltliteratur (ein Schwerpunkt die lateinamerikanische Literatur). Bis zur Wendezeit werden 4500 Erstauflagen in 125 Millionen Exemplaren verlegt. In Wendezeiten wird der Verlag „von den Veränderungen vor sich hergetrieben“ (S. 137), Eigentumsverhältnisse sind zu klären. Es folgen Privatisierung, Insolvenz und glücklicherweise Eigentümerwechsel. Und heute: „Das Büchermachen hat kein Ende. Ausruhen kann sich der Verlag nicht auf seinen Lorbeeren, doch zurückblicken kann er durchaus mit Genugtuung … Eine gute Mischung aus Tradition und Aufbruch, aus Erinnerung und Courage, aus Ethos und Geschmack, aus Literarizität und Unterhaltung, aus Debatte und Reflexion – das ist sein Weg.“ (S. 228) Carsten Wurm ist als Autor mehrerer Veröffentlichungen über den Verlag für diese Festschrift prädestiniert, er wird 1996 über die Geschichte des Verlags promoviert, verfasst mehrere Publikation über den Verlag und über einzelne Autoren. Sachkundig vermittelt er die wichtigsten Daten und Fakten. Hervorzuheben ist auch die vorbildliche Gestaltung.

Irgendwo ist mehr. Geschichten von Grenzgängen. Eine Anthologie im 50. Jahr des Peter Hammer Verlages. Wuppertal: Peter Hammer Verl., 2016. 151 S. ISBN 9783-7795-0536-5. € 20.00

1966 greifen Hermann Schulz und der spätere Bundespräsident Johannes Rau mit Pierre Marteau den ungeschützten Namen einer fingierten Verlagsadresse des 17. und 18. Jahrhunderts für ein neues Verlagsprogramm auf, die deutsche Übersetzung ist Peter Hammer. Der Verlag wird mit dem Ziel gegründet, linkspolitische literarische Erzeugnisse zu präsentieren. Einer der Schwerpunkte ist die Literatur aus Lateinamerika und Afrika, zu den Autoren gehören Chinua Achebe, Eduardo Galeano (s.a. fachbuchjournal 9 (2017) 5, S. 46) und Aniceta Kitereza. Später kommen das Bilder- und das Kinderbuch hinzu. Die Autoren werden u.a. mit Preisen der Stiftung Buchkunst und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. Irgendwo ist mehr ist keine Verlagschronik, sondern eine wunderschöne, sehr gut gestaltete und in Wickelbroschur eingebundene Anthologie in 12 Beiträgen zur „Erfahrung von Grenzen jeder Art – die Sehnsucht, die Notwendigkeit, die Unmöglichkeit, sie zu überwinden“ (S. 7), alle lesenswert, beginnend mit Ernesto Cardenal „Franziskus: ein neuer Papst für eine neue Kirche“, dessen Gesamtwerk in deutscher Sprache im Peter Hammer Verlag erscheint.

Elisabeth Raabe: eine Arche ist eine Arche. Verlegerinnenleben. Zürich, Hamburg: edition momente Raabe + Vitali, 2015. 238 S. ISBN 978-3-7795-0536-5 € 22.00 

Es ist die wunderbare Geschichte zweier Frauen, der Lektorin Elisabeth Raabe und der Buchhändlerin Regina Vitali, und ihrer großen Liebe zur Literatur und zum Büchermachen. „Die Idee, einen Verlag zu kaufen, nicht zu gründen, dazu einen Verlag wie die Arche mit einem explizit literarischen Programm und einem legendären Ruf, trug dagegen von Anfang an den Reiz des Risikos in sich, den Reiz des Fremden, auch einen Reiz von Abenteuer, und verlangte sehr viel Mut.“ (S. 14) 1944 gründet Peter Schifferli „Die Arche“, nach seinem Tod 1980 übernehmen die Söhne die Verlagsleitung, 1982 kaufen Raabe und Vitali den Verlag und führen ihn sehr erfolgreich von 1983 bis 2008. Sie wecken den legendären Verlag von Ezra Pound, Gertrude Stein, Friedrich Glauser und anderen aus dem Dornröschenschlaf und machen ihn zu einer besonders feinen Verlagsadresse in den deutschsprachigen Ländern, mit Autoren wie Maarten `t Hart, Margaret Forster, Natalia Ginzburg, Stéphane Hesse und Peter Stamm. Das ist aber nicht nur eine angenehme Zeitreise durch die Welt der modernen Literatur, sondern zugleich auch ein Zeitraum voller politischer und gesellschaftlicher Umbrüche – das Verlagsleben beginnt in der alten BRD mit Schreibmaschine und Telex und endet in Gesamtdeutschland mit PC und Internet.

Es ist die Perspektive aus der ganz individuellen Sicht der Verlegerinnen, die den Leser begeistert, das Ganze unterhaltsam geschrieben, Langeweile kommt nie auf.

Reimar Riese: Die Deutsche Buchhändler-Lehranstalt zu Leipzig. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2017. XI, 224 S. (Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte. Band 22) ISBN 978-3-447-10831-7. ISSN 0942-4709. € 54.00 

Das ist ein wichtiger Beitrag zur bisher kaum erforschten Geschichte der buchhändlerischen Ausbildung in Deutschland. Die 1853 gegründete Deutsche Buchhändler-Lehranstalt ist die erste und durchgängig aktive berufsbildende spezielle Handelsschule in Deutschland, sie ist ein wichtiger Schritt „sowohl auf dem Wege der Professionalisierung des Handels mit Büchern als auch darüber hinaus in Richtung Herausbildung des bis heute zu Recht gepriesenen dualen Systems beruflicher Ausbildung nicht nur im deutschen Buchhandel.“ (S. IX) Sie wird 1993 mit der 1886 gegründeten BuchdruckerLehranstalt zum Beruflichen Schulzentrum der Stadt Leipzig für Buch, Büro, Druck, Medien, Sprache und Kunst unter dem Namen Gutenbergschule Leipzig vereinigt. Dazwischen liegen Zeiten und Welten.

Der Autor verbindet die institutionellen Aspekte gekonnt mit den gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen die Schule arbeiten muss. Sein Schwerpunkt liegt auf dem bislang kaum betrachteten Zeitraum vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Ende der DDR, in den unter den Bedingungen der SBZ und später der DDR zahlreiche Veränderungen vorgenommen werden. Die Schule verliert 1945 schrittweise ihren autonomen Status und 1949 ihre gesamtdeutsche Bedeutung, sie muss 1950 den erstrebten Fachschulstatus aufgeben und wird 1972 in eine Betriebsberufsschule umgewandelt. Das Wiederaufleben der „alten“ Schule und das mit dieser Institution verbundene Vermächtnis 1990 währt nur kurz.

Eingebettet in die nach sorgfältigem Quellen- und Literaturstudium verfassten historischen Gegebenheiten findet sich eine treffliche Zusammenfassung zu den Vorboten und Vorstufen der buchhändlerischen Berufsausbildung in ihren unterschiedlichen Ansätzen und öffentlichen Debatten.

Prof. em. Dieter Schmidmaier (ds), geb. 1938 in Leipzig, studierte Bibliothekswissenschaft und Physik an der Humboldt-Universität Berlin, war von 1967 bis 1988 Biblio theksdirektor an der Berg akademie Freiberg und von 1989 bis 1990 General direktor der Deutschen Staatsbibliothek Berlin.

dieter.schmidmaier@schmidma.com

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