Buch- und Bibliothekswissenschaften

Bibliotheken

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2020

Die schönsten Bibliotheken der Welt

Tempel der Kunst. Kathedralen des Wissens

Bibliotheken und Informationsgesellschaft in Deutschland

Bibliothekswesen in der Romania

Buch und Bibliothek im Wirtschaftswunder in Deutschland und Italien

Persönliche Buchbestände in der Stadt Bern des 17. Jahrhunderts

Stadtberner Privatbibliotheken im 18. Jahrhundert

Handschriften, Inkunabeln, Alte Drucke

„Minderwertige“ Literatur und nationale Integration. Die Deutsche Bücherei Leipzig als Projekt des Bürgertums

Bibliothek der verbrannten Bücher. Sammlung Georg P. Salzmann in Universitätsbibliothek Augsburg

Schriftentausch zwischen Bibliotheken der DDR und der BRD

Forschungsbibliothek Gotha und ihre Schätze

Massimo Listri: Die schönsten Bibliotheken der Welt / Text: Georg Ruppelt, Elisabeth Sladek. Texte in deutscher, englischer und französischer Sprache. Köln, TASCHEN, 2018. 559 S. ISBN 978-3-8365-3524-3. € 189.00

Schwer (7,5 kg) und groß (400x300x70 mm) liegt dieser reich bebilderte, dreisprachige Prachtband mit erläuternden Texten in den drei Sprachen Englisch, Deutsch und Französisch vor dem Rezensenten. Ein haptischer Augenschmaus, eines der imposantesten Bücher über die schönsten Bibliotheken der Welt, ein Denkmal der Hochachtung und Bewunderung für die Gedächtnisinstitution Bibliothek. Die Bilder stammen von dem renommierten Fotografen Massimo Listri, der bisher über 70 große Fotoreportagen gestaltet, u.a. Casa Mundi (2008) als Tour durch mehr als 65 faszinierende Häuser der Welt, italienische Paläste (2011) und der Palazzo Borromeo auf der Isola Bella (2018).

Die Texte steuert Georg Ruppelt, Bibliothekswissenschaftler und ehemaliger Direktor der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover, bei. Er schreibt kenntnisreich über die Wertschätzung für das gedruckte Buch und die Sammelstätte Bibliothek, die er als das „Gedächtnis der Welt“ bezeichnet. Dieses allein ist einen Sonderdruck wert. Am Ende der einzelnen Bildstrecken beschreibt die Architektur- und Kunsthistorikerin Elisabeth Sladek Entstehung, Architektur und Werdegang der vorgestellten Bibliotheken.

Vier Kapitel führen den Leser durch Südeuropa (Italien, Spanien, Portugal), West- und Nordeuropa (England, Frankreich, Niederlande, Schweden), Mitteleuropa (Deutschland, Schweiz, Österreich, Tschechien) und Amerika (USA, Mexiko, Brasilien, Peru). Es ist eine wunderbare Reise durch 55 Bibliotheken, u.a. Biblioteca Apostolica Vaticana Rom, Biblioteca Medicea Laurenziana Florenz, Bibliothèque Saint-Geneviève Paris, Trinity College Library Dublin, Klosterbibliothek Ottobeuren, Stiftsbibliothek Sankt Gallen, Stiftsbibliothek Admont, Strahovská Knihovna Prag, Biblioteca del Convento de Santo Domingo Lima. Qualität wohin der Leser schaut. Der hochwertige Einband aus bedrucktem Leinen, das Cover mit dem prächtigen Schauraum der Klosterbibliothek Wiblingen. Großartige Fotodoppelseiten zeigen die lichtarmen, finsteren Bibliotheken der Renaissance und die lichtdurchfluteten Bibliotheken des Barocks mit prachtvollen, oft mehrstöckigen Sälen, in Großaufnahmen einzelne Regale mit Handschriften und Büchern. Das alles ist ausgezeichnet verarbeitet und gebunden – schweres Hochglanzpapier in überragender Wiedergabequalität für die Fotos, dickes Vergé-Papier für die Textseiten, buchbinderische Qualität vom Allerfeinsten. Ein traumhaft schöner Band, von dem man nicht lassen kann.

Für Buch- und Bibliothekswissenschaftler, für Verleger und Buchhändler und für Bibliophile ein Muss. P.S. Und die Bibliotheksbauten des 20. und 21. Jahrhunderts und ihr Interieur? So viele Bibliotheken wie in den letzten 30 Jahren sind in vergleichbaren Zeiträumen nie gebaut worden. Und es gibt einige exzellente darunter, wie das Oodi Helsinki, die neue Bibliotheksniederlassung im Zentrum der Stadt (vgl. b.i.t.online 22/2019, 5, S. 415417), ganz modern als Wohnzimmer für Informierte gestaltet (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 29.3.2019, S. 10), allein das Treppenhaus lohne einen Besuch in Finnlands Hauptstadt (vgl. Berliner Zeitung vom 31.12.2018 S. 20). Das Buch Die schönsten Bibliotheken der Welt im 20. und 21. Jahrhundert ist überfällig!

 

H. & D. Zielske: Tempel der Kunst. Kathedralen des Wissens. Museen und Bibliotheken in Deutschland. München: Kunth Verl., 2018. 335 S. ISBN 978-3-95504-383-4. € 98.00

Schwer (3 kg) und groß (360x280x30 mm) liegt auch dieser reich bebilderte Prachtband vor dem Rezensenten, ebenfalls ein haptisches Vergnügen und ein imposantes Buch.

Die Fotos stammen von Vater und Sohn Horst und Daniel Zielske aus den Jahren 2016 bis 2018. Beide haben von 1993 an gemeinsam über 25 Fotoreportagen gestaltet wie die Bände Berlin (2009), New York City (2012) und London (2014). Die Texte zu den einzelnen Einrichtungen steuern die Reisejournalisten und Autoren Gerhard von Kapff, Christiane Neubauer und Jakob Strobel y Serra bei. Informationen über die Fotografen und Autoren der Textbeiträge fehlen, auch der Autor der viel zu kurzen, nur halbseitigen Einführung bleibt ungenannt. Der Band handelt von Bibliotheken und Museen, beides begrenzt auf Deutschland. 25 Bibliotheken und 25 Museen aus 28 Städten werden aufgenommen, in leider nicht nachzuvollziehender Reihenfolge.

Es sind allesamt sehenswerte, zum Teil berühmte Institutionen. Als Beispiele seien genannt die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, die Universitätsbibliothek Cottbus-Senftenberg (das 2004 eröffnete Gebäude ist einer der spektakulärsten Bibliotheksbauten in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts), die Klosterbibliothek im Benediktinerkloster Maria Laach mit der gusseisernen Wendeltreppe und den filigran wirkenden Galerien, das nach langer Sanierung 2009 wiedereröffnete Neue Museum in Berlin in der gelungenen „Komposition aus Architektur, Raumdekoration und Ausstellungsobjekten“ (S. 75), die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, die 2004 durch einen verheerenden Brand fast vernichtet worden wäre und nun wieder auferstanden ist, die Universitätsbibliothek Leipzig mit ihrem Herzstück Bibliotheca Albertina und einem bestechenden Foto des unvergleichlichen Lesesaals Ost, und schließlich der ungewöhnliche Blick in die Vitrinen des Staatlichen Naturhistorischen Museums Braunschweig.

„Einzigartig und fesselnd zugleich wird das vorliegende Buch aber letztlich erst durch die Kunst der Fotografie. Wenn zwei außerordentlich Könner ihres Fachs die Perspektiven auf teils Altbekanntes selbst wählen dürfen, meist übersehene Details betonen oder mit dem Licht spielen, entstehen Bilder, die selbst Kunst sind.“ (S. 3) Dem schließt sich der Rezensent vollinhaltlich an, auch er liebt diese spektakulären großformatigen Aufnahmen von Gebäuden und Interieur in Großaufnahmen.

In Leinen gebunden mit Barlachs „Der singende Mann“ aus dem Sprengelmuseum Hannover (vgl. S. 8) auf dem Cover, Vorsatz vorn und hinten rot, angemessenes Kunstdruckpapier.

Bibliotheken und Museen (und Archive) sind die wichtigsten Gedächtnisinstitutionen der Menschheit. Für Bibliothekare, Museologen, Verleger, Buchhändler und Bibliophile ein Muss.

 

Willi Bredemeier: Zukunft der Informations­wissenschaft. Hat die Informationswissenschaft eine Zukunft? Berlin: Simon Verl. für Bibliothekswissen, 2019. 443 S. ISBN 978-3-945610-46-6. € 20.00

Der Sammelband enthält sowohl bereits früher in Open Password veröffentlichte als auch eigens für diesen Band verfasste Beiträge über den Stand und die Entwicklungstendenzen in der deutschsprachigen Informationswissenschaft, 34 Texte insgesamt, thematisch in sechs Teile eingeordnet. Das sind: die Ausgangspunkte einer informationswissenschaftlichen Debatte in/aus Open Password, grundsätzliche Kritiken an der Informationswissenschaft, die Suche nach einem Bezugsrahmen, die wissenschaftlichen Bibliotheken, Gesamtbilder und Beispiele aus der informationswissenschaftlichen Lehre sowie Beispiele an der Forschungsfront der Informationswissenschaft (z.B. Online Marketing, Fake News, Digitalisierung).

Das ist eine wohlgeordnete, sehr umfangreiche Aufgabenstellung, immer auf der Suche nach Auswegen einer wohl selbstverschuldeten lang andauernden Krise der deutschsprachigen Informationswissenschaft. Es ist eine Momentaufnahme, über die sich zu diskutieren lohnt, und die viele Ansätze für eine arrivierte Informationswissenschaft enthält. In diesem Sinne ist dieses Buch sehr zu begrüßen, in der Hoffnung, dass die vielen, nicht immer sofort sichtbaren Empfehlungen umfassend diskutiert werden.

Besonders ausgereift erscheinen dem Rezensenten die beiden Beiträge über die Neujustierung des Bibliothekswesens und die Rolle der wissenschaftlichen Bibliotheken im Transformationsprozess.

Auf überspitzte Ausdrucksformen wie „Die Dummen verweisen aufs INTERNET“ (S. 113) von Karl Venker sollte aber verzichtet werden, sie könnten die Atmosphäre vergiften. Ein Reader, wie auf dem hinteren Buchdeckel angekündigt, ist es nicht. Es ist aber eine wichtige Grundlage, um die Frage „Befindet sich die Informationswissenschaft in der Krise?“ zu beantworten. Die von Willi Bredemeier durch dieses Buch und eine Artikelserie in Open Password angestoßene Diskussion findet erfreulicherweise im September 2019 ihre Fortsetzung in einem Diskurs, zu dem der Berliner Arbeitskreis Information einlädt, eine ausführliche Berichterstattung findet sich in Bibliotheksdienst (54 (2019) Heft 1).

 

Hermann Rösch, Jürgen Seefeldt, Konrad Umlauf: Bibliotheken und Informationsgesellschaft in Deutschland – eine Einführung. Mitbegründet von Engelbert Plassmann. 3., neu konzipierte und aktualisierte Aufl. unter Mitarbeit von Albert Bilo und Eric W. Steinhauer. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2019. XIII, 329 S. ISBN 978-3-447-06620-4. € 39.80 

Dieses Buch hat eine lange Vorgeschichte. Es ist einer der seltenen Longseller in der Geschichte der Bibliothekswissenschaft. Die erste Auflage erscheint vor 50 Jahren 1968, eine zweite Auflage folgt 1983, eine dritte im vereinigten Deutschland 1999 als Das Bibliothekswesen der Bundesrepublik Deutschland: ein Handbuch / Engelbert Plassmann; Jürgen Seefeldt. 3., völlig neue bearb. Aufl. des durch Gisela von Busse und Horst Ernestus begründeten Werkes. 2006 folgt schon im Titel eine Veränderung: Bibliotheken und Informationsgesellschaft in Deutschland: eine Einführung / Engelbert Plassmann; Hermann Rösch; Jürgen Seefeldt; Konrad Umlauf, 2011 dann die zweite Auflage, 2019 nun die dritte, neu konzipierte und aktualisierte.

Der Rezensent versucht in gebotener Kürze auf eine mit Informationen prall gefüllte, sehr kompakte und nicht immer leicht zu lesende Einführung hinzuweisen. Das Ziel besteht in der Darlegung des Standes und der Entwicklungstendenzen der Bibliotheken und des Bibliothekssystems in Deutschland aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive unter Einbeziehung historischer Entwicklungen.

Das Lesen der Einleitung (Kapitel 1) ist ein Muss, und zwar bevor der Leser in die Materie einsteigt, weil in ihr wichtige Hinweise über die Vorgehensweise der Autoren und den Inhalt des Buches gegeben werden.

Kapitel 2 „Bibliothek und Information“ ist gewissermaßen ein Blick von außen auf das Bibliotheks- und Informationswesen, es behandelt die begrifflichen Grundlagen und die Entwicklungslinien in historischer und soziologischer Betrachtung, Kapitel 3 „Strukturelle und technische Entwicklungslinien im Bibliothekswesen“ stellt die innere Entwicklung des Funktionssystems Bibliothekswesen von der isolierten Einzelbibliothek zum funktional differenzierten Bibliothekssystem dar und beschreibt das Bibliothekswesen unter typologischen und institutionellen Aspekten. Kapitel 4 „Ethische und rechtliche Rahmenbedingungen“ behandelt die ethischen und rechtlichen Kontexte – eine besonders bemerkenswerte Erweiterung gegenüber früheren Ausgaben, hier wird der zunehmenden Bedeutung ethischer Werte und rechtlicher Regelungen im Bibliothekswesen Rechnung getragen.

Mit Kapitel 5 „Bibliotheken in Deutschland“ und Kapitel 6 „Netze und Kooperationen, Innovationen und Projekte“ erfolgt eine weitere Eingrenzung und Konkretisierung. Es geht um Struktur, Typen und Sparten, Träger und Förderer, spezielle Ausformungen und Einrichtungen – sowohl in der gegenwärtigen Phase als auch für mögliche Entwicklungen.

Kapitel 7 erläutert „Normen und Standards, ­Richtlinien und Empfehlungen“, die in Bibliotheks- und Informa­ tionssysteme genutzt werden (müssen).

Mit Bibliotheken als bedeutendem Teil der Dienstleistungsgesellschaft beschäftigt sich Kapitel 8 „Dienstleistungen“. Es geht sowohl um die grundsätzlichen Besonderheiten von Informationsdienstleistungen als auch die spezifisch bibliothekarischen Informationsdienstleitungen von der Archivierung über die Auskunft und Informationsvermittlung bis zum Wissensmanagement. Das führt dann direkt zum Kapitel 9 „Bibliotheksmanagement“, das sich mit allen für die Bibliotheken wichtigen ManagementThemen befasst. Kapitel 10 „Beruf, Ausbildung und Studium“ schließt die Themenliste ab. Kapitel 11 fasst alles mit „Ergebnisse und Perspektiven“ zusammen. Den Abschluss bildet ein Anhang mit Literaturhinweisen, institutionellen Internet-Adressen, Abkürzungen und Register, das Tabellenverzeichnis befinden sich hinter dem Inhaltsverzeichnis.

Die Autoren beschreiben die mögliche Rolle der Bibliotheken in der Informationsgesellschaft immer interdisziplinär. Neben originär bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Bestandteilen sind die einzelnen Kapitel durch Anleihen aus anderen Disziplinen wie der Informatik, Soziologie, Betriebswirtschaft und Geschichtswissenschaft geprägt. Die Autoren zeigen, dass die Bibliotheksund Informationswissenschaft einerseits ein Eigengewicht besitzt, andererseits aber auch eine Querschnittswissenschaft im Gefüge der Geisteswissenschaften ist. Die Einführung wendet sich an „alle, die sich in Theorie und Praxis mit Bibliotheken und verwandten Informationseinrichtungen beschäftigen. Darunter spielen die Studierenden bibliotheks- und informationswissenschaftlicher Studiengänge eine besonders hervorzuhebende Zielgruppe“ (S. 1)

Die Wünsche des Rezensenten sind angesichts dieser wieder eindrucksvollen Publikation sehr bescheiden. In absehbarer Zeit wird sicherlich wieder eine Neuauflage folgen. Wunsch Nummer1: Dass Bibliotheken, Museen und Archive Gedächtnisinstitutionen sind, sollte besser herausgearbeitet werden. Nummer 2: Bitte ein Kapitel zum Bau und zur Einrichtung von Bibliotheken, denn es haben sich nicht nur Aufgaben und Arbeitsweise der Bibliotheken stark verändert, sondern auch ihre „Hülle“ und ihre Einrichtung. Nummer 3: Bibliografie und Buchwissenschaft dürfen im System der Bibliotheks- und Informationswissenschaft nicht ausgeblendet bleiben, denn sie sind wichtige Koordinaten für Forschung, Lehre und Praxis. Bibliotheken und Informationsgesellschaft in Deutschland gehört neben den Titeln Bibliothekarisches Grundwissen von Klaus Gantert (9. Aufl.2016) und Portale zu Vergangenheit und Zukunft. Bibliotheken in Deutschland von Jürgen Seefeldt und Ludger Syré (5. Aufl. 2017) zu den Standardwerken über das Bibliothekswesen in Deutschland.

 

Das Bibliothekswesen in der Romania / Hrsg. Ricarda Musser, Noaka Werr. Berlin, Boston: Walter de Gruyter 2019. XV, 403 S. (Bibliotheks- und Informationspraxis. Band 65) ISBN 978-3-11-052713-1. € 99.95

„Darstellungen zum Bibliothekswesen im romanischen Kulturraum (Iberoromania, Galloromania, Italoromania, Balkanromania) liegen bisher in deutscher Sprache lediglich in einzelnen – teilweise veralteten – Abhandlungen vor. Der gesamthistorische Entwicklungszusammenhang wie der Einfluss der Kolonialgeschichte oder die kulturelle Vernetzung des Bibliothekswesens im romanischen Kulturraum wurde […] bisher ebenfalls kaum wissenschaftlich untersucht.“ (S. V) Dem kann der Rezensent nur beipflichten.

Es ist eine Freude, die 23 Einzelbeiträge dieses Bandes zum Bibliothekswesen in 35 romanischen Ländern zu lesen. Sie stellen allesamt aktuelle Überblicke dar. Es beginnt mit den europäischen Mutterländern Frankreich, Spanien und Portugal und dem Land ohne Kolonien Rumänien. Es folgen das Bibliothekswesen der ehemaligen Kolonien aus dem frankophonen West- und Zentralafrika und dem lusophonen Afrika (der m.E. selten verwendete Begriff wird in Analogie zu frankophon für den französischsprachigen Raum gebildet und leitet sich von der römischen Bezeichnung Lusitania für das heutige Portugal ab), aus Lateinamerika und aus der Karibik. Ein riesiger romanischer Kulturkreis!

Der Leser erhält in einem Drittel des Bandes umfassende Informationen über das Bibliothekswesen der europäischen Länder, in zwei Dritteln über die außereuropäischen Länder wie Senegal, Mali, Kamerun und Kongo, Argentinien, Brasilien, Chile, Ecuador, Kolumbien und Mexiko, Haiti, Kuba und Puerto Rico.

Die Mehrzahl der Beiträge weist eine vergleichbare Struktur auf. Besondere Berücksichtigung finden neben Skizzen zur bibliothekshistorischen Entwicklung die Bibliothekstypologie (allen voran die Nationalbibliotheken und die Nationalbibliografien), die Bibliothekssysteme, die staatlichen Einrichtungen für das Bibliothekswesen, Organisationsstrukturen, Vernetzungen zwischen den Bibliotheken und Formen der Kooperation, Fördermechanismen, Ausund Fortbildung und berufsständige Organisationen. Die Überschrift „Land ohne Leser“ für den Beitrag zu Chile ist geringschätzig, zumal der Beweis dafür fehlt und das Programm der Unidad Popular von 1970 außer Acht gelassen wird. Simone Klebes wählt 2009 für ihren Beitrag in b.i.t.online besser „Bücher am Ende der Welt“. Ein großer Dank gebührt dem Verlag und den Autoren für ein rundum gelungenes Porträt des außerordentlich vielfältigen Bibliothekswesens in der Romania, das als Nachschlagewerk und Lehr- und Handbuch gleichermaßen genutzt werden kann. Dank aber auch den Altvorderen, die in den 1980er und 1990er Jahren in enger Zusammenarbeit mit dem Verleger Klaus G. Saur mit ihren deutschsprachigen Monografien zum Bibliothekswesen einzelner Länder der Romania eine wichtige Grundlage für die vorliegende Publikation geschaffen haben.

 

Buch und Bibliothek im Wirtschaftswunder. Entwicklungslinien, Kontinuitäten und Brüche in Deutschland und Italien während der Nachkriegszeit (1949-1965) / Hrsg. Sven Kuttner, Klaus Kempf. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2018. XI, 306 S. (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen. Band 63) ISBN 978-3-447-10960-4. € 60.00 

2012 findet ein erstes deutsch-italienisches Expertengespräch zur bibliothekarischen Zeitgeschichte statt, veröffentlicht als Das deutsche und italienische Bibliothekswesen im Nationalsozialismus und Faschismus. Versuch einer vergleichenden Bilanz / Hrsg. Klaus Kempf, Sven Kuttner (Wiesbaden, 2013. Vgl. Rezension. in fachbuchjournal 6 (2014) 2, S. 68). Die Anschlussveranstaltung findet 2016 statt und behandelt Buch und Bibliothek im Wirtschaftswunder. Entwicklungslinien, Kontinuitäten und Brüche in Deutschland und Italien während der Nachkriegszeit (1949-1965). Das Wort Deutschland bezieht sich auf die Bundesrepublik, nicht auf die DDR, „wegen der komplexen Ausgangslage der politisch unterschiedlich intendierten Literaturversorgung in der Bundesrepublik und der DDR“ (S. VII). Nur in zwei Fällen wird dieses Prinzip mit Themen über die „West-Literatur in OstBibliotheken“ (S. 73) und „Die Öffentlichen Bibliotheken im Zeichen des deutschen Wirtschaftswunders“ (S. 87) ansatzweise durchbrochen.

Zwölf Beiträge beziehen sich auf Deutschland, sechs auf Italien; fünf der Vortragenden referieren übrigens schon 2012. Leider fehlt der auf der Konferenz gehaltene Beitrag über die Reorganisation von Buchgemeinschaften im Nachkriegsdeutschland.

Der einleitende Beitrag bildet einen exzellenten Rahmen: „Vom Hunger zur Hungerkur. Das Wirtschaftswunder und seine soziokulturellen Folgen in Deutschland und Italien“. Behandelt werden aus deutscher Sicht die wissenschaftliche Literaturversorgung („Von der Bibliotheks- zur Bildungskatastrophe“ S. 39), die Arbeit der Öffentlichen Bibliotheken, das bibliothekarische Berufsbild, der westdeutsche Literaturbetrieb, das spezielle Marktsegment der Leihbuchromane und Leihbuchroman-Verlage sowie die Buchgestaltung. Aus italienischer Sicht sind dies Themen zu den Bibliotheken von der Aufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu den Reformen in den 1960er Jahren, zum Berufsstand der Bibliothekare, zu Beschlüssen über den Aufbau eines nationalen Bibliothekssystems aus dem Jahr 1964, zum Boom des Buch- und Zeitschriftenmarktes sowie zum Buchmarkt für Taschenbücher und Serien. Die Tagung zeigt die „Notwendigkeit einer Institutionalisierung der transnationalen Buch- und Bibliotheksgeschichtsforschung, um gesellschafts-, bildungs-, literatur- und wirtschaftspolitische Entwicklungen innerhalb Europas nach evidenten Zäsuren zu erfassen und mögliche dynamisierende Faktoren und Synergieeffekte zwischen den beiden Ländern zu identifizieren sowie zu analysieren.“ (S. X)

Die Beiträge sind ein wichtiger Teil einer Sozialgeschichte des Buch- und Bibliothekswesens. Der Rezensent wiederholt gern seinen Schlusssatz zur Bewertung des Tagungsbandes von 2013: „Diese Veröffentlichung ist ein wichtiger Beitrag zur komparativen Bibliothekswissenschaft und dürfte von Interesse weit über diese Wissenschaft hinaus sein.“ Auf eine Fortsetzung darf man gespannt sein. Übrigens beschäftigt sich bereits 1990 kurz nach dem Mauerfall der Wolfenbütteler Arbeitskreis für Buch- und Bibliotheksgeschichte mit der Entwicklung des Bibliothekswesens in Deutschland für den Zeitraum von 1945 bis 1965. Die wegweisenden Arbeitsergebnisse erscheinen 1993 in der Herausgabe von Peter Vodosek und Joachim F. Leonhard.

 

Norbert Furrer: Des Burgers Bibliothek. Persönliche Buchbestände in der Stadt Bern des 17. Jahrhunderts. Zürich: Chronos Verl., 2018. 688 S. ISBN 9783-0340-1485-4. € 78.00

 

Norbert Furrer: Des Burgers Buch. Stadtberner Privatbibliotheken im 18. Jahrhundert. Zürich: Chronos Verlag, 2012. 824 S. ISBN 978-3-0340-1113-6. € 80.00

Der bis 2018 an der Universität Bern wirkende Historiker Norbert Furrer untersucht in diesen Bänden die Bibliotheken von Bürgern der Stadt Bern im 17. Jahrhundert als Des Burgers Bibliothek und im 18. Jahrhundert als Des Burgers Buch. Bern galt im Unterschied zu anderen Städten in der Schweiz wie Basel und Zürich in beiden Jahrhunderten als Provinz, 1653 hat Bern rund 8.900 Einwohner, ein Jahrhundert später 13.000. Quellen, Vorgehen und Forschungsperspektive sind für beide Bände gleich. Furrers Quellen sind in erster Linie die sog. Geltstagsrödel im Staatsarchiv Bern, das sind „Inventare von Gütern im Hinblick auf deren Versteigerung“, sie sind „umfangreich, informativ und homogen genug, dass man sich fast exklusiv darauf fokussieren und es als lohnendes Forschungsobjekt nutzen kann“ (2012, S. 21).

Der Autor rekonstruiert aus dem Zeitraum 1657 bis 1800 71 persönliche Bibliotheken mit je bis zu 300 Bänden und 200 Sammlungen von je bis zu 10 Bänden. Das Spektrum deckt die eine Hälfte der Gesellschaft ab, „vom Handwerker, Krämer und Wirt über den Händler, Kaufmann, Künstler und Beamten, den Literaten, Publizisten und Magistraten bis zum Mediziner, Juristen und Theologen“ (2018, S. 9), nur 22 Privatbibliotheken gehören Frauen. Von den etwa 13.000 Einwohnern im 18. Jahrhundert waren 20 Prozent Analphabeten, 70 Prozent verfügten über eine einfache Schulbildung und nur 10 Prozent waren gelehrt. Die große Mehrheit der Berner Bürger besaß keine Bücher, dennoch finden sich erstaunlich viele Büchersammlungen in Privathand. Die kleinsten Sammlungen umfassten bis zu 50 Büchern, die großen bis zu 300 Büchern. Es sind Erwachsenenbibliotheken, „Jugendliche und Kinder als Buchbesitzer, die es durchaus gab, suchen wir hier vergebens.“ (2012, S. 23) Die wohl interessantesten Bibliotheken sind die des Berner Apothekers, Arztes und Publizisten Johann Georg Albrecht Höpfner (1759–1813) wegen der Universalität des Bestandes sowie des Berner Handelsmanns und Landvogts Samuel Friedrich Fasnacht (1711–1794) wegen seines Buchbesitzes, der „recht repräsentativ für einen gebildeten Berner Bürger“ zu sein scheint (2012, S. 517).

Furrer bietet seine Forschungsergebnisse in zwei fulminanten Bänden auf 1.500 Seiten, sie sind „keine Studie mit Endgültigkeits- und Vollständigkeitsanspruch, eher eine Art Handbuch zur Einführung in die gewählte Thematik und eine Art Materialsammlung zur weiteren Verwendung in Forschung und Unterricht“ (2012, S. 9), und als solche sehr willkommen. „Der Furrer“ ist eine wichtige Grundlage für die Leseforschung und die Buch- und Bibliothekswissenschaft im 18. Jahrhundert, auch weit über Bern hinaus. Eine Pionierarbeit!

 

Klaus Gantert: Handschriften, Inkunabeln, Alte Drucke – Informationsressourcen zu historischen Bibliotheksbeständen. Berlin, Boston: Walter de Gruyter 2019. VI, 495 S. (Bibliotheks- und Informationspraxis. Band 60) ISBN 978-3-11-054420-6. € 79.95

Klaus Gantert präsentiert die wichtigsten Informationsressourcen für die Lehre, Forschung und praktische Arbeit mit historischen Buchbeständen in den Bibliotheken. In den letzten 25 Jahren haben sich die Zugangsmöglichkeiten wesentlich verändert. Neben den traditionellen Findmitteln gibt es zahlreiche digitale Nachweismöglichkeiten mit den unterschiedlichsten Inhalten und Funktionalitäten. In einem Vorwort und einer Einleitung finden sich grundsätzliche Überlegungen zum Wandel der Information durch die Digitalisierung und zu den Zielen der vorliegenden Veröffentlichung. Den allgemeinen Informationsressourcen zu den historischen Bibliotheksbeständen (Teil I) folgen die Handschriften (Teil II), die Inkunabeln, mit einem Abschnitt über Blockbücher (Teil III), und die Historischen Drucke (Teil IV), das sind Drucke, deren zeitlichen Grenzen zwischen 1501 (nach der Inkunabelzeit) und 1830–1850 (Einführung des Maschinendrucks) liegen (zu den Schwierigkeiten der Terminierungen S. 193). Teil V umfasst spezielle Publikationsformen wie historische Zeitungen und Zeitschriften, historische Hochschulschriften, historische Karten, Notenhandschriften und Notendrucke, Akademieschriften, Gesellschaftsschriften und Schulprogramme, Einblattdrucke und Flugschriften sowie Funeralschriften und Teil VI Ressourcen aus den Historischen Hilfswissenschaften und Philologien wie Beschreibstoffe, Paläographie, historische Einbände, Abbildungen, Initienverzeichnisse, historische Ortsnamenverzeichnisse und Ressourcen für die Kalenderberechnung. Zu jedem Kapitel findet sich ein Exkurs zu Fachthemen des Buch- und Bibliothekswesens wie die Provenienzforschung oder Projekte und Positionen zur Bestandserhaltung.

Allein diese Aufzählung zeigt die Sisyphusarbeit, vor der Gantert steht.

Ein Sach-, Orts- und Personenregister, ein Verzeichnis der Informationsressourcen und ein Literaturverzeichnis runden die Veröffentlichung ab.

Eine kleine Ergänzung betrifft die Theaterzettel (S. 344), die hier nur summarisch erwähnt werden. Aber Forschung, Digitalisierung und Erschließung sind weit fortgeschritten und werden exzellent beschrieben in Theater – Zettel – Sammlungen (in der Herausgabe von M.J. Pernerstorfer. Wien, 2012. Rez. in: fachbuchjournal 5 (2013) 1, S. 19-20, ein zweiter Teil erscheint 2015).

Der Band ist für die geisteswissenschaftliche Forschung unverzichtbar. Die Leserschaft geht weit über bibliothekarische Berufe hinaus und schließt Verleger, Buchhändler und Historiker ein.

Ein epochales, verständlich geschriebenes Werk, ein Handbuch der Extraklasse von Klaus Gantert, seit 2019 Professor für Bibliothekswissenschaft an der Hochschule Hannover. Nach dem Standardwerk Bibliothekarisches Grundwissen (9. Aufl. 2016) nun das neue Standardwerk Informationsressourcen zu historischen Bibliotheksbeständen – also GANTERT I und GANTERT II.

 

Tonia Sophie Müller: „Minderwertige“ Literatur und nationale Integration. Die Deutsche Bücherei Leipzig als Projekt des Bürgertums im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Göttingen: Wallstein Verl., 2019. 413 S. ISBN 978-3-8353-3516-5. € 38.00 

2018 erscheinen bei Wallstein zwei umfangreiche Bücher zur Geschichte der Deutschen Bücherei Leipzig: Sören Flachowsky: »Zeughaus für die Schwerter des Geistes«. Die Deutsche Bücherei in Leipzig 1912-1945 und Christian Rau: »Nationalbibliothek« im geteilten Land. Die Deutsche Bücherei 1945-1990. Fazit: „Die heutige Deutsche Nationalbibliothek verfügt […] über zwei historische Darstellungen in einmaliger Qualität, minutiös, profund, stilistisch gekonnt und reich illustriert“ (fachbuchjournal 11 (2019) 1, S. 82-83). Parallel dazu entsteht eine Dissertation von Tonia Sophie Müller, die sich mit einem wichtigen Detail der Bestandsgeschichte der Deutschen Bücherei in ihrer Frühzeit beschäftigt, Flachowsky streift „das Thema am Rande, rückt es aber nicht in den Mittelpunkt.“ (S. 15) Es handelt sich um minderwichtige Literatur, die einen bedeutenden Anteil am Gesamtbestand dieser Bibliothek hat. Nach kontroversen Diskussionen zwischen Verlegern, Buchhändlern und Bibliothekaren, schon vor Gründung der Deutschen Bücherei, strebt die Bibliothek von Beginn an danach, alle deutschen und deutschsprachigen Publikationen ab 1913 zu sammeln, zu archivieren, bibliografisch zu verzeichnen und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen – ohne Ausschluss einzelner Gattungen. Das hat zur Folge, dass sich die Schleusen öffnen und Unmengen von Publikationen in die Bibliothek strömen, auch jede Menge Literatur, die fallweise als wissenschaftlich nicht relevantes Schrifttum, Kleinschrifttum, graue Literatur, Trivialliteratur, Kitsch, Schund oder verbotene Literatur bezeichnet wird. Ist das „minderwichtig“, was ist überhaupt „minderwichtige“ Literatur? Dieser Fragestellung widmet sich die Autorin auf die Deutsche Bücherei bezogen für die Zeit von 1871 bis 1932.

Als Rahmen dienen eine Einführung in das Thema, das die Autorin „aus der Perspektive der Empirischen Kulturwissenschaft“ (S. 11) betrachtet, die Methoden und Quellen und den Aufbau der Arbeit (Kapitel 1), die politischen, gesellschaftlichen und bibliothekarischen Gegebenheiten (Kapitel 2.1) und die erbittert geführten Kämpfe gegen Schund und Schmutz in der Literatur (Kapitel 2.2). Die Autorin untersucht ausführlich die Sammelpraxis der Deutschen Bücherei von 1913 bis1932 im Hinblick auf die „minderwichtige“ Literatur (Kapitel 3), die Nicht-Selektivität als Element der Rationalisierung (Kapitel 4), die „minderwichtige“, konfiszierte und verbotene Literatur in archivalischen und publizierten Quellen der Deutschen Bücherei (Kapitel 5) und die „ideellen Diskurslinien, Interessen und Faktoren, die vom 19. Jahrhundert zur modernen Sammlung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts“ (S. 25) führen (Kapitel 6). Kapitel 7 fasst die Ergebnisse zusammen.

„Die Geschichte der Deutschen Bücherei zeigt das Bemühen einer Gruppe bürgerlicher Initiatoren und Bibliothekare, die Deutsche Bücherei als Ort nationaler Integration zu schaffen, während der Prozess der deutschen Nationsbildung stets von politischen und kulturellen Ausgrenzungsdiskursen bestimmt war.“ (S. 357) Zu dieser nationalen Integration gehört auch die Sammlung „minderwichtiger“ Literatur.

Je ein Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Personenregister bilden den Schluss einer sehr verdienstvollen, quellenkritischen Arbeit, die nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Bestandgeschichte der Deutschen Bücherei ist, sondern zugleich zur Geschichte der „minderwichtigen“

Literatur insgesamt und ihren Umgang in Sammelstätten, und das ist nicht nur für Bibliothekswissenschaftler und Bibliophile, sondern auch für Museologen, Archivare, Verleger, Antiquare und Literaturwissenschaftler interessant.

 

Die Bibliothek der verbrannten Bücher. Die Sammlung von Georg P. Salzmann in der Universitätsbibliothek Augsburg / Hrsg. Andrea Voß, Gerhard Stumpf, Ulrich Hohoff. München: Allitera Verl., 2019. 201 S. ISBN 978-3-96233-107-8. € 63.50

Georg P. Salzmann (1929–2013) entstammt einer Fabrikantenfamilie, sein Großvater baut an vorderster Front die NSDAP in Thüringen auf, sein Vater ist Soldat im Zweiten Weltkrieg, er selbst ist Mitglied der Hitlerjugend. Als der Krieg vorbei ist, bricht für ihn eine Welt zusammen, er beginnt zu lesen und Bücher zu sammeln und besitzt schließlich, in seinem Wohnhaus untergebracht, die größte Privatsammlung für Werke jener Schriftsteller, die in der Zeit des Nationalsozialismus als verfemt gelten – 14.500 Bände. Er nennt sie Die Bibliothek der verbrannten Bücher. 2009 übernimmt die Universitätsbibliothek Augsburg 12.000 Bände aus Salzmanns Sammlung (8.800 Titel und 3.200 Dubletten). Einen weiteren Teil seiner Privatbibliothek übergibt Salzmanns Tochter Petra Sommer 2015 als Leihbibliothek der Stadt Himmelpfort in Brandenburg, in der sie sich mit ihrer Familie niedergelassen hat. Es ist ein Kaleidoskop in 12 Beiträgen, gestaltet von Mitgliedern der Universität und der Universitätsbibliothek Augsburg. Sieben Beiträge sind allgemeiner Natur. Sie befassen sich ausführlich mit dem Sammler Salzmann und seiner Bibliothek, mit dem Ankauf der Bibliothek durch die Augsburger Universität, mit den NS-Bücherverbrennungen als „Demokratie in Flammen“ (S. 69), mit der Buchgestaltung der 1930er Jahre im Spiegel der Sammlung, und unerwartet, aber denkrichtig, mit der Bibliothek Salzmanns als ein „Parthenon der Bücher, jener Installation, die 2017 im Rahmen der documenta 14 in Kassel von Marta Minujín errichtet wurde“ (S. 84). Fünf Beiträge befassen sich mit betroffenen Autoren wie Bertolt Brecht, Stefan Zweig und Hans Sahl sowie verbrannten und verbotenen Kinderund Jugendbüchern der Sammlung.

Ein außergewöhnlicher Band! Besonders ist auch das Äußere: Der Umschlag unauffällig dem Thema angemessen ganz in Grau gehalten, Typografie und Gestaltung dagegen modern, eingelegte transparente Titelseiten (!), das Layout großzügig und fast magazinesk, zahlreiche Abbildungen.

 

Ines Pampel: Schriftentausch zwischen den Bibliotheken der DDR und der BRD mit einer ­ Nutzenanalyse am Beispiel der SLB Dresden. Berlin: Logos, 2018. 446 S. (Berliner Arbeiten zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Band 28) ISBN 978-3-8325-4663-2. € 63.50

Der Schriftentausch zwischen den Bibliotheken der Bundesrepublik und der DDR ist zur Zeit der deutschen Teilung ein sehr zuverlässiger Beschaffungsweg für die unzensierte devisenfreie Einfuhr westlicher Literatur in Richtung Ost und die außerhalb des Buchhandels erscheinende Literatur in Richtung West.

Die thematische und methodische Einführung (Kapitel 1) macht den Leser bekannt mit dem Forschungsgegenstand, dem Forschungsstand, den Forschungsfragen, der Quellenlage, dem Aufbau der Arbeit und der Terminologie. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen folgende Fragen: Wie funktioniert der Tausch zwischen den Bibliotheken auf der offiziellen „Makroebene“ und im Speziellen auf der lokalen „Mikroebene“ und welche Übereinstimmungen und Abweichungen zwischen beiden Ebenen gibt es? Warum wird getauscht? Wer tauscht? Was wird getauscht? Wie wird getauscht? Wie viel wird getauscht? Die Autorin behandelt die Ausgangssituation für den Schriftentausch in Deutschland 1920 bis 1949 (Kapitel 2), die Gestaltung und Durchführung des Schriftentauschs, (Kapitel 3) Aspekte und Analysen speziell zum Schriftentausch der Sächsischen Landesbibliothek Dresden (Kapitel 4). Den Abschluss bilden Resümee und Ausblick (Kapitel 5). Die Autorin untersucht erstmals akribisch und umfassend den Schriftentausch zwischen den Bibliotheken im geteilten Deutschland. „Der Schriftentausch bildet einen Baustein einer nicht abreißenden fachlichen Verbindung über die Zeit der Teilung und ermöglicht nach dem Mauerfall den weiteren Weg als Bibliotheken einer deutschen Nation.“ (S. 393) Die Autorin plädiert für eine Weiterführung ihrer Untersuchungen in anderen Bibliotheken und Bibliothekstypen. Diese hier mitgeteilten Fakten zum deutschdeutschen Schriftentausch sollten auch in die Hand- und Lehrbücher zur deutschen Bibliotheksgeschichtsschreibung aufgenommen werden. Und schließlich profitieren auch Zeithistoriker von dieser Publikation.

 

Kathrin Paasch: Die Forschungsbibliothek Gotha und ihre Schätze. Heidelberg: Morio Verl., 2017 (erschienen 2018). 151 S. ISBN 978-3-945424-58-2. € 24.95

Ein kleiner, reich illustrierter Führer berichtet 2016 von der wechselvollen Geschichte der heute zur Erfurter Universität gehörenden Forschungsbibliothek Gotha, ihren Sammlungen und den historischen Arealen des Schlosses Friedenstein, in dessen Räumen die Bibliothek seit ihrer Gründung 1647 untergebracht ist: Kathrin Paasch: Forschungsbibliothek Gotha. Bücher. Handschriften. Herzogliche Gemächer.

Nun gibt es, ebenfalls von Paasch verfasst, einen großen Text- und Bildband in herausragender Qualität, sowohl die Texte als auch die zahlreichen Schwarzweiß- und Farbaufnahmen betreffend. Die Gothaer Bibliothek gehört zu den großen deutschen Bibliotheken mit herausragenden Beständen. Sie vereint die Sammlungen des 1640 bis 1825 bestehenden Herzogtums Sachsen-Gotha-Altenburg, die nach dem Erlöschen des Herzogtums von 1826 bis 1918 gesammelten Bestände des Doppelherzogtums Sachsen-Coburg und Gotha und die nach der Absetzung und Enteignung des letzten Herzogs 1918 als Landesbibliothek Thüringen fortgesetzte Sammelstätte. Die im Zweiten Weltkrieg weitgehend verschont gebliebene Bibliothek wird 1946 von der sowjetischen Administration zum Volkseigentum erklärt und als Kriegsbeute in die Sowjetunion abtransportiert. 1956 kehren die meisten Bestände und die Kataloge nach Gotha zurück. Sie wird zur Forschungsbibliothek und nach der Wiedervereinigung 1999 in die wiedereröffnete Universität Erfurt integriert. Der Auftakt des Bandes ist ein famoser Kunstgriff: Das erste Kapitel handelt von der Forschungsbibliothek Gotha „im Barocken Universum Gotha“ (S. 11), das Schloss gilt als die größte frühbarocke Schlossanlage Deutschlands und beherbergt neben der Bibliothek ein Museum, das ehemalige Geheime Archiv, die ehemaligen herzoglichen Gemächer, die Schlosskirche und das Ekhof-Theater. Damit ist dieses Ensemble unter Einbeziehung der Parklandschaft „ein einzigartiges Sammlungs-, Bau- und Gartenensemble“ (S. 12).

Die Autorin beschreibt die historische Entwicklung und gibt einen umfassenden Einblick in die Schätze der Bibliothek: die mittelalterlichen und orientalischen Handschriften, die frühesten Zeugnisse des Buchdrucks, die Handschriften und gedruckten Werke zur Reformationsgeschichte, die bildungsgeschichtlichen Quellen, die frühneuzeitlichen Musikalien, die literarischen Werken zur Aufklärungszeit, die Theaterliteratur und die naturwissenschaftliche und mathematische Sammlung. Das alles wird auf das Sinnvollste ergänzt durch die 2003 erworbene Sammlung Perthes Gotha (die Sammlungen der ehemaligen kartographisch-geographischen Verlage Justus Perthes Gotha / Darmstadt und des VEB Hermann Haack Geographisch-Kartographische Anstalt Gotha), eine 2002 erworbene Sammlung von Briefen, die deutsche Auswanderer seit 1820 aus Amerika, Australien, Afrika und Australien in ihre alte Heimat schickten und eine um 1900 begonnene Sammlung gedruckter Literatur, die in und über Gotha sowie die Herzogtümer erschienen ist. Es ist der Autorin, Leiterin der Gothaer Bibliothek, trefflich gelungen, die Forschungsbibliothek Gotha sowohl für die Kenner der Materie als auch für Laien zu beschreiben.

Prof. em. Dieter Schmidmaier (ds), geb. 1938 in Leipzig, ­studierte Bibliothekswissenschaft und Physik an derHumboldt-Universität Berlin, war von 1967 bis 1988 Bibliotheksdirektor an der Berg akademie Freiberg und von 1989 bis 1990 Generaldirektor der Deutschen Staatsbibliothek Berlin. dieter.schmidmaier@schmidma.com

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