Buch- und Bibliothekswissenschaften

Bezaubernde „Städte aus Papier“

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2020

Bildbände sind schöne Geschenke und Buchhandlungen oder Bibliotheken sind schönes Bildbandmaterial: Manche in historischem Ambiente, manche stylisch-modern, immer kann der Fotograph den interessanten Kontrast zwischen der ordnenden Horizontalen (der Buchhändler nennt sie Regalbrett) und der bunten Vielfalt der Vertikalen ästhetisch in Szene setzen. Zur nahenden Geschenkezeit also ein Blick auf aktuelle Bücher über Bücher, die vor allem auf Bücherbilder setzen.

Horst A. Friedrichs, Stuart Husband, Buchhandlungen – Eine Liebeserklärung. Prestel Verlag 2020, Halbleinen, 256 S., 240 farbige Abb., ISBN 978-3-7913-8580-8, € 36,00.

Dass die Betrachtung von Buchhandlungen attraktive Bücher ergibt – und für die Bücher dann oft auch schöne Platzierungen auf den Verkaufstischen der Buchhändler – haben in den vergangenen Jahren bereits einige Verlage gezeigt: Von Bildbänden über wunderbare oder die schönsten Buchhandlungen über Buchhandlungsreiserouten bis hin zu allerlei Liebeserklärungen an Buchhandlungen. Eine kleine Auswahl sind Meine wunderbare Buchhandlung (Ars Vivendi), Die schönsten Buchhandlungen Europas (Gerstenberg), In 80 Buchhandlungen um die Welt: Meine Reise zu den schönsten Bücherorten unserer Erde (Eden Books), Leseparadiese: Eine Liebeserklärung an die Buchhandlung (Sanssouci), Lob der guten Buchhandlung (Fischer), Die Welt in Seiten: Eine Liebeserklärung an Buchhandlungen (Atlantik Verlag), Die beste Buchhandlung der Welt: Wo Schriftsteller ihre Bücher kaufen (Berlin University Press) oder Zwischen den Büchern: Wie mich die Liebe in der Buchhandlung traf (weissbooks.w).

Was bietet das Werk des Fotografen Horst A. Friedrich und seines Autors Stuart Husband dem Leser also Neues? 47 porträtierte Buchhandlungen und Antiquariate vornehmlich in den großen Städten der Welt. Die allerschönsten aller Buchhandlungen gehören mittlerweile zum Standardrepertoire vieler Reiseführer und auch

Friedrichs und Stuart stellen etliche allseits bekannte Buchhandlungen erneut vor, darunter The Strand in New York, Green Apple Books in San Francisco, Heywood Hill in London, Shakespeare & Company in Paris, Lello in Porto oder Boekhandel Dominicanen in einer ehemaligen Kirche in Maastricht, Word On The Water in einem Kanalboot auf der Themse oder Baldwin’s Book Barn in einer imposanten Scheune in Pennsylvania (die leider auch bitterkalt ist, wenn man sie – wie die Rezensentin – im Spätherbst besucht). Daneben widmen sich Friedrichs und Stuart auch den Bouquinisten in Paris oder einigen erst im 21. Jahrhundert gegründeten Buchhandlungen Metamorphose in Wien, do you read me?! in Berlin oder stories! In Hamburg. Geheimtipps sind nur wenige dabei (der Geheimfavorit der Rezensentin, ein Second-HandBuchladen in einer ehemaligen Kirche im schottischen Inverness, wird auch durch Friedrichs nicht enthüllt) und in manchen Städten erstaunt die Auswahl: Artes Liberales in Heidelberg ist natürlich eine Liebeserklärung wert, aber wenn man nach Heidelberg kommt, muss man doch auch Hatry lieben?

Das Besondere an dem Bildband stellt also nicht die Auswahl der „Städte aus Papier“ – so werden Buchhandlungen von Nora Krug in ihrem Vorwort genannt – dar, sondern das Werk erfährt seine besondere Note durch die individuellen, zum Teil sehr persönlichen Erzählungen der Inhaber, die jedes Bildporträt ergänzen. Immer wieder kommen die Charakteristika der Läden, und die Besonderheiten dieses einen bibliophilen Ortes zum Ausdruck – und die Leidenschaft der Buchhändler. So wenn Bernhard Riedl von der gleichnamigen Buchhandlung in Wien sich an das Kompliment eines Kunden aus der Marketingbranche erinnert: „Ihr macht eigentlich alles falsch: keinerlei Marketing oder Werbung, ihr betreibt kein Onlinegeschäft, gar nichts. Aber irgendwie funktioniert das ganz wunderbar.“

 

Maria Julia Strauss, Do you read me? Besondere Buchläden und ihre Geschichten. Immer den Büchern nach – eine Auswahl der schönsten und innovativsten Buchläden der Welt. Gestalten Verlag 2020, 272 S., Hardcover, fadengeb., ISBN 978-3-89955-884-5, € 39,90.

„Do you read me?“ Bereits der Titel des Werkes weckt spontan mindestens drei Assoziationen: Von der bekannten, auf Magazine spezialisierten Buchhandlung in Berlin-Mitte über den Wunsch des Buches, selbst gelesen zu werden, bis hin zu der fast philosophischen Frage, ob wir Buchhandlungen, ihre Geschichten und Geschäftsmodelle in Zeiten veränderter Lesegewohnheiten und eines globalen Onlinehandels überhaupt noch verstehen können. Wie vielschichtig und unterschiedlich, lebendig und faszinierend Buchhandlungen auf der ganzen Welt sind, zeigt die Reiseschriftstellerin Marianne Julia Strauss, die über zehn Jahre lang interessante Buchhandlungen auf jedem Kontinent besucht hat und 60 von ihnen vorstellt, von Island, Nigeria, Indien, Japan bis Australien. Natürlich fehlen auch hier nicht die aufgrund ihrer Historie oder ihres Konzeptes bekannten Antiquariate und Buchhandlungen wie das Kulturdenkmal El Ateneo Grand Splendid in Buenos Aires, Powell’s in Portland als einer der größten Bookshops der Welt oder wieder einmal Shakespeare & Company in Paris. Ebenso finden sich auch hier die wegen ihres außergewöhnlichen Ambientes berühmten Buchläden wie die „verwunschene Bücherscheune“ (S. 48) Baldwin’s Book Barn oder die Open-Air Buchhandlung Bart’s, beide in den USA, Aqua Alta auf dem Wasser in Venedig, Domenicaen Boekhandel in Maastricht oder Lello in Lissabon. Insgesamt bestimmen allerdings weniger ehrfürchtige Traditionen die Auswahl als vielmehr Buchhandlungen als lebendige Orte eines literarischen Miteinanders. Zwischendurch kommen der Buchmessedirektor und ehemalige Buchhändler Jürgen Boos, die Buchhändlerin und Autorin Jen Campbell oder die Buchreporterin Alison Flood und andere Buchhändler mit ihren persönlichen Geschichten und ihrer individuellen Sicht auf den Buchhandel der Welt zu Wort. Der Untertitel „Besondere Buchläden und ihre Geschichten“ und sein Anspruch wird auch insofern eingelöst, als dass nicht nur klassische Buchhandlungen vorgestellt werden, sondern es wird in Berichten auch an ungewöhnliche Orte für den Buchverkauf erinnert wie mobile Buchläden, Pop-Up-Buchhandlungen oder Buchdörfer. Insgesamt handelt es sich um ein Kaleidoskop an Buchhandlungen in Beton- und echten Wüsten, auf Blätter- und in realen Wäldern.

Für den Buchhandlungsliebhaber mit viel Zeit und Abenteuerlust hat Strauss außergewöhnliche Orientierungspunkte für eine „literarische Reiseroute“ um die ganze Welt zusammengestellt. Und der Leser, dem eines oder beides fehlt, kann den schön gestalteten, liebevoll edierten Bildband zur Hand nehmen und in die Welt der „besonderen Buchläden und ihre Geschichten“ eintauchen.

 

Nina Freudenberger, Sadie Stein, Biblio Stil – Vom Leben mit Büchern, Fotografien von Shade Degges. Prestel Verlag 2020, Hardcover, 272 S., 200 farbige Abb., ISBN 978-3-7913-8652-2, € 36,00.

„In diesem Buch ergründen wir, inwiefern Bücher einem Haus eine Seele verleihen.“ So formuliert die Innenarchitektin Nina Freudenberger die Intention ihres Bildbandes über private Bibliotheken. Diesen Anspruch löst sie mit Sadie Stein und der Fotografin Shade Degges in einem opulenten Bildband ein, in dem 32 Privatbibliotheken und ihre Besitzer vorgestellt werden. Nicht die bekannten und bereits vielfach interviewten Büchersammler und Bibliotheksliebhaber werden hier porträtiert, sondern Freudenberger wählt bewusst Menschen aus, die auf ganz unterschiedlichen Wegen zu den meist üppigen Büchersammlungen gefunden haben. In jedem Fall bedeuten den Porträtierten ihre Bücher mehr als bloße Arbeitsmittel oder feingeistige Dekorationsstücke. So werden Wohnräume weltweit dargestellt, deren Besitzer eine besondere Beziehung zu ihren Büchersammlungen haben, sei es aus ererbter Familientradition, besonderem Berufsinteresse oder einem persönlichen Engagement für ein spezifisches Thema. Dabei versteht es Freudenberger auch, die Bibliotheken als Herzensangelegenheit ihrer Besitzer und Leser und einzelne Bücher als Liebhaberstücke zu präsentierten. Bereits die Einteilung der von ihr präsentierten Bibliotheken und ihrer Eigentümer entspricht nicht den gängigen Konventionen, sie kategorisiert nicht nach den üblichen Kriterien wie Größe, Alter oder Region der Bibliothek, sondern Freudenberger findet einen emotionalen Zugang zu den Motivationen der Bibliotheksbesitzer: die Sentimentalen, die Intuitiven, die Arrangeure, die Professionellen und – schließlich doch auch – die Sammler. Der Band porträtiert vor allem Bibliotheken von Künstlern, Designern oder Autoren wie Karl Ove Knausgård, Jonathan Safran Foer und Art Spiegelman. Eingestreut finden sich Doppelseiten mit Hinweisen auf unkonventionelle Buchhandlungen oder renommierte Bibliotheken wie das Jakob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum an der HumboldtUniversität in Berlin.

 

Von Büchern in Bildern, Texte von Jamie Camplin, Maria Renauro. Hatje Cantz Verlag 2019, 256 S., 165 Abb., geb., ISBN 978-3-7757-4595-6, € 32,00.

„Von Büchern in Bildern“ – bereits der Titel verspricht einen Einblick in eine Kombination von zwei Medien, die sich ideal ergänzen: Das Lesen von Büchern bietet wie die Betrachtung eines Bildes Entspannung, Unterhaltung und Anregung. Wie symbiotisch die Beziehung zwischen beiden ist, erfährt der Leser in sechs Kapiteln fachkundig aufbereitet von dem langjährigen Programmleiter des Verlags Thames & Hudson Jamie Camplin und der Bildredakteurin Maria Renauro. Die Autoren versprechen nicht zu viel, wenn sie in ihrem Vorwort die „Geschichte der westlichen Kunst oder sogar der westlichen Welt von einem bestimmten Blickwinkel aus erzählen“ (S. 10) wollen. Von Gutenberg und der Erfindung des Künstlers über höfische Kulturen bis in das 20. Jahrhundert werden die vielfältigen Verbindungen von Bild und Buch und deren kulturgeschichtliche Bedeutung anschaulich dargestellt. Während der erste Teil des Werkes nach Epochen gegliedert ist, werden im zweiten „Galerieteil“ berühmte, aber auch weniger bekannte Kunstwerke mit Buchmotiven thematisch gebündelt. Hier zeigt sich auch deutlich, wie Künstler das Setting für Bücher und das Lesen gesehen haben bzw. wie ihre Auftraggeber im Rahmen der Portraits sich selbst, ihre Bücher und ihr Lesen wahrgenommen haben wollten. In vier Kapiteln sind viele – gerade auch auf Verlagscovern – beliebte Werke abgebildet wie Arcimboldos der Bibliotkekar (S. 202), das Werk bietet aber auch eine Fundgrube für neue Favoriten und wartet mit manchem überraschenden Fund auf. Man hätte sich über das eine oder andere Bild zusätzlich gefreut, aber insgesamt ist der ansprechend gestaltete Band ein sehr lesens- und sehenswertes Buch und führt wieder einmal vor Augen: „Der „Fußabdruck“ des Buches ist in der Geschichte allerorten zu finden und seine bildliche Darstellung „still, aber nachdrücklich überall in der Kunst“ (S. 11). ˜

Dr. Ulrike Henschel ist Juristin, Geschäftsführerin des Kommunal- und Schul-Verlags in der Verlagsgruppe C.H.Beck und korrespondierendes Mitglied der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Über die Entwicklung des juristischen Verlagswesens hat sie am Buchwissenschaftlichen Institut in Mainz promoviert.

Ulrike.Henschel@kommunalpraxis.de

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