Landeskunde

Bangladesch: Die Würde der ­Rohingyas

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2022

Peter Voss: Rohingya. Bildband 29 × 37 cm, ca. 240 S., Fulda: Imhof 2021. Hardcover (mit SU), ISBN 978-3-7319-1171-5, € 49,95.

    Von dem Titelbild auf dem Schutzumschlag sollte man sich nicht irreführen lassen – der großformatige und gewichtige Bildband des Wuppertaler Fotografen Peter Voss ist nicht auf Spendenwerbung aus, und auch Effekthascherei ist Vossens Sache nicht. Es gehört allerdings zu den Schwächen des Buches, dass die Technikverliebtheit des Autors und die Raffinesse der Optik die Inhalte zu überlagern drohen. Auch die opulente Ausstattung bildet beim ersten Hinsehen einen befremdlichen Gegensatz zu dem eher tristen Thema. Doch dazu gleich mehr. Voss, der die Fotografie als Liebhaberei, jedoch mit dem vollgepackten Instrumentenkasten heutiger Hightech-Fotografie betreibt, was ihm bereits viele internationale Preise der Fotobranche beschert hat, legte in den letzten Jahren mehr als ein Dutzend eindrucksvoller Bildbände wenig bekannter, über die ganze Welt verstreuter Völkerschaften vor – alle in dem einheitlichen, beeindruckenden Format mit bestechenden Aufnahmen und von hervorragender Druckqualität, für die der Fuldaer Imhof-Verlag bekannt ist. Wie sein Namensvetter im Film – der „Millionendieb Peter Voss“ (1958) – durchstreift auch der Fotograf Peter Voss den Erdball, dieses Mal aber auf der Suche nach Motiven für sein Kameraequipment. Soweit der erste Eindruck.

    Nach Bildbänden über Naturvölker Afrikas, über Indien, die Mongolei, Nepal, Papua, Myanmar, Grönland, Äthiopien, Havanna und Angola wandte sich Voss nun erneut dem südasiatischen Bangladesh zu, wo die muslimische Minderheit der Rohingyas nach ihrer Vertreibung aus Myanmar Aufnahme gefunden hat. Arme Leute, meist Bauern und Fischer, die sich nach Mord, Vergewaltigung und Zerstörung ihrer Behausungen überstürzt und nur mit dem Nötigsten versehen auf den Weg nach Norden, ins benachbarte Bangladesh, machten; die buddhistische Militärregierung Myanmars duldete die ihnen verhasste Bevölkerungsgruppe nicht mehr, die bereits seit zweihundert Jahren im Lande lebt. Mehr als 10.000 Tote, 850.000 Vertriebene – das ist die Bilanz seit 2017; ein Verfahren wegen Völkermord ist in Den Haag anhängig. Ausweise besaßen die Rohingya nicht, Landrechte hatten sie keine, im äußersten Süden von Bangladesh hausen nun viele von ihnen in Flüchtlings- und Ausweichlagern und gehen einer prekären Arbeit nach. Auch hier sind die Glaubensbrüder wenig erwünscht – warum das so ist, weiß auch Peter Voss nicht zu sagen.

    „Wie bei meinen vorhergehenden Publikationen möchte ich auch mit diesem Band den Finger in die humanitäre Wunde legen und auf Katastrophen aufmerksam machen. Überall auf der Welt kämpfe ich für das Einhalten ethischer Grundsätze und der Menschenrechte.“ Ob Voss‘ seine Weltsicht auch gegenüber den Machthabern in Peking, Moskau oder Minsk so offen vertreten würde? Der Rezensent hat seine Zweifel. Bangladesh ist zwar arm, aber ein freies Land, und Voss konnte sich nahezu überall ungehindert bewegen und fotografieren; niemand kerkerte ihn ein, niemand drohte ihm Nachteile wegen seiner Dokumentation an. Wo ihm als Ausländer das Fotografieren verboten war, schickte er seinen einheimischen Assistenten vor, dessen dramatische Aufnahmen etwa ein Zehntel des Bandes ausmachen und der auch in die Flüchtlingslager gelangte. Dennoch hat Voss mit seinen Aufnahmen kein Bild des nackten Elends gezeichnet: das Thermometer fällt in diesen Breiten im Jahresverlauf kaum jemals unter die 20-GradMarke; die Märkte Bengalens sind prall gefüllt, Obst und Gemüse wachsen in Überfülle, und mit Fischen lässt sich etwas dazuverdienen. Lebensgefährlich sind die zahlreichen Erd- und Seebeben, der Monsun und die Zyklone über der Bucht von Bengalen, die zu Überschwemmungen führen. Die Regierung in Dhaka hat den Flüchtlingen nun eine kleine Insel zugewiesen, kilometerweit draußen im Meer, im Delta des Meghnaflusses, eine Bleibe aus Schlick und Sand – eine „Gefängnisinsel ohne Wiederkehr“? Zu den Stärken des Bandes zählen die Aufnahmen aus dem Alltag – Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Alte und Greise, Mütter mit Kleinkindern, Patriarchen, Geschwisterglück und Geschwisterliebe, Spiel, Alltag, Arbeit – immer aufgenommen mit Zustimmung der Betroffenen, immer gegen Bezahlung. Wenn auch gelegentlich sorgfältig durchchoreographiert oder mit Gegenblitz künstlich aufgehellt, gelingt es dem Fotografen doch, das Bild einer überaus freundlichen, lebendigen und resilienten Bevölkerungsgruppe einzufangen, denen man übel mitgespielt hat und die aus dem, was ihnen geblieben ist, das Beste zu machen verstehen. Würde und Anstand haben sich die Rohingyas nicht nehmen lassen – das ist die Botschaft, die die Fotos glaubhaft übermitteln.

    Man spürt: Peter Voss liebt dieses Land, über das er schon einmal geschrieben hat; er kriecht unerschrocken in die schmutzigsten Winkel der Häfen von Dhaka und Chittagong und entlockt den Menschen, denen er begegnet, vor seiner Kamera doch immer wieder ein Lächeln. Mein Lieblingsfoto? Eine lächelnde alte Frau, klein und verhutzelt, die ihren Mann, einen blinden, aufrechten Greis, sanft an der Hand führt… eine großartige Aufnahme. (tk)

    Dr. Thomas Kohl (tk) war bis 2016 im Universitäts- und Fachbuchhandel tätig und bereist Südasien seit vielen Jahren regelmäßig.

    thkohl@t-online.de

     

    Diese Seite benutzt Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

    Datenschutzerklärung