Landeskunde

Aus persischen Papieren

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2021

Wolfgang Günter Lerch: Aus meinen persischen Papieren. Eine persönliche Kulturgeschichte Irans. Berlin: Frank & Timme 2021. 186 S., geb., ISBN 978-3-7329-0759-5, € 24,80.

Sagt Ihnen der Name des Autors etwas? Ja, richtig, Wolfgang Günter Lerch zeichnete mehr als drei Jahrzehnte für die Nordafrika- und Nahostberichterstattung der FAZ verantwortlich, ehe er 2012 aus der Redaktion ausschied – nicht etwa in den üblichen Ruhestand, denn die acht seither von ihm verfassten Bücher lassen kaum auf ein ausgeprägtes Ruhebedürfnis schließen. Im Gegenteil. Dazu hat Lerch noch zu viel mitzuteilen, wozu ihm der Journalistenalltag wohl kaum die Zeit ließ.

Der gelernte Islamwissenschaftler hat die Region zwischen Marokko, Zentral- und Südasien dem Lesepublikum zwar schon durch fast zwei Dutzend Sachbücher sachkundig erschlossen, doch das nun vorliegende Bändchen mit dem eindrucksvollen Titelbild, das einen in der persischen Architektur so typischen Nischenabschlüsse (muqarnas) zeigt, erweist sich beim Hineinschauen dennoch als ein ausgesprochenes Schwergewicht, auch wenn einige Abschnitte, wie im Vorwort betont, auf älteren, allerdings aktualisierten Zeitschriftenartikeln und Unterlagen des Verfassers beruhen.

Auf den ersten Blick enttäuscht das Fehlen von erläuternden oder illustrierenden Abbildungen oder Karten; nicht jedem ist die iranische Topographie vertraut, und auch die angesprochenen Architektur- und Kunstdenkmäler wären eine Abbildung wert gewesen, gerne auch schwarz-weiß. Schade.

Die neun thematisch angeordneten Kapitel, in die einzulesen es bei dem Gespür des Verfassers für gute Verständlichkeit leichtfällt, führen zunächst kaleidoskopartig durch die verschiedenen Regionen dieses zum Großteil wüstenartigen Landes, dessen Ideal – verständlicherweise – in der Vorstellung des Gartens als Paradies gipfelt. Der Verfasser führt uns anhand seiner Notizen zu den fremdartig-anziehenden Schönheiten der klassischen Städte und Landschaften Irans – von der achämenidischen Frühzeit der klassischen Antike bis zur Epoche der großen Safawidenherrscher des 17. Jahrhunderts.

Die Besonderheiten des Farsi, dieser dem Indoeuropäischen nahe verwandten persischen Sprache, leiten über zur Dichtung – zum Großteil aus Lyrik bestehend – und weiter zu Philosophie und Mystik, die der europäischen Geistesgeschichte in Vielem näher verwandt ist, als auf den ersten Blick zu vermuten. Wer eine zusammenhängende Einführung in die Literatur und Geisteswelt des arabisch-persischen Kosmos sucht – hier findet er sie. Dass der Waldorfschüler Lerch dabei die Brücke zu Mozart, Goethe, Schopenhauer, Nietzsche oder Steiner schlägt, gehört durchaus zum Thema und macht die Nähe zur euro­ päischen Geistesgeschichte erst lebendig. Ein Abschnitt über den exzentrischen, früh verstorbenen Schweizer Iranisten und kongenialen Übersetzer Rudolf Gelpke zeigt aber auch, dass der Kontakt mit östlich-spiritueller Versenkung bis hin zu Ekstase und Rausch an dem individualistisch eingerichteten Westeuropäer nicht immer ohne Schaden vorübergeht.

Vom ersten Iran-Kontakt des jungen Studenten im Jahr 1970 über den Sturz des Schahs im Jahr 1979 und dem blutigen, fast zehnjährigen Irak-Irankrieg der 1980er Jahr­ e führt die flüssig geschriebene, in vorlesungsartiger Manier, doch stets kompakt und mit viel Übersicht verfasste Schilderung der politisch-sozialen Ereignisse in Iran bis in die Mullahkratie der Gegenwart. Doch nicht darum geht es dem Verfasser, sondern um die Geistes- und Kulturgeschichte dieses Raums, die die Wurzeln für die derzeitige Entwicklung bildet und die die Nachbarstaaten geprägt hat wie kaum ein anderes Land. Die Endzeitvisionen des persischen Islams und das dualistische Denken in Gegensätzen – diese Entwicklungslinien zeichnet Lerch deutlich nach – gründen in vorislamischer, altpersischer Tradition, ohne dass dies Betrachtern und Betrachteten immer bewusst wäre. Dass dabei Außenseitern oder Randund Splittergruppen wie der Bahai-Religion, der Lerch ein eigenes Kapitel widmet, in diesem Weltbild die Rolle von Bösewichtern zufällt, nimmt da nicht Wunder. Lerch macht kein Geheimnis daraus, dass er – obwohl durchaus kein Iranophiler – dem persischen Gespür für Geistigkeit viel abgewinnen kann, ja er empfindet die radikale Säkularisierung, Individualisierung und Beliebigkeit des Westens als ausgesprochene Verarmung, die die Verständigung mit den spirituelleren Nachbarkulturen dieser Welt ungemein erschwert. Wohl wahr, aber hatte nicht schon Christian Morgenstern vor einem Jahrhundert den Stoßseufzer getan: „Ich habe wohl auch meine Zeit an die Großartigkeit unserer Epoche der Technik geglaubt, aber jetzt fühle ich nur noch das Eine: dass sie die Erde entzaubert, indem sie alles allen gemein macht“1?

Ein Anhang mit der Liste der schiitischen Imame, der Herrscherdynastien (sehr hilfreich), einer Aufstellung der Verbindungen Persiens zum deutschen Geistesleben sowie eine nützliche Literaturauswahl runden das äußerst lesenswerte Essaybändchen ab – „mobarak schawad! – gesegnet sei es!“ (tk)

1 Gesammelte Werke (2021), S. 629

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