Archäologie | Bauforschung

ARCHÄOLOGIE

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 4/2019

Baoquan Song, Klaus Leidorf und Eckhard Heller (2019): Luftbild-Archäologie. Archäologische Spuren­suche aus der Luft, Methoden und Techniken, Klassisch und virtuell. wbg Theiss Darmstadt, 2019. 144 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag. ISBN 978-3-8062-3887-7. € 40,00

Der erweiterte Titel beschreibt das Programm des 2019 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt veröffentlichten, mit 24,5 x 30,5 cm recht großformatigen Buches, das 144 Seiten umfasst und in sechs Kapitel gegliedert ist. Das nach Kapiteln geordnete Quellenverzeichnis enthält 224 Angaben. Die Quellen umfassen einen Zeitraum von 100 Jahren. 50% sind von 1918 bis 1994 entstanden. Hervorzuheben sind 115 teils mehrteilige Abbildungen, darunter 110 hochaufgelöste Luftaufnahmen und Luftbildausschnitte von archäologischen Spuren und Objekten in Landschaften Nord- und Süddeutschlands.

Die Autoren sind schon lange mit der Thematik befasst. Baoquan Song hat Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Chinesische Geschichte sowie Museumskunde in China und ab 1982 in Bochum studiert. Er hat dort 1992 am Institut für Ur- und Frühgeschichte promoviert und ist nach zahlreichen Forschungsprojekten seit 2001 dort als Wissenschaftler tätig. Klaus Leidorf studierte ebenfalls Vor- und Frühgeschichte sowie Religionsgeschichte und Theologie in Bonn und Marburg. Anschließend war er einige Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Marburg tätig, dann beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Er entwickelte sich nach dem Erwerb einer Fluglizenz zum Luftbildarchäologen unter Anleitung von Otto Braasch. Das gab ihm Gelegenheit für viele Bundesländer archäologische Erkundungsflüge durchzuführen und gleichzeitig seine Erfahrungen im Rahmen von Lehraufträgen an verschiedenen Universitäten an Studierende weiter zu geben. Eckhard Heller ist Dipl. Ingenieur für Vermessungswesen, einer seiner Schwerpunkte ist Fernerkundung. Er nutzt Methoden der Geoinformatik und der digitalen Bildverarbeitung für die Spurensuche im Rahmen seiner „Virtuellen Luftbildarchäologie“ und hat zahlreiche Publikationen verfasst, die für die Kapitel 4, 5 und 6 relevant sind.

Der Titel des Buches „Luftbild-Archäologie“ spricht die Nutzung von Luftbildern für Zwecke der Archäologie an. Dabei geht es um Spuren von kulturgeschichtlichen Vorgängen im Boden, oft einzige Nachweise einer Vergangenheit, die kaum durch Schriftzeugnisse belegt ist. Sie stammen von Siedlungen, Fluren, Verkehrswegen, Gräberfeldern, Befestigungen und Umweltveränderungen, die in ihrer Gesamtheit als Bodendenkmäler bezeichnet werden. Nur zum Teil sind sie auch als oberirdische Kulturdenkmäler sichtbar. Aus der Luft kann man im Rahmen von Prospektionsflügen in geringer Höhe unter günstigen Umständen Spuren der Bodendenkmäler an der Erdoberfläche sehen, weil die A-, teils auch die B-Horizonte der Böden durch die Erosion abgetragen worden sind. Das Buch handelt von dieser Spurensuche, für Zwecke des Denkmalschutzes und für Zwecke der vom Boden aus prospektierenden und grabenden Altertumsforschung, der Archäologie. Diese kommt dann zum Beispiel durch flächenhafte geophysikalische Untersuchungen und Testgrabungen zu den von ihr benötigten materiellen Funden und Befunden. Eindrucksvolle Beispiele archäologischer Tätigkeit finden sich in vorliegendem Buch und in dem Begleitband zur Ausstellung „Menschen – Zeiten – Räume, Archäologie in Deutschland“ (Konrad Theiss Verlag, Stuttgart, 2002). Am Rande sei vermerkt, dass die Archäologie zunächst als Wissenschaft vom Klassischen Altertum schon im 18. Jahrhundert entstand und im 19. Jahrhundert Institutionen wie das Deutsche Archäologische Institut (1828) oder das Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz (1852) entwickelte, die noch heute bestehen. Seit langem bildet die Archäologie auch Fachleute für den Denkmalschutz und die Bewahrung von Altertümern in öffentlichen und privaten Museen aus, so dass archäologisches Wissen vielseitige Anwendung findet.

Der Inhalt des Buches ist für große Teile der Landfläche der Bundesrepublik Deutschland relevant. Von den 357.582 km² sind etwa 51% landwirtschaftliche Nutzfläche (182.000 km²), davon etwa 135.000 km² Ackerland und 47.000 km² Grünland. Die Fläche der Wälder und Gehölze beträgt etwa 110.000 km². Seit Laser-Scanner im Rahmen der LiDAR/ALS-Technik durch die Vermessungsämter eingesetzt werden, ist die archäologische Prospektion aus der Luft auf mehr als 80% der Landfläche der Bundesrepublik Deutschland möglich. Die Inventarisation archäologischer Fundstellen war 2002 auf mehr als 2/3 der Fläche der Bundesländer noch nicht begonnen worden und nur in Hessen und Brandenburg weit fortgeschritten. Es ist also vermutlich auch heute noch viel zu tun.

Gedacht ist das Buch für Archäologen, um sich mit der luftbildarchäologischen Prospektionsmethode vertraut zu machen. Es soll den Natur- und Ingenieurwissenschaften archäologisches Fachwissen vermitteln und für Forschung und Lehre Lehrmaterial bereitstellen. Schließlich können damit interessierte Laien Einblick in eine spannende Methode der Archäologie nehmen.

In der umfangreichen Einleitung wird der Begriff „Luftbildarchäologie“ als Methode der archäologischen Prospektion bezeichnet. In der Geologie dient die geologische Prospektion seit langer Zeit der Suche nach bisher unbekannten Lagerstätten. Im Wortsinn geht es um „anschauen, sich (nach etwas) umsehen“. Dann wird die Forschungsgeschichte der Luftbildarchäologie in einem umfang- und inhaltsreichen Kapitel erläutert. Entstehen konnte sie, kurz gesagt, mit der Erfindung einsatzfähiger Flug- und Fotoapparate im Ersten Weltkrieg. Große Erfolge wurden von den Kriegsteilnehmern bei der Luftaufklärung der Schlachtfelder und ihres Hinterlandes erzielt. Erschreckend ist die Präzision, mit der die amerikanische und britische Luftaufklärung im Zweiten Weltkrieg das westliche Europa auf lohnende Ziele aus der Luft durchmustern und vernichtende Angriffsoperationen durchführen konnte. Die dafür verwendete Methodik, einschließlich der Bildauswertung und Interpretation, wurde schon nach dem Ersten Weltkrieg zu großflächigen archäologischen Prospektionen genutzt. Grundlegende Arbeiten entstanden in England. In Deutschland dauerte es bis nach dem Zweiten Weltkrieg, bis Luftaufnahmen für archäologische Zwecke an Bedeutung gewannen. Abschließend werden Potentiale für die Forschung und Denkmalpflege aufgezeigt. Im folgenden Kapitel geht es zunächst um die Erläuterung der physikalischen Grundlagen der Fernerkundung. Ausführungen zu den Auswirkungen unterschiedlicher Aufnahme- und Sensortechniken auf das „Bild“ und die Bildgeometrie, die bei der Auswertung und Interpretation beachtet werden müssen, wären wünschenswert gewesen. Auch die Besonderheiten von Schrägbildern, zum Beispiel bezüglich des Bildmaßstabes, der Auflösung und Verzerrung in verschiedenen Bildbereichen in Abhängigkeit vom Aufnahmewinkel sind es wert erklärt zu werden. Im Unterkapitel „Naturraum und Methoden“ wird sehr ausführlich mit sehr guten Schrägbildern die Wirkung besonderer Aufnahmebedingungen dargestellt, die nach „Merkmalen“ unterschieden werden, die durch bestimmte Rahmenbedingungen erzeugt werden. (Schattenwurf in Abhängigkeit vom Sonnenstand, Wasserstände bei Überflutungen, Schnee und Eis auf und im Boden, Bodenfarben und ihre Veränderlichkeit, Bodenfeuchte und ihre Veränderlichkeit, Bewuchs in Abhängigkeit von der Art der Pflanzen, der Bodenfeuchte, der Bodenart und von Pflanzennährstoffen.) Durch zwei Tabellen und eine Abbildung wird für Nordrhein-Westfalen gezeigt, dass die Ausprägung dieser „Merkmale“ von der Jahreszeit und vom Wetter der vorhergehenden Tage abhängig ist, was Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg eines Prospektionsfluges haben kann. Da die Auswertung der Bildinhalte auf Merkmalen ganz anderer Art aufbaut (Muster- und Texturmerkmale, spektrale Reflexion etc.) wäre ein Auswertungsbeispiel interessant gewesen. Der Einsatz der fotografischen Fernerkundung in Waldgebieten wird durch mehr oder weniger dichte Baumbestände und das Vorhandensein von Laub- oder Nadelbäumen beeinflusst. Er ist hauptsächlich im Winter nach dem Laubfall möglich, stellt aber durch die LiDAR/ALS-Technik für formenbildende oberirdische Kulturdenkmäler (Wälle, Gräben, Altwege, Terrassen, Hügel und Senken) kein Problem mehr dar. Beispiele aus Flachwasserbereichen an Binnenseen und Meeresküsten belegen, dass auch in wasserbedeckten Gebieten erfolgreiche Aufnahmen aus der Luft für die Erkundung des Meeres- oder Seebodens sinnvoll sein können. Abgeschlossen wird das Kapitel durch Schrägbilder mit Mustern, die durch kaltzeitliche Polygone verursacht werden, auf ehemalig Fließgewässer zurückgehen, geologische Ursachen haben, durch besonderes Pflanzenwachstum bedingt sind oder aus unbekannten Gründen durch Menschen erzeugt wurden. Das ist eine kleine Auswahl möglicher Fehlinterpretationen, zu der in Europa auch die vielfältigen Spuren der Weltkriege gehören, die inzwischen durchaus schon das Interesse der Archäologie gefunden haben. Nach der Durcharbeitung dieses Kapitels und des Bildmaterials wird die Leserin oder der Leser vielleicht eine Systematisierung der Bildinhalte in Form von Auswertungsskizzen, Schlüsselbildern und Interpretationsschlüsseln anhand luftbildsichtiger Bildmerkmale vermissen, obwohl die Archäologie in ihrer langen Forschungsgeschichte einen großen Schatz an genau vermessenen Grund- und Aufrissen von Baulichkeiten und Anlagen erarbeitet hat, der in vielen der hier abgebildeten Fälle Zuordnungen erlauben würde. In einem Heft des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (1993): Zeitspuren, Luftbildarchäologie in Hessen, hatten Otto Braasch und Klaus Leidorf diese Möglichkeiten genutzt. Hilfreich wäre auch die Angabe des Bildmaßstabes der Kante mit dem größten Maßstab, der Nordrichtung, des Befliegungsdatums sowie der örtlichen und topographische Lage der Schrägbilder. Ein umfangreiches Kapitel beschäftigt sich mit der Planung und Durchführung der Flugprospektion und nennt viele Gesichtspunkte, die in der Praxis von Bedeutung sind. Die abgebildeten Flugzeuge zeigen, dass vermutlich nur wenige Leserinnen und Leser den Inhalt des Kapitels direkt verwerten werden. Allerdings hat sich die UAV-Technik (Unmanned Aerial Vehicle) zu einem leicht einsetzbaren Werkzeug mit hohem Potential entwickelt, das für viele wissenschaftliche Fragestellungen eingesetzt werden kann, so dass die praktischen Hinweise auch für den UAV-Einsatz Denk- und Entscheidungshilfen bieten. Viel zu kurz kommt, wie bereits angemerkt, die Auswertung der Luftbilder aus der Flugprospektion, die am deutlichsten zeigen könnte, dass sich die Luftbildarchäologie von einer Kunst in eine Wissenschaft verwandelt hat (s. Scollar, Irwin in Hrouda, Barthel (1978: 45). Diesem Mangel helfen die folgenden Kapitel etwas ab, die sich mit zweckfremden Luftbildern und der 3D-Technik befassen. Bei der Bearbeitung von Fragestellungen, die durch den Einsatz von Luftbildern beantwortet werden können steht die Frage nach dem ursprünglichen Zweck des Bildes (für mich) an letzter Stelle. Obwohl inzwischen umfangreiches Bildmaterial im Netz verfügbar ist lohnt es sich, weitere Luftbildbestände in staatlichen und privaten Archiven zu erschließen, denn manche Phänomene treten nur unter sehr speziellen Bedingungen auf. Das gilt ganz besonders für die Abbildung ganzer Landschaften, für die mehrere Wissenschaften Interesse haben, weil sie die Komplexität von Geoökosystemen erkennen lassen. Auch für die archäologische Bearbeitung von Landschaften empfiehlt sich ein multidisziplinärer Ansatz.

Die folgenden Ausführungen über Luftbildinterpretation, selektive Wahrnehmung, Bildmessung, maschinelles Lernen und mögliche Quellen für Bildmaterial sind lesenswert, wie auch die abschließenden Kapitel zur 3D-Technik und zu Informationssystemen. Sie vermitteln, was in den Bereichen Fernerkundung und Geographische Informationssysteme (GIS) an Möglichkeiten für alle erdbezogenen Wissenschaften, auch für schwächer bestückte Computer und mit freien Programmen, in den vergangenen Jahren an Möglichkeiten entwickelt worden ist. Dennoch liegt die Bedeutung des empfehlenswerten Werkes zunächst in den Schrägaufnahmen. Mit der LiDAR/ALS-Technik und multispektralen Scannern erfolgt zurzeit die letzte Entschleierung der Erde im Dezimeter-Maßstab. Die immer größer werdende Menge an Geodaten, dazu gehören auch luftbildarchäologische Schrägbilder, sachgerecht wissenschaftlich auszuwerten setzt breite Kenntnisse von Methoden und Techniken voraus, die in diesem Buch angesprochen werden, aber bei den Absolventen des Faches und anderen Interessierten vielleicht nur ansatzweise vorhanden sind. Es stellt sich die Frage, ob die Fachwissenschaften der aktuellen Geschwindigkeit des technischen Fortschritts in hinreichendem Tempo folgen können und ob genug dafür getan wird, dass hochmotivierte qualifizierte junge Menschen dieses Ziel, dank vorhandener technischer Ausstattungen und sachgerechter Einweisung, auch erreichen können. ˜

Univ.-Prof. Dr. Johannes Preuß (jp) war von 1991 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2011 Professor für angewandte Physische Geographie am Geographischen Institut der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Von 2000–2009 war er Vizepräsident für Forschung. 

jpreuss@uni-mainz.de

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