Röger, Hendrik (Hrsg.), Insolvenzarbeitsrecht. Handbuch, C.H.Beck, München, 2018, ISBN 978-3-40671221-0, 652 und XXXIII S., € 119,00 2018, ISBN 978-3-8005-3290-2, 711 S., € 149,00
Insolvenzen gefährden nicht nur die Existenz des Unternehmens selbst, sie zeitigen auch für Dritte wie etwa Vertragspartner vielfältige Auswirkungen. Zu den unmittelbar Betroffenen zählen vor allem die Arbeitnehmer, die mit ihrer Arbeitskraft wesentlich zum Erhalt des Unternehmens beigetragen haben und die nicht selten aufgrund fehlerhafter Entscheidungen der Unternehmensleitung nun ihrerseits in die finanzielle Krise zu geraten drohen, können sie doch ihren Arbeitsplatz verlieren. Umgekehrt sind zu hohe Personalkosten bzw. eine zu große Belegschaft häufig ein Sanierungshindernis, auch werden potentielle Erwerber dadurch abgeschreckt. Es muss also möglich sein, insoweit angemessene Lösungen zu finden, die allen Beteiligten gerecht werden. Die Materie, mit welcher man sich dabei auseinanderzusetzen hat, ist das Insolvenzarbeitsrecht. Es liegt an der Schnittstelle zwischen Arbeitsrecht und Insolvenzrecht. Ihm ist das von Röger herausgegebene Handbuch gewidmet. Zehn Autoren sowie eine Autorin vorwiegend aus der Anwaltschaft beleuchten die praxisrelevanten Fragestellungen, wobei in § 1 (S. 1) zunächst der Aufbau des Buches erläutert wird. Nun wird nicht jeder arbeitsrechtlich tätige Anwalt im Insolvenzrecht spezialisiert sein, unverhofft kommt aber bekanntlich oft. Aus diesem Grunde findet sich in § 2 (S. 2 – 50) eine ausführliche Darstellung des Insolvenzverfahrens. Lau/Schlicht erklären die Insolvenzzwecke, den Ablauf des Regelinsolvenzverfahrens, das Insolvenzplanverfahren sowie die Eigenverwaltung. Soweit auf das Restschuldbefreiungsverfahren (S. 49 f.) eingegangen wird, sei angemerkt, dass es bei diesem Personenkreis mit einer juristischen Fachberatung häufig nicht getan sein wird. Zwar wird der Schuldner mit der Restschuldbefreiung seine Verbindlichkeiten los. Die Erfahrung lehrt freilich, dass der „normale“ Anwalt mit der Schuldnerberatung im Sinne von allgemeiner Lebens- und Haushaltsberatung regelmäßig überfordert sein wird. Dies ist eher das Fachgebiet „gelernter“ Schuldnerberater, die regelmäßig aus der Sozialpädagogik kommen werden.
Immer wieder Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung ist das Schicksal arbeitsrechtlicher Ansprüche in der Insolvenz (§ 3, S. 51 – 103). Nicht nur den weniger Kundigen dürfte interessieren, wann Masseschulden und wann bloße Insolvenzforderungen gegeben sind. Röger hilft bei der Kategorisierung mit einer tabellarischen Aufzählung gängiger Arbeitnehmeransprüche (S. 75 – 89). Breiten Raum widmet Hinrichs dem insolvenzrechtlichen Schicksal von Altersteilzeit und Wertguthaben (S. 89 – 103).
Röger ist es auch, der arbeitsrechtliche Besonderheiten im Insolvenzeröffnungsverfahren behandelt (§ 4, S. 104 – 139). Dass jedenfalls in dieser Phase der Insolvenzschuldner Vertragsarbeitgeber bleibt, liegt auf der Hand, fraglich ist allerdings, ob er noch seine Arbeitgeberbefugnisse ausüben kann. Röger differenziert insoweit nach den verschiedenen Typen eines vorläufigen Insolvenzverwalters, auch der Sachwalter kommt nicht zu kurz. Von großer praktischer Bedeutung sind die Ausführungen zum Insolvenzgeld, wobei klar gesagt wird, dass es sich dabei ungeachtet des intendierten Arbeitnehmerschutzes in der Praxis um ein zentrales Sanierungsinstrument handelt (S. 114). Vom Umfang her den Schwerpunkt bildet der Abschnitt über das Arbeitsrecht im Insolvenzverfahren (§ 5, S. 140 – 326). Dass die Insolvenz zunächst keine Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis als solches hat, wird zunächst von Hützen klargestellt, wobei auch kollektivrechtliche und prozessuale Fragen angesprochen werden. Insolvenzen ziehen regelmäßig Entlassungen nach sich, zu Recht wird diesem Themenkreis breiter Raum gewidmet. Zunächst erläutert Hützen die Sondervorschrift des § 113 InsO (S. 149 – 156). Nach Hinweis auf die Kündigung von Betriebsvereinbarungen in der Insolvenz entsprechend § 120 InsO stehen Betriebsänderungen und ihre Folgen auf der Agenda, wobei zunächst §§ 120 – 122 InsO analysiert werden (S. 156 – 172). Danach geht es naturgemäß im Besonderen um den Sozialplan in der Insolvenz (S. 172 – 191), die entsprechenden Ausführungen sind Sache von Janko/Seidensticker. Der Interessenausgleich mit Namensliste war in jüngster Zeit mehrfach Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen, demgemäß müssen Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 125 InsO bekannt sein (S. 191 – 208), Hützen erklärt das Notwendige. Kaum praktische Bedeutung erlangt hat jedenfalls bislang das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz nach §§ 126, 127 InsO, natürlich gehört es gleichwohl zum Standard des Insolvenzarbeitsrechts (S. 208 – 216). Ganz unterschiedlich kann man an den Betriebsübergang in der Insolvenz herangehen, Hützen erklärt das Wesentliche im Zusammenhang mit § 128 InsO (S. 217 – 220).
Es folgen ausführliche Darlegungen zu Kündigung und Kündigungsschutz von Stütze (S. 220 – 315). Hervorzuheben sind die Hinweise in Bezug auf das Vorgehen bei Massenentlassungen. Hier kann der kündigende Insolvenzverwalter viel falsch machen, die Folgen können gravierend sein. Hinzu kommen die zahlreichen noch offenen Fragen etwa im Hinblick auf Heilungsmöglichkeiten bei Verfahrensfehlern. Auf die sicherlich vorzuziehende einvernehmliche Beendigung von Arbeitsverhältnissen wird dann von Hoffmann-Remy eingegangen (S. 319 – 329), der auch die Trennung von Auszubildenden behandelt (S. 312 – 315). Den Abschluss dieses Abschnitts bildet das von Hützen bearbeitete Thema „Anfechtung von Entgeltzahlungen“ (S. 316 – 326), die einschlägige Vorschrift des § 142 InsO wurde ja erst unlängst modifiziert. Im nächsten Abschnitt folgen sozialversicherungs- und steuerrechtliche Fragestellungen (§ 6, S. 327 – 346), die Röger behandelt. Naturgemäß muss es in erster Linie um das Arbeitslosengeld gehen, da viele Arbeitnehmer im Zuge der Insolvenz ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Nicht umsonst hängt die Zahl der Verbraucherinsolvenzverfahren von der Arbeitslosenquote ab. § 7 (S. 347 – 392) ist dem Arbeitsgerichtsverfahren in der Insolvenz gewidmet und wird zweckmäßigerweise von Purschwitz verfasst, ihres Zeichens Arbeitsrichterin. Sie geht zunächst auf die Geltendmachung von Masseforderungen und Insolvenzforderungen ein, um sich anschließend mit der Aktiv- und Passivlegitimation auseinanderzusetzen. Es folgen die prozessualen Auswirkungen einer Insolvenzeröffnung auf ein laufenden Verfahrens, naturgemäß geht es um § 240 ZPO (S. 363 – 371). Nicht jedermann wird Näheres über das arbeitsrechtliche Beschlussverfahren in der Insolvenz wissen, die Lektüre der Ausführungen von Purschwitz dazu sei empfohlen. Prozesskostenhilfe für den Insolvenzverwalter mutet merkwürdig an, es kann sie tatsächlich geben (S. 383 – 389), auch für den Betriebsrat. Das Buch wäre ein schlechter Ratgeber, würde es nicht auch etwas zu den Gebühren der Beteiligten sagen (S. 390 – 392).
„Handlungsschwerpunkte“ lautet der Titel von § 8 (S. 393 – 551). Auf über 150 Seiten werden sechs Komplexe näher betrachtet: Zunächst geht es um die Betriebsstilllegung, die Röger abhandelt, danach um den Betriebsübergang. Die Anwendbarkeit von § 613 a BGB in der Insolvenz wird ja durchaus kritisch gesehen, umso mehr überzeugt die sachliche Darstellung von Meyer (S. 404 – 441). Derselbe Autor geht dann auf die übertragende Sanierung ein, regelmäßig kommt man um einen Personalabbau nicht herum (S. 441 – 475). Dann stellt sich natürlich die Frage nach Transferleistungen, sei es nach § 110 SGB III, sei es durch Transferkurzarbeitergeld. Transfergesellschaften dürfen in der Darstellung von Janko/Seidensticker naturgemäß nicht fehlen (S. 475 – 501). Spielen die Gewerkschaften mit, kommen auch Sanierungstarifverträge in Betracht, die Hoffmann- Remy beleuchtet. Für die betroffenen Arbeitnehmer wiederum ist die Sicherung der betrieblichen Altersversorgung im Insolvenzfall regelmäßig existenznotwendig, dazu bringt Hinrichs alles Wissenswerte (S. 518 – 551). In § 9 (S. 552 – 622) finden sich schließlich Muster zu den Verfahrensabschnitten sowie zu einzelnen Problemkomplexen. Röger macht hier Vorschläge zu Unterrichtungsschreiben, Vertragsformulierungen und einigem mehr. Den Zugang zu den einzelnen Problemkreisen erleichtert ein ausführliches Stichwortverzeichnis. Der nicht ganz so im Insolvenzarbeitsrecht erfahrene Anwalt wird vor allem die Praxistipps schätzen, darüber hinaus helfen die zahlreichen Checklisten, Formulierungsvorschläge und Muster auch im Text weiter. Auch wenn die Vertretung einer der beiden Arbeitsvertragsparteien im Insolvenzverfahren sicherlich nicht ganz ohne nähere Kenntnis der Materie übernommen werden sollte, so ist man mit dem Handbuch zum Insolvenzarbeitsrecht doch auf dem richtigen Wege. (cwh)
Thieken, Jan, Der primärrechtliche europäische Gleichbehandlungsgrundsatz und seine Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht, Schriften zum Europäischen Recht (EUR), Band 184, Duncker Humblot, Berlin 2018, ISBN 978-3-428-15521-7, 263 S., € 79,90
Arbeitsrecht greift heute über die Grenzen des einzelnen Nationalstaats weit hinaus. Weltweite Wirtschaftsverflechtung, internationale Arbeitsteilung und grenzüberschreitender Austausch von Arbeitskräften machen es zu einer Materie, die nicht mehr allein nach nationalen Vorstellungen geregelt werden kann. So ist das Recht der Bundesrepublik mitgeformt durch eine Reihe völkerrechtlicher Vereinbarungen und Regelungen sowie solche des Europarates. Insbesondere aber wird es mittlerweile ergänzt und gestaltet durch die Normsetzung der Europäischen Union. Beim EU-Arbeitsrecht handelt es sich um kein in sich geschlossenes Regelwerk, vielmehr hat man es mit einer Fülle von Einzelregelungen unterschiedlichsten arbeitsrechtlichen Inhalts zu tun. Man unterscheidet als sogenanntes Primärrecht das in den Gründungsverträgen enthaltene Recht und als Sekundärrecht die durch die Rechtsetzungstätigkeit von Rat und Kommission der Union entstandenen Rechtsvorschriften. Damit korrespondierend ist zwischen dem unmittelbar und dem lediglich mittelbar geltenden Unionsrecht zu differenzieren. Das Primärrecht in Form der Gründungsverträge und ihrer Ergänzungen hat in den Mitgliedsstaaten unmittelbare Wirkung; ihm wird im Kollisionsfall Anwendungsvorrang vor dem entgegenstehenden nationalen Recht eingeräumt. Wenn man in diesem Zusammenhang den Gleichbehandlungsgrundsatz nennt, so dürfte für die meisten die Gleichbehandlung der Geschlechter damit im Vordergrund stehen. Diese war von Anfang an zentrales Anliegen der Union, was schon in der in Art. 157 AEUV (ehemals: 141 EG) normierten Entgeltgleichheit zum Ausdruck kommt. Art. 157 AEUV kommt unmittelbare Wirkung zu und ist nicht nur für die Mitgliedsstaaten verbindlich, die Vorschrift ist auch auf Tarifverträge und zwischen Privatpersonen anzuwenden. Indes kennt das Arbeitsrecht auch einen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, der über die Vermeidung von Diskriminierungen wegen des Geschlechts weit hinausgeht. Ihm ist die Arbeit von Thieken, einer von Thüsing betreuten Bonner Dissertation gewidmet.
In einer Einleitung (A, S. 15 – 20) werden zunächst einige Grundlagen geklärt, es folgt ein kurzer geschichtlicher Abriss (B, S. 21 – 24). Den Schwerpunkt der Darstellung bildet dann der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz (C, S. 25 – 196). Ausführlich wird auf die Tatbestandsvoraussetzungen eingegangen, wobei zunächst besonderes Gewicht auf die allgemeinen Voraussetzungen von Grundrechten gelegt wird. Naturgemäß spielt die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte insoweit eine große Rolle. Bei pragmatischer Betrachtung kommt es zuvorderst auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) an, welcher die nationalen Rechtsanwender schon oft zu einem Umdenken gezwungen hat. Vor diesem Hintergrund analysiert Thieken eine ganze Reihe von EuGHUrteilen (S. 56 – 66), hier findet man so bekannte Judikate wie Defrenne III, Cordero Alonso sowie Åkerberg. Nun interessiert den Arbeitsrechtler weniger die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit europäischen Grundrechtsgewährleistungen, im Vordergrund steht die Frage, inwieweit die Arbeitsvertragsparteien untereinander an verfassungsrechtliche Gebote gebunden sind. Dies gilt insbesondere für den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser Frage geht Thieken in der Folge nach (S. 76 – 103). Hat man sich einmal darüber verständigt, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine Gleichbehandlung an sich geboten ist, so kann die dennoch erfolgende Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein. Die Frage der Legitimation einer differenzierten Behandlung steht denn auch an nächster Stelle im Untersuchungsprogramm der Arbeit (S. 110 – 169). Lässt sich die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen, ist nach den Rechtsfolgen zu fragen. Nahe liegt gerade in Vergütungsfragen die Anpassung nach oben. Den damit verbundenen Problemen geht Thieken ausführlich nach (S. 170 – 196), wobei er auch Gründe gegen eine solche Vorgehensweise – etwa den Vertrauensschutz – ausführlich diskutiert.
Das nächste Kapitel der Arbeit ist besonderen Gleichbehandlungsgrundsätzen gewidmet und hier insbesondere der Frage, inwieweit sich aus diesen Erkenntnisse für den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz gewinnen lassen (D, S. 197 – 237). Interessant sind insbesondere die Ausführungen zur Rechtsprechung des EuGH, soweit dieser die Konkretisierung durch Richtlinien ins Spiel gebracht hat, weiter die Judikate zur Kohärenz als entscheidendem Kriterium. Dass die Altersdiskriminierung hier als Beispiel gewählt wurde (S. 214 ff.), ist angesichts der teilweise spektakulären EuGH-Urteile (Mangold, Kücükdeveci, Age Concern) mehr als verständlich. Die Auswirkungen auf das nationale deutsche Arbeitsrecht skizziert Thieken am Ende seiner Untersuchung (E, S. 238 – 252). Besondere Aufmerksamkeit verlangen die Ausführungen zu möglichen Problemen geltender deutscher Normen im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem primärrechtlichen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Insoweit sei daran erinnert, dass etwa § 14 TzBfG a.F., der bekanntlich die sachgrundlose Befristung der Arbeitsverhältnisse älterer Arbeitnehmer großzügig erlaubte, angesichts der EuGH-Rechtsprechung an dessen Vorstellungen angepasst werden musste. Thieken untersucht hier an erster Stelle geltende Regeln zu Kleinbetrieben, weiter die betriebliche Altersversorgung, Altersgrenzen und einiges mehr. Zusammenfassende Thesen runden die Arbeit schlussendlich ab (F, S. 253 – 256).
Wer sich mit den europarechtlichen Hintergründen des Gleichbehandlungsgrundsatzes auseinandersetzen will, ist mit der Monographie von Thieken bestens beraten. Insbesondere die sogfältige und kritische Analyse der EuGHRechtsprechung ist insoweit hervorzuheben. Dass die Arbeit auch ein Sachverzeichnis aufweist und sehr detailliert gegliedert ist, soll noch erwähnt werden. Der eilige Leser erhält so schnellen Zugang. Dass man im Einzelfall anderer Ansicht sein kann, liegt dabei auf der Hand. Indes zeichnet es gerade ein gutes wissenschaftliches Werk aus, dass es zum Nachdenken anregt. Das ist Thieken in beeindruckender Weise gelungen. (cwh)
Arnold, Christian/Günther, Jens (Hrsg.), Arbeitsrecht 4.0, Praxishandbuch zum Arbeits-, IP- und Datenschutzrecht in einer digitalisierten Arbeitswelt, C.H.Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-72213-4, 298 S., € 59,00
Arbeitsrecht soll die Wirklichkeit des Arbeitslebens ordnen. Wie diese Wirklichkeit beschaffen ist, lässt sich für den einzelnen heute kaum noch adäquat erfassen. Der persönliche Erfahrungsbereich des Juristen konnte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ausreichen, das vorwiegend landwirtschaftlich und handwerklich strukturierte Produktions- und Dienstleistungswesen zu überschauen. Der wirtschaftlichen Vielfalt und den komplizierten Zusammenhängen eines hoch industrialisierten Zeitalters wird man damit nicht mehr gerecht. Die technische und wirtschaftliche Entwicklung schreitet weiter rasch voran. Neue Informationstechnologien verändern nicht nur die Arbeitsmethoden grundlegend, sondern erlauben in vielen Berei- chen die Ersetzung des Menschen durch selbststeuernde Maschinen. Die sich demzufolge immer mehr ausdifferenzierende Wirklichkeit des Arbeitslebens führt dazu, dass es die in ihren konkreten Zügen für die Mehrheit der Arbeitsverhältnisse typische Arbeitsbeziehung nicht mehr gibt. Damit verbunden geht – weitaus gravierender – die Flucht aus dem Arbeitsverhältnis als solchem einher. Fremdpersonaleinsatz im Wege „freier Mitarbeit“, über (Schein-)Werkverträge oder durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern wirft neue Probleme auf; von Maschinen als Weisungsberechtigten einmal ganz abgesehen. Aktuelle Erscheinungsformen wie das sog. „crowdsourcing“ können durch das Arbeitsrecht alleine juristisch nicht bewältigt werden. Überlegungen zur rechtlichen Gestaltung der Lage des Arbeitnehmers müssen sich der Differenziertheit dieser rechtstatsächlichen Situation bewusst sein. Die überall in rasantem Vordringen begriffene Digitalisierung zwingt in vielfacher Hinsicht zu einem Umdenken und zu einer Abkehr von traditionellen Strukturen. Entsprechend plakativ ist der Titel des von Arnold und Günther herausgegebenen Buches gewählt: „Arbeitsrecht 4.0“. Ausweislich des Vorworts soll damit der technische Quantensprung verdeutlicht werden, den die „Vierte Industrielle Revolution“ mit sich bringt. In sieben Kapiteln gehen zehn Autoren aus Rechtsanwaltschaft und Wissenschaft damit verbundenen grundlegenden arbeitsrechtlichen Fragestellungen nach. Chancen und Risiken der aktuellen und künftigen Entwicklung sowie Handlungsoptionen beleuchtet Simon im 1. Kapitel (S. 1 – 25). Hier erfährt man Grundlagen, so etwa, was man unter „Digitalisierung“ überhaupt zu verstehen hat. Die Chancen der Digitalisierung unterteilt Simon nach ebensolchen in Bezug auf Produkte und Dienstleistungen, hinsichtlich der Produktion sowie vor dem Hintergrund individueller Arbeit. Diese Dreiteilung liegt auch der Aufzählung der Risiken zugrunde. Chancen und Risiken liegen manchmal eng beieinander, dies gilt etwa für die „Entgrenzung der Arbeit“, also das Verschwimmen von Beruf und Freizeit. Dass hier arbeitsrechtlich Sorge getragen werden muss, betont Simon ausdrücklich (S. 25). Das zweite Kapitel (S. 27 – 75) ist neuen bzw. alternativen Beschäftigungsformen und deren rechtlicher Beurteilung gewidmet. Lingemann/Chakrabarti beginnen mit dem Drittpersonaleinsatz, die dazu gemachten Ausführungen müssen vor dem Hintergrund der in der Folge angesprochenen Tätigkeiten gesehen werden. Den Anfang macht die „economy on demand“, bei welcher der Auftraggeber über eine Plattform eine Dienstleistung anfragt und der Dienstleister entscheidet, ob er den Auftrag übernimmt. Dass eine Vergütung nach dem Schema „Pay what you want“ (S. 41) für den Arbeitsrechtler kaum nachvollziehbar ist, versteht sich von selbst. Beim „Crowdworking“ kann man internes und externes unterscheiden, liest man sich die Vergütungsformen durch, stößt man auf so merkwürdige Entlohnungsbezeichnungen wie „Windhundrennen“ und „Preisausschreiben“ (S. 50). Auch wenn schon länger in Gebrauch, so wird doch mancher vom „Scrum“ noch nie etwas gehört haben, einer Arbeitsmethode zur agilen Produktentwicklung (S. 55). Bei den Praxistipps (S. 63) wird auf das Risiko einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung sowie einer Scheinselbständigkeit hingewiesen. „Matrix“ wiederum ist in aller Munde, die Strukturen zeichnen sich durch ein Auseinanderfallen von Vertragsarbeitgeber und Arbeitsorganisation aus (S. 64). Das Schaubild dazu (S. 65) macht die Komplexität mehr als deutlich. Schon die simple Frage der Betriebszugehörigkeit wirft schwierige Fragen auf.
Mit „Flexibilisierung im individuellen Arbeitsrecht“ ist das 3. Kapitel (S. 77 – 157) überschrieben, welches Arnold/ Winzer bearbeiten. Begonnen wird mit einer Wunschvorstellung vieler Arbeitgeber, nämlich zeit- und ortsflexiblem Arbeiten. Dass das gegenwärtige Arbeitszeitrecht hier Grenzen setzt, liegt auf der Hand. Immerhin gibt es Kapovaz-Arbeitsverhältnisse (S. 101 ff.), die Aussage zum 0-Stunden-Vertrag ist eindeutig: Es gelten 10 Stunden als vereinbart (S. 105). Qualifizierung und Weiterbildung sind in vielen Arbeitsverhältnissen unumgänglich, hier sind die Aussagen zu den Kosten interessant (S. 128 f.) Dass nicht nur das Direktionsrecht neu definiert werden muss, sondern auch die Vergütungsgestaltung besondere Wege gehen muss, erläutern Arnold/Winzer in der Folge. Bewegt man sich bei der Kündigung infolge der Einführung computergestützter Systeme noch auf halbwegs gewohnten Bahnen, so lassen sich die weiteren Auswirkungen des Einsatzes autonomer Systeme bis hin zu künstlicher Intelligenz noch nicht annähernd abschätzen (S. 153 ff.). Der „Roboter als Arbeitgeber“ ist keine Zukunftsmusik mehr. Günther/Böglmüller hinterfragen im 4. Kapitel (S. 159 – 190) den Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die Haftung im Arbeitsverhältnis. Hervorzuheben sind die Überlegungen zum Arbeitsschutz bei unternehmensübergreifender Zusammenarbeit (S. 170 ff.), insbesondere auch bei Matrixstrukturen. Dass neue Beschäftigungsformen und neue Arbeitsplatzgestaltungen hier Probleme aufwerfen, liegt auf der Hand. Dem Robotereinsatz widmen Günther/ Böglmüller einen eigenen Abschnitt (S. 180 f.). Auch Haftungsfragen wirft die IT-Nutzung auf, wobei sich eine Ersatzpflicht für Arbeitnehmer und Arbeitgeber stellen kann (S. 183 f.). Die Haftung beim Robotereinsatz wird noch näher zu klären sein, immerhin dürfte feststehen, dass dem Roboter die Eigenschaft als Rechtssubjekt fehlt und er deshalb jedenfalls nach geltendem Recht nicht haftet (S. 189 f.).
Weniger im Fokus des traditionellen Arbeitsrechts stehen geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht, die Digitalisierung zwingt hier zu einem Umdenken, wie der Beitrag von Werner im 5. Kapitel (S. 191 – 222) deutlich macht. Angesprochen werden zunächst die Rechte an Unternehmensdaten. Unter dem Stichwort „Geheimnisschutz 4.0“ geht es dann um den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, den Problemen in Zusammenhang mit social media wird besondere Beachtung geschenkt (S. 208 ff.). Beim Arbeitnehmererfindungsrecht steht das Crowdworking (S. 215 ff.) im Vordergrund, beim Wettbewerbsrecht das „Active Sourcing“ (S. 220 ff.).
Seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung ist der Datenschutz in aller Munde. Hamann beleuchtet ihn im sechsten Kapitel (S. 223 – 255). Spezifisch beleuchtet wird naturgemäß die arbeitsrechtliche Schlüsselvorschrift des § 26 BDSG (S. 231 ff.). Welche datenschutzrechtlichen Implikationen sich aus dem Einsatz neuer Technologien im Bewerbungsverfahren ergeben, wird anschließend behandelt. Mit „Big Data und People Analytics“ (S. 236 ff.) sowie dem Datenschutz in der „Smart Factory“ (S. 242 ff.) wird nicht jeder etwas anfangen können, die Lektüre der entsprechenden Ausführungen von Hamann sei deshalb umso mehr empfohlen. Auch Social Media-Plattformen können datenschutzrechtliche Probleme aufwerfen, für Cloud Computing gilt dasselbe. All das wird dem Leser nahegebracht.
Das 7. Kapitel mit der Überschrift „Kollektives Arbeitsrecht 4.0“ (S. 257 – 287) verantwortet Benecke. Schon der Betriebsbegriff ist zu hinterfragen (S. 258 ff.) und welcher Arbeitnehmerbegriff insoweit zu gelten hat (S. 264 ff.), ist ebenso ungeklärt. Benecke zeigt praktikable Lösungen auf, dies gilt ebenso für die Mitbestimmung des Betriebsrats. Gerade bei neuen Arbeitsformen stellen sich hier vielfältige Probleme (S. 270 ff.). Dass § 87 I Nr. 6 BetrVG besondere Aufmerksamkeit genießt, liegt auf der Hand, erschließen sich für Arbeitgeber doch vielfältige neue Wege zur Überwachung ihrer Belegschaft (S. 282 ff.). Wenn statt eines Fazits erste Erfahrungen mit und ein Ausblick zum kollektiven Arbeitsrecht 4.0 gegeben werden (S. 286 f.), so beschreibt dies treffend den Status quo. Wer sich einen Überblick über die mit der Digitalisierung einhergehenden arbeitsrechtlichen Fragen verschaffen möchte, ist mit dem Buch von Arnold/Günther sehr gut beraten. Vieles ist angesichts der rasanten technischen Entwicklung nur eine Momentaufnahme, aber Fälle sind nun einmal dann zu lösen, wenn sie auftreten und nicht erst zu dem Zeitpunkt, zu dem man auf gesicherte Erkenntnisse zurückgreifen kann. Jedenfalls bietet das Werk tragfähige Lösungsansätze für die Probleme. Hervorzuheben ist nicht zuletzt auch die Bandbreite der angesprochenen Beschäftigungsformen. Für viele Leser dürfte manches in dem Werk absolutes Neuland sein, umso mehr ist es zu empfehlen. (cwh)
KR – Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, Luchterhand Verlag 12. Aufl., Köln 2019, ISBN 978-3-472-09549-1, LXIX und 3196 S., € 269,00
Kommentare zum KSchG sowie relevanten Nebengesetzen gibt es eine ganze Reihe. Zu den besten und renommiertesten seiner Art zählt der Gemeinschaftskommentar, im Leserkreis besser bekannt als der „KR“. Was dieses nunmehr in 12. Auflage erschienene und von Treber herausgegebene Werk auszeichnet, ist die Vielfalt der Bestimmungen zu Kündigung und Kündigungsschutz, welche eine Kommentierung erfahren.
Naturgemäß liegt der Schwerpunkt auf dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG), aber daneben findet der Leser auch die Erläuterung zu einschlägigen Normen aus weit über 20 verschiedenen Gesetzen, nicht zu vergessen auch aus dem TVöD. Auch die Befristung kommt nicht zu kurz. Die rd. 3100 Seiten starke Kommentierung teilen sich vier Autorinnen und dreizehn Autoren ganz überwiegend aus der Richterschaft. Werke dieses Umfangs sind nur noch von einem Autorenkollektiv zu bewältigen.
Die Kommentierung beginnt mit dem KSchG. Die über 950 Seiten starke Bearbeitung enthält alles, was man zu den einzelnen Bestimmungen wissen muss. Vom Umfang her am gewichtigsten sind die Ausführungen zu § 1, welche Rachor besorgt. Herausgegriffen werden sollen hier die aufgeführten Fallgruppen zur personenbedingten (Rn. 295 ff.), verhaltensbedingten Kündigung (Rn. 448 ff.) und betriebsbedingten Kündigung (Rn. 596 ff.). Der Praktiker wird hier schnell fündig. Dabei wird auch nicht mit Kritik an der Rechtsprechung gespart, dies betrifft etwa die Notwendigkeit einer Abmahnung bei der verhaltensbedingten Kündigung wegen zahlreicher Lohnpfändungen (§ 1 Rn. 68). Spilger beleuchtet dann § 1 a KSchG. Die in § 2 KSchG geregelte Änderungskündigung wird von Kreft besprochen. Wer wissen will, ob er zwecks Entgeltkürzung änderungskündigen kann, wird nach Lektüre der Rn. 177 ff. einigermaßen ernüchtert sein. Die mit einer Kündigungsschutzklage verbundenen prozessualen Probleme behandelt Klose. Lesenswert sind die Ausführungen zur Wahrung von Ausschlussfristen durch eine Kündigungsschutzklage (§ 4 Rn. 62 ff.). Wer die Dreiwochenfrist versäumt, kann bei Kreft nachlesen, ob eine verspätete Zulassung nach § 5 in Betracht kommt. Die verlängerte Anrufungsfrist des § 6 behandelt wiederum Klose. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die dezidierten Überlegungen von Spilger zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses und damit den §§ 9 – 11 KSchG. § 13 KSchG ist dann Sache von Treber. Nicht jeder weiß, dass eine Kündigung wegen ungepflegtem Äußeren jedenfalls in der Wartezeit nicht ausgeschlossen ist (Rn. 54). Rost/Kreutzberg-Kowalcyk behandeln Angestellte in leitender Stellung, hier hat sich in letzter Zeit auch einiges getan. Die Ausführungen zu den gesetzlichen Vertretern sind äußerst lesenswert (§ 14 Rn. 6 ff.). Des Sonderkündigungsschutzes von Betriebsverfassungsorganen in § 15 nimmt sich Kreft an. Ungemein viel falsch machen kann man bei Massenentlassungen; umso mehr sei die Kommentierung von Weigand besonders zu §§ 17, 18 KSchG, aber auch §§ 19 – 22 KSchG anempfohlen. Bader beschließt die Kommentierung mit den §§ 23 – 26 KSchG, natürlich erörtert er § 24 KSchG schon in der Neufassung.
Die Darstellung der kündigungs- bzw. befristungsrelevanten Bestimmungen in Einzelgesetzen erfolgt in alphabetischer Reihenfolge und beginnt mit dem Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Weiterbildung (ÄArbVtrG), dessen Treber sich annimmt. Treber geht in der Folge auch auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein. Wohl kein arbeitsrechtliches Gesetz hat im vergangenen Jahrzehnt auch in der Öffentlichkeit eine solche Beachtung erfahren. Dass Rost/Kreutzberg-Kowalcyk auch auf die arbeitnehmerähnlichen Personen eingehen, ist sehr verdienstvoll, gerade bei den Medien sind diese nicht selten. Zwischen die Kommentierungen der Gesetze „mogelt“ sich auch der Aufhebungsvertrag, den Spilger näher darstellt. Während das von Weigand ausführlich behandelte Berufsbildungsgesetz Ausbildungsverhältnisse schlechthin erfasst, existieren für bestimmte Ausbildungsgänge Sondergesetze. Auf diese wird natürlich hingewiesen (Rn. 15 ff.). Es folgen Erläuterungen zu den einschlägigen Vorschriften im BEEG (Bader) sowie im BetrVG (Weigand/Rinck). Vor allem die §§ 102, 103 BetrVG werden ihrer Bedeutung gemäß ausführlich kommentiert. Lipke, Treber, Spilger, Fischermeier/Krumbiegel sowie Weigand teilen sich das BGB. Vor allem die Ausführungen zu §§ 242, 613 a und 626 BGB nehmen hier breiten Raum ein. Rinck behandelt dann §§ 72, 79, 108 Abs. 2 BPersVG, auch das EStG (Vogt), das FPfZF (Treber) und das HAG (Spelge) werden dargestellt. Ob man in der Insolvenz ohne weiteres kündigen kann (natürlich nicht!), erfährt man bei Weigand/ Spelge, welche die einschlägigen Einzelbestimmungen der InsO erläutern. Weigand geht dann auf das Internationale Arbeitsvertragsrecht ein. Selbstredend erfährt auch § 17 Mutterschutzgesetz (MuSchG) nähere Betrachtung, Gallner erledigt das. Beim Kündigungsschutz für Parlamentarier (Weigand) geht es nicht nur um Bundesrecht, sondern auch alle einschlägigen Vorschriften der Bundesländer. §§ 1 – 8 PflegeZG sind dann wieder Sache von Treber, das SeeArbG beleuchtet Weigand. Die sozialrechtlichen Vorschriften erfahren zunächst eine Einführung von Link, der sich auch mit dem SGB III auseinandersetzt. Sache von Gallner ist dann der in §§ 168 ff SGB IX geregelte Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen. Nachdem Bader einen profunden Blick auf den TVöD geworfen hat, folgt ein letzter Schwerpunkt des Werkes. Rd. 400 Seiten nimmt die Kommentierung des TzBfG ein, welche Bader und Lipke sich teilen. Das Ende des Alphabets rückt nahe. Spilger wirft einen Blick auf §§ 322 – 324 UmwG und Treber nimmt sich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes an, bevor dann der Band mit dem Zivildienstgesetz endet. Dass sich ein detailliertes Stichwortverzeichnis anschließt, versteht sich fast von selbst. Hervorzuheben ist noch die Umsicht bei der Auswahl der kommentierten Bestimmungen. Das Werk gibt einen ausgezeichneten Überblick und ist unbedingt empfehlenswert. (cwh)
Thüsing, Gregor/Rachor, Stephanie/Lembke, Mark (Hrsg.), Kündigungsschutzgesetz, Praxiskommentar zum KSchG und zu angrenzenden Vorschriften mit Gestaltungshinweisen und Beispielen, Haufe.Group, 4. Auflage, Freiburg 2019, ISBN 978-3-648-110638, 1482 S., € 98,–
Kommentare zum Kündigungsschutzgesetz gibt es eine ganze Reihe, zu den jüngeren Werken zählt der von Thüsing, Rachor und Lembke herausgegebene Band. 20 Autorinnen und Autoren aus der Anwaltschaft, Richterschaft und Wissenschaft teilen sich auf rd. 1.550 Seiten die Aufgabe, dem Leser alles Wissenswerte zur Kündigung nahezubringen. Kommentiert wird nicht nur das Kündigungsschutzgesetz, auch die relevanten Nebenbestimmungen in Sondergesetzen werden erläutert. Zwar wurde das Kündigungsschutzgesetz in seinen wesentlichen Inhalten seit rund einem Jahrzehnt nicht mehr geändert. Angesichts der nach wie vor munter sprudelnden Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit und insbesondere auch des Europäischen Gerichtshofes sowie des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte kommt die Neuauflage aber zur rechten Zeit.
Begonnen wird das Werk mit einer von Thüsing verfassten Einführung, in welcher der Arbeitnehmerbegriff sowie der internationale Geltungsbereich des KSchG behandelt werden.
Den Schwerpunkt der Kommentierung bildet – wie könnte es auch anders sein – § 1 KSchG. Gut ein Drittel des Kommentars machen die Erläuterungen zu dieser Grundnorm des Kündigungsschutzes aus. Gerade für den weniger im Kündigungsrecht beheimateten Leser finden sich hier in der Übersicht wertvolle Ausführungen zur Systematik des Kündigungsrechts, verfasst von Grobys. Vieles wird verständlicher, wenn man einige Grundprinzipien des Kündigungsschutzes beherrscht. Es versteht sich von selbst, dass im Anschluss hieran die betriebs-, personenund verhaltensbedingte Kündigung unter sämtlichen einschlägigen Aspekten behandelt wird. Begonnen wird mit der verhaltensbedingten Kündigung, welche Liebscher behandelt. Die personenbedingte Kündigung ist dann Sache von Volk, hier liegt ein Schwerpunkt auf der praktisch wichtigen krankheitsbedingten Entlassung (Rn. 577 f.).
Reinhard erläutert die betriebsbedingte Kündigung, wobei die erforderliche Sozialauswahl Sache von Thüsing ist. Auswahlrichtlinien und Interessenausgleich mit Namensliste verantwortet Benkert. Die Abfindungsregelung in § 1 a KSchG wird dann wieder von Thüsing erläutert. Die Kommentierung der in § 2 KSchG normierten Ände rungskündigung wird von Rachor besorgt, die zweckmäßigerweise auch die Änderung von Arbeitsbedingungen ohne Änderungskündigung behandelt (§ 2 Rn. 16 ff.). Ausführlich wird auf die Annahme unter Vorbehalt eingegangen (Rn. 64 ff.). Aufgezeigt werden die Schwierigkeiten einer Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung (Rn. 98 ff.). In der Tat könnte man flapsig formulieren, dass der Arbeitgeber eine entsprechende Änderungskündigung wegen ihrer Aussichtslosigkeit am besten von vorneherein sein lässt. Wer eine Kündigungsschutzklage erheben möchte, dem seien die Ausführungen zu § 4 von Wiebe empfohlen. Jede relevante Frage wird hier behandelt. Ob man neben dem punktuellen Kündigungsschutzantrag auch eine allgemeine Feststellungsklage erheben soll und wie es sich mit der Geltendmachung eines Weiterbeschäftigungsantrags verhält, erfährt man natürlich auch (Rn. 130 ff.). Nicht selten wird der gekündigte Arbeitnehmer erst nach Ablauf der Dreiwochenfrist der §§ 4, 7 KSchG einen Rechtsbeistand aufsuchen, in der Kommentierung zu § 5 KSchG von Benkert mag man vielleicht dann noch einen Ausweg finden. Die Überlegungen zu § 6 KSchG sind vor allem deshalb interessant, weil Wiebe deutlich macht, dass die Überschreitung der Dreiwochenfrist noch „geheilt“ werden kann, wenn zuvor eine andere Rechtsschutzform als die Kündigungsschutzklage gewählt wurde (§ 6 Rn. 5 ff.). Die §§ 9 und 10 KSchG fallen in das Betätigungsfeld von Arnold. Hier erfährt man alles Notwendige über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil des Gerichts und die damit verbundenen Fragen in Bezug auf die Zahlung einer Abfindung. Rambach ergänzt die prozessualen Fragen durch die Kommentierung der §§ 11, 12 KSchG. Bei § 13 KSchG geht Stelljes näher auf die sittenwidrige Kündigung ein (Rn. 20 ff.). Selbstredend erfolgt auch ein Hinweis auf sonstige Unwirksamkeitsgründe (Rn. 33 ff.). Die Aktualität des Werkes macht der Hinweis von Rambach in § 14 KSchG (Rn. 4) auf die Neuregelung hinsichtlich der risk-taker deutlich. Den Kündigungsschutz im Rahmen der Betriebsverfassung und Personalvertretung, sprich die §§ 15 und 16 KSchG behandelt Thüsing. Dass die Kommentierung ausführlich auf die außerordentliche Kündigung eingeht (Rn. 49 ff.), wird jedenfalls den kundigen Leser nicht wundern können. Zahlreich sind hier die Probleme. Eingehend beleuchtet wird auch die Kündigung im Falle der Betriebsstilllegung (Rn. 124 ff.). Eine kleine Revolution im Massenentlassungsschutz hatte seinerzeit die Junk-Entscheidung des EuGH bewirkt. Mit der Gleichsetzung von Entlassung und Kündigung war eine Vielzahl von Einzelproblemen in Bezug auf die §§ 17, 18 KSchG verbunden. In ihrer Kommentierung zu § 17 KSchG gehen Lembke/Oberwinter ausführlich auf Anzeigepflicht des Arbeitgebers, Informations- und Beratungsrecht des Betriebsrats, Anzeigeverfahren und Rechtsfolgen der Anzeige ein. Bei der Kommentierung von § 18 KSchG ist das Verständnis der sog. Freifrist nach Abs. 4 hervorzuheben: Die Kündigungen seien binnen 90 Tagen auszusprechen (Rn. 20). Sinnvollerweise sind auch §§ 19 – 22 KSchG Sache von Lembke/Oberwinter.
Die Schlussbestimmungen übernimmt wieder Thüsing. In § 24 KSchG ist schon die neue Rechtslage kommentiert. Der Gesetzgeber hat durch Art. 4 des Gesetzes zur Verbesserung der Leistungen bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und zur Änderung anderer Gesetze vom 17.7.2017 (BGBl. 2017 I 2509) § 23 Abs. 2 S. 2 aF KSchG, welcher den Dritten Abschnitt des KSchG für Seeschiffe und ihre Besatzungen ausgeschlossen hatte, aufgehoben und in § 24 KSchG einen neuen Abs. 5 eingefügt. Thüsing erklärt das Notwendige (Rn. 6).
Die kündigungsrechtlichen Bestimmungen in sonstigen arbeitsrechtlichen Gesetzen leitet die Darstellung von Thüsing zu § 2 AGG ein. Kommentiert werden weiter § 22 BBiG (Bodenstedt), § 38 BDSG (Lembke) sowie § 18 BEEG (Tillmanns). Ausführlich geht wiederum Thüsing auf § 102 BetrVG ein. Im BGB finden §§ 138, 242 und 612a ihre Bearbeitung bei Stelljes, bevor sich dann Worzalla des § 613a BGB annimmt. Die Kündigungsfristen des § 622 BGB bespricht Wege, dessen Sache dann auch § 626 BGB ist. Was bei § 623 BGB und damit der Schriftform zu beachten ist, erklärt Lembke. Die insolvenzarbeitsrechtlichen Bestimmungen der §§ 113, 125 ff. InsO behandeln Bodenstedt, Benkert und Stiebert. Natürlich darf eine Kommentierung des § 17 MuSchG nicht fehlen, Just erledigt das. Der Kündigungsschutz bei der Pflegezeit (Bodenstedt), von Schwerbehinderten (Thüsing) und Teilzeitarbeitnehmern (Arnold) schließt diesen Teil ab. Sinnvollerweise folgen dann noch die einschlägigen Vorschriften der §§ 2, 38, 157 ff. SGB III, die allesamt Ricken erläutert. Das Werk enthält über die reine Kommentierung hinaus eine Vielzahl von Beispielen und Hinweisen, welche sehr lehrreich sind. Nicht nur wer für eine bestimmte Frage kündigungsschutzrechtlicher Art eine Antwort sucht, sondern auch wer tieferschürfend systematische Ansprüche hat, wird im Thüsing/Rachor/Lembke jedenfalls nicht nur fündig werden, sondern auch eine kundige Beratung erfahren. Was will man mehr von einem guten Kommentar? (cwh) ●
Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder (cwh), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Handels- und Zivilprozessrecht, Johannes Gutenberg-Universität, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Deutsches, Europäisches und Internationales Arbeits-, Insolvenz- und Zivilverfahrensrecht. cwh@uni-mainz.de