Recht

Arbeitsrecht

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2020

Schliemann, Harald, ArbZG, Arbeitszeitgesetz mit Nebengesetzen, Luchterhand Verlag, 4. Auflage, Köln 2020, ISBN 978-3-472-09599-6, 1003 S., € 109,00.

Das Arbeitszeitrecht ist in Bewegung. So beschäftigt die Abgrenzung zwischen Arbeitszeit, Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft und Ruhezeit immer noch die Rechtsprechung, obschon die Grundsatzentscheidung des EuGH (v. 3.10.2000, C – 303/98, EAS RL93/104 EWG Art. 2 Nr. 1; dazu Einleitung Rn. 29), welche die Systematik einer Vielzahl nationaler Arbeitszeitregelungen in der Europäischen Union kräftig durcheinanderwirbelte und den deutschen Gesetzgeber zu Änderungen im Gesetzestext veranlasste, nun auch schon wieder zwei Jahrzehnte zurückliegt. Gegenwärtig steht das Arbeitszeitrecht vor allem durch die Digitalisierung der Arbeit vor neuen Herausforderungen. Die damit in vielen Berufen verbundene permanente Erreichbarkeit der Arbeitnehmer durch Tablets, Smartphones und andere Kommunikationsmittel wirft neue Fragen ganz anderer Art auf.

Kommentare zum Arbeitszeitgesetz sind also nach wie vor unverzichtbar und da trifft es sich gut, dass ein etabliertes Werk, nämlich dasjenige von Schliemann, nunmehr in vierter Auflage vorliegt. Bedenkt man, dass die erste Auflage aus dem Jahre 2009 stammt, die zweite im Jahre 2013 erschien und die dritte 2017 auf den Markt kam, wird deutlich, dass das Arbeitszeitrecht rd. alle drei bis vier Jahre literarischen Modernisierungsbedarf hat. Gegenüber dem jährlichen Erscheinen manch anderer Kommentare nimmt sich dies eher bescheiden aus, doch hatte sich der Aktivismus des Gesetzgebers jedenfalls im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten in den vergangenen Jahren insoweit in Grenzen gehalten. Aber das kann sich bekanntlich schnell ändern. So war Anlass der Neuauflage nicht zuletzt die Reform des Teilzeitrechts im Hinblick auf die Einführung der Brückenteilzeit. Darüber hinaus wurden insbesondere die Teilzeitregeln des Seearbeitsrechts in den Kommentar eingearbeitet.

Höchste Anerkennung muss man Schliemann darin zollen, dass er das Werk alleine verfasst hat, was angesichts von 895 Seiten reinem Text heutzutage ungewöhnlich ist, „verbrauchen“ andere Kommentare doch für denselben Umfang gut und gerne zehn bis zwanzig Autoren. Der unschätzbare Vorteil liegt auf der Hand: Es gibt keine Widersprüche, Wiederholungen und Systembrüche, hat ein Verfasser alles in der Feder.

Das Werk beginnt mit dem allgemeinen Arbeitszeitschutz und damit der Kommentierung des Arbeitszeitgesetzes (Teil A). Nun finden sich Arbeitszeitregelungen auch außerhalb des ArbZG, in Teil B behandelt Schliemann deshalb die entsprechenden Bestimmungen im Mutterschutzgesetz sowie in den Ladenschlussgesetzen von Bund und Ländern. Der dritte Teil C ist dem Arbeitszeitschutz von Kindern und Jugendlichen gewidmet, ferner findet hier nun das Seearbeitsrecht seinen Platz. Im vierten Teil D wird das Recht der Teilzeitarbeit angesprochen, ferner die besonderen Bestimmungen im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, im Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz, im Alterszeitgesetz sowie im Schwerbehindertenrecht. Im fünften Teil E wird der Frage nach bestehenden Mitbestimmungsrechten nachgegangen. An erster Stelle steht naturgemäß das Betriebsverfassungsgesetz, es folgen das Bundespersonalvertretungsgesetz, das Sprecherausschussgesetz sowie die kirchlichen Mitbestimmungsrechte. An die eigentliche Kommentierung schließt sich dann noch ein ausführlicher Anhang an (Teil F). Man findet hier nicht so ohne weiteres zugängliche relevante nationale und überstaatliche Regelwerke, darunter die wichtige EU-Verordnung Nr. 561/2006 (Sozialvorschriften im Straßenverkehr), aber zum Beispiel auch die Offshore-Arbeitszeitverordnung. Für die Aktualität des Kommentars spricht der Abdruck der VO zu Abweichungen vom ArbZG infolge der COVID-19-Epidemie (Anhang 12). Der Schwerpunkt des Kommentars liegt naturgemäß auf dem Arbeitszeitgesetz, Schliemann beginnt mit einer lesenswerten Vorbemerkung, in welcher zunächst ein Überblick über die supranationalen Arbeitszeitregelungen und ihre Bedeutung für das deutsche Recht gegeben wird. Danach werden die personen- und branchenspezifischen Besonderheiten genannt. Gleich zu Beginn in § 1 (Rn. 2) findet sich die legislative Ausweitung des ArbZG durch § 1 Nr. 1 auf die ausschließliche Wirtschaftszone. Das bislang dominierende Territorialitätsprinzip wird also kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung durchbrochen. In § 2 setzt sich der Autor mit dem Begriff der Arbeitszeit auseinander. Ausführlich geht Schliemann auf die mit Arbeitsund Bereitschaftsdiensten verbundenen Fragestellungen ein (§ 2 Rn. 22 ff.). Ins Gerede gekommen sind in jüngster Zeit auch Umkleide- und Waschzeiten (§ 2 Rn. 30 ff.) sowie die Wegezeiten (§ 2 Rn. 40 ff.). Soweit der Arbeitnehmerbegriff problematisiert wird (Rn. 92 ff.) sei darauf hingewiesen, dass der EuGH in seiner Danosa-Entscheidung (v. 11.11.2010 – C-232/09: GmbH-Geschäftsführerin als Arbeitnehmerin) hier durchaus eigenwillige Vorstellungen hat, die von der deutschen Sichtweise drastisch abweichen. Ob das auf das Arbeitszeitrecht zu übertragen ist, bleibt abzuwarten; Schliemann hinterfragt insoweit näher nicht geschäftsführende Gesellschafter (Rn. 13). In § 3 wird vor allem den Ausgleichszeiten besondere Aufmerksamkeit geschenkt (Rn. 24 – 98). Wer wissen will, was eine „Ruhepause“ ist, findet das in der Kommentierung zu § 4. Ruhezeit (§ 5) sowie Nachtund Schichtarbeit (§ 6) gilt es anschließend zu erörtern. Nachdem es sich bei einzelnen Bestimmungen des ArbZG um tarifdispositives Gesetzesrecht handelt, hat Schliemann hier erheblichen Erläuterungsbedarf; § 7 umfasst 88 Randnummern! Gefährliche Arbeiten regelt § 8 und eigentlich herrscht nach § 9 Abs. 1 ArbZG Sonn- und Feiertagsruhe! Es dürfte allerdings ein frommer Wunsch sein, dass dieses Verbot in Bezug auf Mobiltelefone, Smartphones und Notebooks auch durchgehalten wird (§ 9 Rn. 6: IT-Technik). Wenn man dann noch die Kommentierung zu § 10 liest, der die ausufernden Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot auflistet (Rn. 11 – 79), könnte man sich fragen, wer eigentlich an Sonn- und Feiertagen nicht arbeiten darf. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Autor schließlich noch der Sonntagsarbeit durch Verwaltungsakte der Aufsichtsbehörde (§ 13). Nach den Ausnahmen in besonderen Fällen (§§ 14, 15) sowie der Durchführung des Gesetzes (§§ 16, 17) verlangen noch die Sonderregelungen Beachtung. Naturgemäß ist von Bedeutung, wen das ArbZG überhaupt nicht erfasst, hier ist vor allem der Begriff des leitenden Angestellten relevant (§ 18 Rn. 5 ff.). Der öffentliche Dienst (§ 19), die Luft- (§ 20) und Binnenschifffahrt (§ 21) sowie der Straßentransport (§ 21 a) schließen sich an. Wichtig sind dann noch die Ausführungen zu den Straf- und Bußgeldvorschriften (§§ 22, 23). Das Mutterschutzgesetz wurde zum 1.1.2018 reformiert. Insoweit war die Kommentierung an die Neufassung anzupassen. Schon der erweiterte Geltungsbereich (§1 Rn. 3 ff.) erforderte hier Aufmerksamkeit. Naturgemäß werden Mehrarbeit (§ 4), Nacht- und Sonntagsarbeit (§§ 5, 6) sowie die gebotenen Untersuchungs- und Stillzeiten (§ 7) eingehend behandelt. Die Kommentierung zum Ladenöffnungsrecht (S. 491 ff.) erhält ihren besonderen Wert dadurch, dass im Text die einschlägigen Bestimmungen abgedruckt sind, man muss also nicht lange suchen. Im Anschluss hieran erläutert Schliemann die arbeitszeitrechtlichen Besonderheiten, die für Jugendliche gelten (S. 517 ff.). Zahlreiche Sonderregelungen finden sich im neu in den Kommentar aufgenommenen Seearbeitsgesetz (S. 560 ff.). Ebenso neu im Kommentar ist das Teilzeitrecht, welches nunmehr auf rd. 110 Seiten erläutert wird. Besonderes Augenmerk widmet Schliemann dem Diskriminierungsverbot des § 4 TzBfG, vor allem aber den §§ 8 und 9 TzBfG, welche den Anspruch des Arbeitnehmers auf Verringerung bzw. Verlängerung der Arbeitszeit normieren. Ausführlich behandelt werden auch KAPOVAZArbeitsverhältnisse (§ 12 TzBfG) und Job-Sharing (§ 13 TzBfG). Die arbeitszeitrechtlich relevanten Bestimmungen im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, im Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz, im Altersteilzeitgesetz sowie im Sozialgesetzbuch IX schließen diesen Abschnitt ab. Ausführlich geht Schliemann dann noch auf die Mitbestimmung ein, im Betriebsverfassungsgesetz steht damit im Hinblick auf arbeitszeitrechtliche Fragen § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 7 im Vordergrund. Der Einführung von Kurzarbeit aufgrund einer Betriebsvereinbarung steht Schliemann kritisch gegenüber (§ 87 BetrVG Rn. 149). Die Mitbestimmungsregelungen für den öffentlichen Dienst sowie im Mitarbeitervertretungsrecht der Kirchen schließen sich an.

Abschließend soll positiv gewürdigt werden, dass Schliemann seine Erläuterungen mit zahlreichen Beispielen unterlegt. Das erleichtert dem Leser das Verständnis ungemein. Der schnelle Leser wird sich über das ausführliche Stichwortverzeichnis am Schluss des Textes freuen. Wer einen vertieften Blick ins Arbeitszeitrecht werfen muss und Antworten auf aktuelle Fragen haben möchte, ist nach alledem mit dem Schliemann sehr gut beraten. (cwh)

Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder (cwh), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Handels- und Zivilprozessrecht, Johannes Gutenberg-Universität, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Deutsches, Europäisches und Internationales Arbeits-, Insolvenz- und Zivilverfahrensrecht. cwh@uni-mainz.de

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