Kinder- und Jugendbuch

Angst im Dunkeln?

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2023

„Die Nacht schuf tausend Ungeheuer“, dichtete Goethe. Denn die Dunkelheit, der Stillstand des menschlichen ­Treibens, beflügelt die Einbildungskräfte. Einsame Straßen und der ­finstere Wald sind gleichermaßen unheimlich, und nicht nur Kinder phantasieren Gespenstisches herbei, dessen Element vorzugs­ weise die Mitternacht ist. In Wirklichkeit aber legt sich unsere r ­eale Erde keineswegs schlafen und sie hat in der Nacht viel mehr Wissenswertes als Ungeheuerliches zu bieten.

Hannah Pang (Text), Thomas Hegbrook (Ill.): Der Mond. Mystische Geheimnisse und wissenschaftliche Fakten, 176 S., aus dem Engl. von E. M. Hofmann. 360° Verlag, Schriesheim 2018, € 20,00, ab 12 J.

■ So ist das reich bebilderte Buch Der Mond trotz seines suggestiven, nachtblauen Einbands keineswegs auf einem poetischen Weg, sondern bietet eine vielseitige und gründliche Beschreibung unseres Erdtrabanten. „Bringen wir mal Licht ins Dunkel“ unter solchen und ähnlichen Überschriften geht es um das Alter und die Herkunft des Mondes. Welchen Einfluss hat der Mond auf unseren Kalender und wie wirkt seine Schwerkraft auf die Beschaffenheit der Erde? Der Mond erschuf unseren Monat, der Vollmond bestimmt unsere beweglichen Feste, etwa Ostern und Pfingsten, seine Schwerkraft regiert über Ebbe und Flut und garantiert die Schräglage unserer Erde, der wir die Jahreszeiten verdanken. Mystische Erzählungen über die Geburt des Mondes oder die Mondfinsternis, Legenden über seine Personifizierung, je nach Kulturraum weiblich oder männlich, fehlen nicht. Die Autorin trägt sie aus aller Welt zusammen, wobei sie zwischen Beobachtung und Glauben genau unterscheidet. Der erste Mensch auf dem Mond und die Fortschritte der Raumfahrt schließen die Darstellung ab. Die Illustrationen wechseln zwischen wissenschaftlichen Abbildungen und romantischen Mondnachtbildern ab. Die kurzen Texte und ein abwechslungsreiches Layout kommen der bildorientierten jungen Genera­tion entgegen.

 

Aina Bestard: Geheimnisvolle Himmelstiere. Sternbilder in der Nacht, 22 S., a. d. Kata­la­ni­ schen von Ursula Bach­hausen, Gerstenberg, Hildesheim 2023, € 22,00, ab 8 J.

■ Nachtblau präsentiert sich auch das Bilderbuch Geheimnisvolle Himmelstiere. Aufwendig gebunden und großformatig stellt es acht Tierkreiszeichen vor, die allerdings nicht unseren klassischen Sternbildern entsprechen, sondern aus unterschiedlichen Kulturräumen, etwa der Delfin aus Mexiko oder der Pfau aus Kenia, stammen. Denn der Sternenhimmel sieht nicht überall gleich aus, und die besonderen Erzählungen der verschiedenen Erdteile projizieren auch ihre eigenen Abbilder ins Firmament. Jede Doppelseite führt in einen nächtlichen, landestypischen Raum. Filigrane, weiße Linien auf dunkelblauem Grund lassen japanische Papierlampen, marokkanisches Korbgeflecht oder reich geschnitzte Möbel aus Indien erkennen. Jedes Zimmer hat ein Fenster, das sich öffnen lässt und den Blick auf eine Sternenkonstellation freigibt. Hält man die Seite gegen das Licht, sieht man die konkrete Tierfigur, die sich die Menschen zwecks Orientierung in Zeit und Raum dazu ausgedacht haben. Dies und ein kurzes, gereimtes Tierrätsel fordern die Kinder zu spielerischer Interaktion auf und könnten ihre Augen für das älteste Naviga­tionssystem der Welt öffnen.

 

Komako Sakai: Hannas Nacht, 32 S., aus dem Jap. von Ursula Gräfe, Moritz, Frankfurt/M. 2013, € 14,00 €, ab 4 J.

■ Hannas Nacht bringt uns vom Himmel auf die Erde zurück. Ein kleines Mädchen wacht mitten in der Nacht auf, alles schläft, nur die Katze, die zwischen Tag und Nacht keinen Unterschied macht, begleitet Hanna auf ihrem Rundgang durch das stille Haus. Vor dem Fenster leuchtet ein Vollmond und taucht alles in ein silbriges Licht. Ein übermütiges Freiheitsgefühl bemächtigt sich der kleinen Hanna. Sie und die Katze naschen Milch und Kirschen; vorsichtig entwendet Hanna ihrer schlafenden Schwester zuerst die Puppe, dann die zerbrechliche Spieluhr und schleppt die Beute in ihr Bett. Erst als es dämmrig wird, reibt sich Hanna die Augen und schläft wieder ein. Hier offenbart sich die keineswegs nur unschuldige kindliche Mentalität. Die zarten Pastellfarben und das niedliche Kindergesicht wirken trotz der weichen Linie zwischen Stirn und Nase niemals kitschig. Dunkle, oszillierende Tuschestriche versetzen alles in leise Bewegung, die Gardinen vor den Fenstern flimmern, die Bettdecken werfen dicke Schatten. Irreguläre Streifen lassen die Dinge schweben und schwerelos wirken. Die Regeln des helllichten Tages sind außer Kraft gesetzt, auf geheimnisvolle, aber niemals unheimliche Weise. Ein ästhetisch zauberhaft durchkomponiertes Bilderbuch und gleichzeitig ein tröstlicher Begleiter für das mitunter so schwierige Einschlafen kleiner Kinder.

 

Daniela Kulot: In der Nacht, 26 S., Gerstenberg, Hildesheim 2023, € 12,00, ab 3 J.

■ Daniela Kulots Pappbilderbuch In der Nacht ist ganz für kleine Kinderhände gemacht. Ein einfaches zweizeiliges, gereimtes Frage- und Antwortspiel auf jeder Doppelseite begleitet die in naiver Manier gehaltenen Illustrationen. Ein Kind steht am Fenster und blickt in die Nacht hinaus. Ein paar Sterne umrahmen den Mond, der ein freundliches, menschliches Profil zeigt „Was macht die Eule in der Nacht? Sie fliegt umher, bis der Tag erwacht.“ Wenn die Menschen schlafen, erwachen die Tiere. Die Katze liegt auf der Lauer, das Glühwürmchen glüht und die Fledermaus umkreist die alten Schlossmauern. Das Gespenst erweist sich nur als Rauch aus dem Schornstein. Viele Menschen arbeiten, fahren durch die Nacht oder beladen ein großes Schiff. Wir blicken auf schiefe, spitzgiebelige Häuschen, eine alte Windmühle dreht sich am Meer, ein Zinnen bewehrter Turm ragt in den Himmel. Der neugierige Blick durchs Kinderzimmerfenster geht auf eine nächtliche, gänzlich harmlose Spielzeuglandschaft, die selbst dem furchtsamsten Kind keinerlei Angst machen kann und will.

 

Daniela & Sofia Drescher: Tagträumer, 8 S., Freies Geistesleben, Stuttgart 2023, € 12,00, ab 2 J.

Das ganz schlicht gebundene, kleine Pappbilderbuch Tagträumer erzählt von den Tieren, die die Nacht zu ihrem Lebensraum gewählt haben. Sie scheuen das Tageslicht, denn die Welt der Menschen ist laut und voller Gefahren. Sie verstecken sich tagsüber im dichten Gesträuch, unter alten Blätterhaufen oder in einer Baumhöhle. Um gut zu sehen, brauchen sie kein Licht, ihre Beute machen sie auf leisen Pfoten und mit lautlosem Flügelschlag. Mit sehr gefälligen, zarten Tierzeichnungen und einer nächtlichen Natur, die zwischen schützenden Hecken und Baumkronen viel Geborgenheit vermittelt, finden die Allerjüngsten hier genau die heile Welt, die ihnen einen ruhigen Schlaf verspricht.

Dr. Barbara von Korff Schmising arbeitet als Rezensentin und Publizistin überwiegend im Bereich Kinder- und Jugendliteratur. Sie hat 25 Jahre lang die „Silberne Feder“, den Kinder- und Jugendbuchpreis des Dt. Ärztinnenbundes als Geschäftsführerin geleitet.“ bschmising@gmx.de

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