Editorial

Am Anfang war das Wort und nicht die Zahl

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 1/2017

Krisen sind wir unabhängigen Verlage eigentlich gewohnt. Doch ein Gerichtsurteil und dessen Auswirkungen versetzt viele von uns derzeit in eine besonders prekäre Lage. Der Europäische Gerichtshof hat den vor Jahrzehnten in der VG Wort gemeinsam von Verlagen und Autor/innen getroffenen Beschluss, die Gelder, die für physische und digitale Kopien sowie für die Bibliotheksausleihen urheberrechtlich geschützter Werke von den Verwertungsgesellschaften eingezogen werden, zwischen den Autor/innen und den Verlagen aufzuteilen, für rechtswidrig erklärt. Bis 2012 wurden die Einnahmen zwischen Autor/innen und Verlagen geteilt, und zwar zu einem Verhältnis von 70:30 zugunsten der Autorinnen und Autoren bei Belletristik und von 50:50 im Sachund Fachbuch. Nun sollen die Ausschüttungen nur noch den Autorinnen und Autoren zukommen. Und das gilt nicht nur für alle künftigen Einnahmen, sondern rückwirkend seit 2012.

Die Rückzahlungsforderungen lassen bereits die großen deutschen Verlagsgruppen schwitzen. Sie werden einige unserer unabhängigen Kolleg/innen jedoch derart treffen, dass sie wahrscheinlich in die Insolvenz gehen müssen. Das Urteil verkennt, dass zwar die Autor/innen ihr Werk geschaffen haben, dass jedoch auch ein Verlag zumeist einen hohen Anteil daran hat, dass das Werk gelungen ist und verbreitet wird – und dadurch auch überhaupt erst kopiert und ausgeliehen werden kann. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Verlage leider ihre Leistung im Lektorat, bei der Gestaltung, im Vertrieb und bei der Promotion der Bücher, kurz bei all dem, was zu einem nicht geringen Maße zum Erfolg eines Buches beiträgt, nicht genügend betont. Gerade in unabhängigen Verlagen erscheinen besonders aufwändige, ungewöhnliche und riskante Buchprojekte. Nicht umsonst kommt heute die Mehrzahl der ausgezeichneten Lyrikbände in unabhängigen Verlagen heraus, ebenso wie wichtige Werkausgaben.

Wir Independent-Verleger/innen engagieren uns für besondere Bücher, ohne dabei in erster Linie ökonomische Gesichtspunkte im Blick zu haben, frei nach Kurt Wolff: Am Anfang war das Wort und nicht die Zahl. Dieses Engagement kommt der Vielfalt der Kultur zugute. Mit Wegfall der Ausschüttungen von VG Wort und VG Bild-Kunst verlieren wir eine verlässliche Einnahme bei der Programmkalkulation, ohne die es für viele kleinere unabhängige Verlage kaum möglich war, den ökonomischen Überlebenskampf erfolgreich zu bestreiten. Angesichts dessen aber, dass wahrscheinlich alle Verlage nun weniger Bücher produzieren werden, angesichts dessen, dass einigen Verlagen der Konkurs droht, angesichts dessen, dass Buchprojekte nun nicht realisiert oder fortgeführt werden, angesichts all dessen kann man von einer sehr ernsthaften Krise sprechen. Von einer Krise der Verlage und einer Krise der Literatur. Diese geht uns alle an – Verlage, Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzer ebenso wie den Buchhandel und den Kulturjournalismus und nicht zuletzt die Leserinnen und Leser.

Wir bitten Sie daher: Unterstützen Sie uns, unterstützen Sie die Autorinnen und Autoren, indem Sie Bücher von unabhängigen Verlagen kaufen – und lesen! Inspiration finden Sie beispielsweise im Gemeinschaftskatalog der Kurt Wolff Stiftung „Es geht um das Buch!“ – und natürlich finden Sie weitere Anregungen auf den Seiten des fachbuchjournals.

Britta Jürgs, Verlegerin AvivA Verlag, Vorstandsvorsitzende Kurt Wolff Stiftung Die Kurt Wolff Stiftung zur Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene wurde 2000 von unabhängigen Verlegerinnen und Verlegern und dem damaligen Kulturstaatsminister Dr. Michael Naumann gegründet und versammelt in seinem Förderkreis rund 100 unabhängige Verlage. Die KWS setzt sich dafür ein, auf das Schaffen unabhängiger Verlage aufmerksam zu machen, u.a. durch Verleihung des Kurt Wolff Preises sowie des Kurt Wolff Förderpreises für ein herausragendes Verlagsprogramm.

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