Kulturgeschichte, Kunst

Albrecht Dürers „göttliches Gesicht“

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2021
Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Karlheinz Dietz
Ein unbekanntes Meisterwerk in seinem historischen Kontext

Im Spätsommer 1541 besuchte der aufstrebende Giorgio Vasari seinen bereits berühmten Künstlerkollegen Giulio Pippi, genannt ‚Romano’. Giulio präsentierte ihm in seinem Mantuaner Prachthaus alle Schätze, Pläne und Entwürfe und schließlich noch eine ihm besonders teure „Rarität“, die er für ein „Wunderding“ hielt. Vasari zufolge handelte es sich um ein Selbstporträt, welches Albrecht Dürer (um 1515) dem Raffaello Santi als „Huldigung und Tribut seines Werkes“ zugesandt hatte. Schon der Meister aus Urbino habe – immer nach Vasari – dieses „von Albr ­ echts Hand selbst“ gemalte Werk für eine „wunder­bare Sache“ gehalten. Nach Raffaels frühem Tod war es auf dem Erbweg an seinen Meisterschüler Pippi gekommen. Eine solche „cosa maravigliosa“ löste in den Augen der Renaissance ‚Erstaunen’ aus, assoziierte die Vorstellung der ‚Perfektion’, der ‚Schönheit’ und des ‚Göttlichen’. Zu unserem Leidwesen gilt dieses Meisterwerk Albrecht Dürers seit Jahrhunderten als verschollen. Der Malgrund war laut Vasari„feines Reimser Leinen“, für das er auch die Qualitätsbezeichnung ‚Byssus’ verwendet. Darauf sah man eine „testa“, ein Haupt, genauer gesagt ein „natürliches Bildnis“. Damit ist zweifellos ein Porträt gemeint, das auf Wiedererkennbarkeit und Ähnlichkeit zielte. Es bildete die Natur ab und folgte keinem künstlichen, dem Charakter des Porträtierten unterlegten Konzept. Dürers vom traditionellen Christusbild beeinflusstes Selbstporträt von 1500 in Münchens Alter Pinakothek ist ein Höhepunkt der konzeptuellen Selbststilisierung. Der ebenso vielseitige wie experimentierfreudige Dürer malte sich aber auch nach der Natur: In einer Weimarer Zeichnung steht er völlig nackt vor dem Spiegel, die Haupthaare von einem Netz zusammengehalten. In dieser kühnen Skizze ähnelt er kaum noch dem uns alle so nachhaltig prägenden Lockenkopf aus München.

 

Die Schönheit des in Italien verschollenen Dürerbildnisses beruhte nach Vasari, dem die Kunstszene Italiens ebenso wie die damaligen Maltechniken bestens vertraut waren, weniger auf seiner Ästhetik als auf seiner vollkommenen Technik. Der Kopf war „in wässeriger Weise auf Byssus ausgeführt, so daß er auf beiden Seiten sichtbar war und die Lichter ohne Bleiweiß durchschimmerten, während alles Übrige mit Aquarellfarben gemalt und schattiert war.“ An anderer Stelle präzisiert Vasari noch: „dieses Bildnis war eine seltene Sache, weil es Albrecht mit großer Sorgfalt ‚a guazzo’ koloriert und mit Aquarellfarben gemacht und vollendet hatte, ohne Bleiweiß anzuwenden, sondern sich stattdessen des Weiß der Leinwand bedient hatte, aus deren überaus feinen Fäden er die Barthaare trefflich gemacht hatte; das war ein Objekt, wie man es sich nicht vorstellen, geschweige denn machen kann, und das im Licht von beiden Seiten durchscheinend war“.

Die nichtdeckenden Aquarellfarben schienen also gleichsam in das hauchzarte Gewebe gesunken zu sein. Das wässerige Kolorieren bezeichnete ein Italiener 1548 als rückständige Technik, die man den Leuten jenseits der Alpen überlassen sollte, „die den rechten Weg verloren haben“. Man polemisierte damit gegen die von der Kunstgeschichte so benannte ‚Tüchleinmalerei’. Vereinfacht gesagt, versteht man darunter die Verwendung von wasserlöslichen Farben auf textilen Malgründen. Auch in ­Italien war diese Technik seit dem 14. Jahrhundert verwendet worden, ganz besonders von Dürers Freund Andrea ­Mantegna († 1506). Um 1500 hat man sich dort davon ab- und der viel farbenprächtigeren und glänzenden Ölmalerei zugewandt. Nördlich der Alpen wurde die ‚Tüchleinmalerei‘ neben der neuen Technik noch das ganze 16. Jahrhundert hindurch praktiziert, selbst von großen Meistern. Dürer führte auch die ‚Tüchleinmalerei‘ auf einen unerreichten Höhepunkt. Seine Wasserfarbenbilder zeigen mehrheitlich Porträts oder Köpfe. Von diesen muss sich das verschollene Selbstporträt laut Vasari in mindestens drei Punkten unterschieden haben. 1. Der Malgrund war extrem feinmaschig. 2. Die Farben waren nicht von dunkel nach hell aufgetragen und die Glanzlichter mit Weiß aufgesetzt; vielmehr fehlten die Bleiweißerhöhungen völlig, blieb wie bei den Aquarellen auf Papier die untere Schicht die hellere bzw. ein Teil des Malgrundes überhaupt frei.

 

Karlheinz Dietz: Von Dürer an Raffael. Von Mantua nach Manoppello. Schnell & Steiner, Regensburg 2021, 336 S., 99 farb. Ill., Hardcover, ISBN 978-3-7954-3645-2, € 50,00.

3. Das Bild war durchsichtig, während die sonstigen Tüchlein Dürers auf ihren Rückseiten allenfalls die Grundstrukturen der Vorderseiten zeigen. Sie sind aber, wie andere Tüchlein, Fahnen oder Fastentücher, nicht wirklich transparent. Bei keinem Maler, und schon gar nicht bei Raffael, Giulio Romano oder Vasari, hätten sie Staunen ausgelöst. Es gab freilich schon vor Dürer Wasserfarbenmalerei, die die Feinheit des Leinens wie beim Färben nicht verdickten. Die extreme Feinheit des Malgrunds bedingte kleinere Fehler, die auf einem Papieraquarell sicher nicht passiert wären und die mit wenigen deckenden Farbstrichen etwas abgemildert wurden. Dürers ‚Wunderbild’ dürfte nach Giulio Romanos frühem Tod in Mantua geblieben sein. Ein holländischer Kunsthistoriker erwähnt es Anfang des 17. Jahrhunderts in seinem „Malerbuch“ zweimal, gibt aber nur Vasaris Text verkürzt und dabei entstellt wieder. Danach hören wir davon nur noch selten, vor allem in der 1675 veröffentlichten „Teutschen Academie“ des Joachim Sandrart, der behauptet, es sei „hernach in die Kunstkammer zu Mantua gekommen”. Damit war die Sache klar. Die Mantuaner Kunstkammer, ‚Himmlische Galerie‘ (Galleria Celeste) genannt, existierte in ihrer glanzvollen und europaweit berühmten Form schon seit der Plünderung durch die Habsburger Armee im Juli 1630 nicht mehr. In dem an Barbarei kaum zu überbietenden ‚Sacco di Mantova‘ blieb Nichts vor der Gier der Eroberer verschont. Die Generalität bemächtigte sich des herzoglichen Schatzes und der wertvolleren Dinge, den Rest überließ sie den Soldaten, „die mit schmutzigen Händen die Ausstattungen der Zimmer entfernten und diese tumultuarisch unter sich aufteilten“. Sandrart hatte die Sammlung kurz vor dem Überfall noch besucht. Sein Schweigen über das Schicksal des Dürerbilds ist überaus beredt, denn jeder gebildete Zeitgenosse verstand es. Nicht einmal in der Romantik, in der man träumte, ­Raffael und Albrecht Dürer stünden „Hand in Hand“ vor ihren beieinander hängenden Gemälden, und in der die Darstellung der beiden Meister vor dem Thron der Kunst gängig wurde, war man in der Lage, Dürers reales Geschenk an Raffael wiederzufinden.

Aber: Kurz vor 1638 saß ein gerichtlich verurteilter Soldat in Chieti ein. Er schickte seine Frau in die Heimatstadt Mano­ppello, um ein auf kleinstes Format zusammengelegtes Textil mit einem aquarellierten, transparenten Männerkopf zu Geld zu machen. Der adelige Käufer ließ das arg strapazierte filigrane Leinen ringsum beschneiden, besonders oben an Kante und Ecken, dort, wo Dürer viele seiner Werke zu signieren pflegte, und zwischen einen Glasrahmen zwängen, wobei es deutlich verzerrt wurde. Im Jahr 1638 schenkte er es dem gerade einmal zwei Jahrzehnte alten Kapuzinerkonvent in Manoppello. ˜

Prof. Dr. Karlheinz Dietz ist pensionierter Professor der Alten Geschichte an der Universität Würzburg. Seit vielen Jahren verfolgt er unter anderem die Forschungen zum Turiner Grabtuch, zum Veronica-Bild in Rom und zum ‚Volto Santo‘ in Manoppello.

karlheinz.dietz@uni-wuerzburg.de

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