Recht

 Rechtsgeschichten

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2021

Tobias Freudenberg, Rechtsgeschichten. C. H. Beck, München 2021. 118 S., geb., ISBN 978-3-406-76785-2, € 24,90.

    Der Autor stellt sich auf der Innenklappe der Rückseite des Umschlags vor als Verantwortlicher für alle Print-und Digitalmedien der NJW-Gruppe (mit weiteren Nebenämtern). Das Büchlein, Buch kann man es nicht nennen, denn zieht man die mitgezählten Blätter vor dem eigentlichen Text, und auch Inhaltsverzeichnis und Vorwort ab, sowie die Lücken, die am Ende nahezu jeder kleinen Rechtsgeschichte entstehen, hinzu und die jeweils zwei Seiten für die Ankündigung einer neuen Rubrik wiederum ab, bleiben für den Text schlanke 85 Seiten, angesichts des doch nicht eben bescheidenen Preises eine etwas schüttere Ausbeute. Das Vorwort gelegt offen, dass die 50 Texte, „oft kritische und teils zugespitzte Betrachtungen des Rechts und des Rechtswesens…, gleichsam Glossen aus dem Glashaus –, denn der, der dem Recht und den Juristen darin den Spiegel vorhält, sitzt mit im Boot“, „in den letzten Jahren entstanden und als Kolumnen in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) sowie der Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) schon einmal erschienen sind“ (S. 6 f.). Die Abkürzungen für die beiden genannten Zeitschriften deuten an, dass der Autor nicht nur auf Juristen und Juristinnen als Leser setzt (er kommt für alle Sparten juristischer Berufe insgesamt schon auf 200.000 potentielle Leser, möglicherweise zu beschenkende Nichtjuristen nicht berücksichtigt; S. 6).

    Die 50 Miniaturen verteilen sich auf fünf Themenbereiche: Rechtsanwälte und Rechtsmarkt (12); Rechtsprechung & Justiz (12): Rechtspolitik & Gesetzgebung (10); Rechtswissenschaft & Rechtsliteratur (sechs) sowie Rechtswelt & Sonstiges Recht (10). – Von den Texten zu „Rechtsanwälte und Rechtsmarkt“ sei gleich der erste „Anwaltliche Verschwiegenheit“ als nicht untypisch für ein in mehrfacher Hinsicht, freundlich ausgedrückt, „unrichtiges Verhalten“ kurz vorgestellt (S. 14 f.): Der Autor sitzt in einem ICE von Frankfurt/M. nach München, unmittelbar neben ihm M, „Counsel“ einer bekannten Wirtschaftskanzlei, der dem Abteil offenbar in mehreren Telefonaten seine Wichtigkeit und überlegene Verhandlungskunst dartun will, indem er u. A. einen Kanzleikollegen gegenüber einem Gesprächspartner abkanzelt und sich selbst nur zu loben weiß usw. In seinen Gesprächen erwähnt er nicht, dass er aus dem Zug heraus telefoniert. Zwischen seinen Telefonaten verlässt er mehrmals für einige Minuten den Platz, ohne seinen Laptop zu deaktivieren… Das kennt man auch von manchen „Personalern“, Vertretern u.A.m. Kleinkarierte Angeber unterwegs eben… „Von Mandanten und Kunden“ handelt von der Frage, ob die „Mandanten“ oder „Klienten“ denn mehr seien als Kunden des Rechtsanwalts, was der Autor verneint, verbunden mit der Anregung, im Berufsrecht den Begriff „Mandant“ durch Kunde zu ersetzen, weil es bisher oft noch gerade an einem guten „Service“ mangele, also

    „Kommunikations und Organisationsdefizite“ bestünden (S. 23 f.). – In „Rechtsprechung & Justiz“ sticht dem selbst schon allzu oft gepeinigten Leser sofort „Lange

    Leitung“ ins Auge (S. 38 f.). Hier will Freudenberg wissen, ob ein Urteil des OLG Frankfurt/M schon rechtskräftig ist. Da die Rechtsmittelfrist bereits abgelaufen war, sollte ihm ein kurzer Anruf bei der Geschäftsstelle schnell Gewissheit verschaffen. Das Folgende ist ein Bericht über die bekannte elektronische Endlosschleife des „Derzeit sind alle Leitungen besetzt. Bitte haben Sie noch einen Moment Geduld. Der nächste freie Mitarbeiter wird…“. Nur ist kein Mitarbeiter so frei. In „Kauderwelsch aus Luxemburg“ (S. 48 f.) werden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs beklagt: „Sie zu lesen ist mindestens anstrengend, sie zu verstehen oft eine Herausforderung.“ Das fange schon mit dem Tenor an. „Die Formulierungen sind dermaßen verschwurbelt, dass man dem EuGH schon sprachlich kaum folgen kann; vom Inhalt ganz zu schweigen“. Die weiteren Belege sprechen für sich (ob das auch für die Originalsprache zutrifft, vermag der Rezensent nicht zu beurteilen)… Nicht nur für Nichtjuristen interessant ist: „Was Richter qualifiziert“ (S. 50 f.). „Die Kundin ist Kontoinhaber“ (S. 52 f.) nimmt die Entscheidung des BGH, dass bei Personenbezeichnungen in Vordrucken und Formularen kein Anspruch auf die weibliche Form bestehe, zum Anlass, eine akzeptable Lösung zu suchen. Auf S. 53 steht die Lösung der NJW-Redaktion. – „Rechtspolitik & Gesetzgebung“ eröffnet mit „Lückenschließer“ (S. 62 f.). Hier geht es um die Taten des seit vielen Jahren eifrigen Gesetzgebers des Strafrechts, Strafbarkeitslücken zu schließen. Dass ebenfalls seit etlichen Jahren die amtlichen Zahlen der Polizeiliche Kriminalstatistik rückläufig sind (während die Zahl der Gewalt- und insbesondere der Kriminalfilme gewaltig zugenommen hat), bemerkenswert genug, scheint die für das Strafrecht zuständigen Politiker, insbesondere den Justizminister, nicht ernstlich zu stören. Man vergleiche auch die Interpretationen der PKS durch den Bundesminister des Inneren in diesen Tagen mit denen zu Zeiten der statistischen Zunahme von Straftaten. Nach der Lektüre von „Bundesbeamtenboom“ kann die Reaktion nur lauten: Leute, lest „Parkinsons Gesetz“! „Expertenkommission 4.0“ (S. 66 f.) lohnt ebenfalls die Lektüre. Was unerwähnt bleibt: Die Einsetzung einer Kommission nimmt bei neuralgischen/sehr umstrittenen politischen oder politisch „gewordenen“ Themen jedenfalls für einige Zeit den Druck aus dem Kessel… Lehrreich sind „Recht verständlich“ (S. 68.), „Legislativwut in Leder­ hosen“ (S. 72 f.) und „Wenn sich Recht erübrigt“ (S. 74 f.). – In Rechtswissenschaft & Rechtsliteratur schließt der Autor zunächst „Die Sprache der Staatsrechtslehre“ auf (S. 84.). Gemessen schon an „Recht verständlich“ ein Desaster, wenn das tatsächlich der Standard wäre, dann nur noch peinlich. Für „Politiker, Promotionen, Plagiate“ (S. 86 f.) muss man nicht werben. Leider steht, weil gerade aktuell, nur Franziska Giffey mit ihrer Promotion auf der Bühne. Der Autor beendet diese Kolumne mit Empathie: Die Jurisprudenz ist für ihn „eine richtige Wissenschaft, …und zwar die allerschönste“. „Eine Schrift zum Feste (S. 88 f.) lässt, leider sehr kurz, die Problematik aufblitzen, die mit dem Festschrift-Wesen in der Rechtswissenschaft unserer Tage verbunden ist. Ganz offensichtlich hat sich der Sinn, jedenfalls aber der Maßstab gegenüber früheren Zeiten verschoben, ein Thema für sich, in einer Kolumne jedenfalls nicht in allen denkbaren Facetten zu schildern. „Bildungsstand“ (S. 90 f.), man hätte auch Semper reformanda schreiben können, hat die Juristenausbildung zum Thema, zu der es so Manches zu sagen gäbe… – „Rechtswelt & Sonstiges Recht“ (S. 96 f.) ist der letzte Abschnitt betitelt, der mit „Eine Titelgeschichte“ (S. 98 f.) vergnüglich beginnt, nämlich der Aufzählung akademischer Titel mit 18 möglichen Varianten. Man ist geneigt, im übertragenen Sinn von einer Inflation zu sprechen. „Mein Leibgeding“ (S.  100 f.) führt zu schönen Beispielen nicht nur altertümlicher Sprachskurrilitäten einschließlich der Auflösung des titelgebenden Worts. „An jedem Tag ein Tag“ (S.  104 f.) zählt die vielen Tage auf, die die Terminkalender von Tagungslöwen der juristischen Zunft bevölkern, der bekannteste ist der DJT (für Nichtjuristen = der Deutsche Juristentag). Die vorletzte Kolumne dieser Besprechung beschreibt ein Problem, das Viele wohl gern hätten: „Wohin mit dem ganzen Geld“ (S.  114 f.). Zugrunde lag die Insolvenz eines Sicherheitsunternehmens, das auch Geldtransporte erledigt hatte. Der Insolvenzverwalter fand in den Betriebsräumen der Firma einen Millionenbetrag vor und damit ein Problem, dessen Lösung im Weiteren geschildert wird. „POTUS und SCOTUS“ (S.  116 f.) dürfte Freudenberg sich mit Bedacht als Schluss aufgehoben haben. Es geht um Personalentscheidungen in den USA. „Die vom POTUS (President Of The United States) nominierten Richter des SCOTUS (Supreme Court Of The United States) werden auf Lebenszeit ernannt. Es gibt für sie keine Alters- oder Amtszeitbegrenzung.“ Diese Regelung „bezieht sich übrigens auf den dritten Artikel der US-Verfassung von 1789. Damals betrug die Lebenserwartung etwas 40 Jahre. Altersregelungen spielten da keine Rolle. Heute ist sie fast doppelt so hoch. Das ist der klassische Fall eines Reformbedarfs wegen veränderter Lebensverhältnisse“. Ja, aber endlich mal in concreto kein deutsches Problem! (mh)

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